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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

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Ueber die Art und Weise

Nach dem Exempel der oberwähnten von beyden Seiten
erwählten 4 Schiedsleute zu rechnen, welche so lange zwischen
Herford und Bilefeld reisen solten, bis sie ein Urtheil fänden,
mag es hier einige Mühe gekostet haben. In der That aber
erkannte man zuerst hier keinen Richter, und wie man den
Kaiser nachwärts zum Friedensrichter erhielt, bekümmerte sich
auch dieser nicht darum, wer von zweyen Partheyen Recht
hatte oder nicht. Die Macht des Kaisers gieng nur dahin zu
beachten, daß die Austräge alle 14 Tage von Herford nach
Bielefeld ritten und ihre Pflicht in diesem Stücke aufs ge-
naueste beachteten. Aber den Streit selbst konnte der Kaiser,
weil seine Weißheit nichts damit zu thun hatte, unmöglich
entscheiden. Denn wenn er dieses hätte thun wollen: so blieb
ihm doch nichts übrig, als vier Schöpfen von einer und vier
von andrer Seite erwählen, sodann solche so lange in einem Zim-
mer verschliessen, oder von einem Orte zum andern reiten, oder
auch in geschlossenen Schranken fechten zu lassen, bis sie das
Recht gefunden hatten. Der Kaiser konnte darauf achten,
daß sie im letztern Fall mit gleichem Winde und gleichem Ge-
wehr fochten; er konnte darauf halten, daß redliche und eben-
bürtige Biederleute gegen einander geschickt wurden. Aber
das Recht oder die Wahrheit selbst konnte er unsern Vorfah-
ren nicht weisen, weil noch keine geschriebene Gesetze vorhan-
den waren, und alle menschliche Weißheit, so lange es an
geschriebenen Gesetzen fehlt, auf eine Willkühr hinaus lauft,
und so verschieden ist, als die Menschen selbst verschieden sind.
Natürlicher Weise sagte die Weißheit der einen streitenden
Parthey ja; und die Weißheit der andern nein; und wer
konnte ohne der einen oder der andern Gewalt zu thun, eine
dritte Weißheit urtheilen lassen?

Die Gallier suchten sich auf eine andre Art zu helfen.
Sie hatten ihre Druiden oder eigne Priester, welchen sowol die

Civil-
Ueber die Art und Weiſe

Nach dem Exempel der oberwaͤhnten von beyden Seiten
erwaͤhlten 4 Schiedsleute zu rechnen, welche ſo lange zwiſchen
Herford und Bilefeld reiſen ſolten, bis ſie ein Urtheil faͤnden,
mag es hier einige Muͤhe gekoſtet haben. In der That aber
erkannte man zuerſt hier keinen Richter, und wie man den
Kaiſer nachwaͤrts zum Friedensrichter erhielt, bekuͤmmerte ſich
auch dieſer nicht darum, wer von zweyen Partheyen Recht
hatte oder nicht. Die Macht des Kaiſers gieng nur dahin zu
beachten, daß die Austraͤge alle 14 Tage von Herford nach
Bielefeld ritten und ihre Pflicht in dieſem Stuͤcke aufs ge-
naueſte beachteten. Aber den Streit ſelbſt konnte der Kaiſer,
weil ſeine Weißheit nichts damit zu thun hatte, unmoͤglich
entſcheiden. Denn wenn er dieſes haͤtte thun wollen: ſo blieb
ihm doch nichts uͤbrig, als vier Schoͤpfen von einer und vier
von andrer Seite erwaͤhlen, ſodann ſolche ſo lange in einem Zim-
mer verſchlieſſen, oder von einem Orte zum andern reiten, oder
auch in geſchloſſenen Schranken fechten zu laſſen, bis ſie das
Recht gefunden hatten. Der Kaiſer konnte darauf achten,
daß ſie im letztern Fall mit gleichem Winde und gleichem Ge-
wehr fochten; er konnte darauf halten, daß redliche und eben-
buͤrtige Biederleute gegen einander geſchickt wurden. Aber
das Recht oder die Wahrheit ſelbſt konnte er unſern Vorfah-
ren nicht weiſen, weil noch keine geſchriebene Geſetze vorhan-
den waren, und alle menſchliche Weißheit, ſo lange es an
geſchriebenen Geſetzen fehlt, auf eine Willkuͤhr hinaus lauft,
und ſo verſchieden iſt, als die Menſchen ſelbſt verſchieden ſind.
Natuͤrlicher Weiſe ſagte die Weißheit der einen ſtreitenden
Parthey ja; und die Weißheit der andern nein; und wer
konnte ohne der einen oder der andern Gewalt zu thun, eine
dritte Weißheit urtheilen laſſen?

Die Gallier ſuchten ſich auf eine andre Art zu helfen.
Sie hatten ihre Druiden oder eigne Prieſter, welchen ſowol die

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[302/0320] Ueber die Art und Weiſe Nach dem Exempel der oberwaͤhnten von beyden Seiten erwaͤhlten 4 Schiedsleute zu rechnen, welche ſo lange zwiſchen Herford und Bilefeld reiſen ſolten, bis ſie ein Urtheil faͤnden, mag es hier einige Muͤhe gekoſtet haben. In der That aber erkannte man zuerſt hier keinen Richter, und wie man den Kaiſer nachwaͤrts zum Friedensrichter erhielt, bekuͤmmerte ſich auch dieſer nicht darum, wer von zweyen Partheyen Recht hatte oder nicht. Die Macht des Kaiſers gieng nur dahin zu beachten, daß die Austraͤge alle 14 Tage von Herford nach Bielefeld ritten und ihre Pflicht in dieſem Stuͤcke aufs ge- naueſte beachteten. Aber den Streit ſelbſt konnte der Kaiſer, weil ſeine Weißheit nichts damit zu thun hatte, unmoͤglich entſcheiden. Denn wenn er dieſes haͤtte thun wollen: ſo blieb ihm doch nichts uͤbrig, als vier Schoͤpfen von einer und vier von andrer Seite erwaͤhlen, ſodann ſolche ſo lange in einem Zim- mer verſchlieſſen, oder von einem Orte zum andern reiten, oder auch in geſchloſſenen Schranken fechten zu laſſen, bis ſie das Recht gefunden hatten. Der Kaiſer konnte darauf achten, daß ſie im letztern Fall mit gleichem Winde und gleichem Ge- wehr fochten; er konnte darauf halten, daß redliche und eben- buͤrtige Biederleute gegen einander geſchickt wurden. Aber das Recht oder die Wahrheit ſelbſt konnte er unſern Vorfah- ren nicht weiſen, weil noch keine geſchriebene Geſetze vorhan- den waren, und alle menſchliche Weißheit, ſo lange es an geſchriebenen Geſetzen fehlt, auf eine Willkuͤhr hinaus lauft, und ſo verſchieden iſt, als die Menſchen ſelbſt verſchieden ſind. Natuͤrlicher Weiſe ſagte die Weißheit der einen ſtreitenden Parthey ja; und die Weißheit der andern nein; und wer konnte ohne der einen oder der andern Gewalt zu thun, eine dritte Weißheit urtheilen laſſen? Die Gallier ſuchten ſich auf eine andre Art zu helfen. Sie hatten ihre Druiden oder eigne Prieſter, welchen ſowol die Civil-

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/320>, abgerufen am 22.11.2024.