Allein so wahr dieser Satz ist, wo die Partheyen ebenbürtige und genosse Richter erhalten: so falsch, so verrätherisch ist er im Gegentheile, und in unser heutigen Verfassung. Wie, ein Fürst solte acht fremde Männer verschreiben, ihnen ihren Unterhalt reichen, und ihnen die Vollmacht ertheilen können, nach der Vernunft, nach der Billigkeit, nach ihrer Weißheit zu entscheiden? Und das sollen unsre Vofahren geduldet haben?
Die Weisheit gränzt so nahe an die Willkühr, daß man unmittelbar von der einen zur andern übergehen kann; und wo Weisheit und Macht in einer Hand sind, da ist des Herrn Wille natürlicher Weise allezeit die Weisheit selbst. Wenig- stens ist kein sterblicher Mensch im Stande die Furche anzu- weisen, wo die Willkühr sich von der Weisheit scheidet. Und wenn es einer wagen wollte: so würden ihm gleich zehn an- dre widersprechen. Unsre Vorfahren waren in diesem Stücke so genau, daß sie denjenigen sofort für einen Knecht hielten, der von eines ungenossena) Menschen Ausspruch abhangen mußte. Alle Fremde erfuhren dieses, so bald sie sich ohne Geleit ausser ihrer Heymath befanden, und sich mithin nicht auf ihre Genossen zu Hause berufen mochten.
Ganz anders verhält es sich in dem Falle, wo ein ehr- licher Markgenosse nicht von der Weisheit seines Holzgrafen, nicht von der Vernunft des Partheyenrichters, und auch nicht von der Auslegungskunst der Gesetzgelehrten, und noch we- niger von dem Despotismus der unter dem Namen einer gu-
ten
a) Es ist dieses ein altes deutsches Wort, wofür ich kein bes- sers zu finden weis. Ein französischer und deutscher Edel- mann können einander ebenbürtig seyn; sie sind aber einer des andern ungenoß. Bürger aus verschiedenen Städten sind ebenfalls einander ungenoß.
wie unſre Vorfahren die Proc. abgekuͤrzet haben.
Allein ſo wahr dieſer Satz iſt, wo die Partheyen ebenbuͤrtige und genoſſe Richter erhalten: ſo falſch, ſo verraͤtheriſch iſt er im Gegentheile, und in unſer heutigen Verfaſſung. Wie, ein Fuͤrſt ſolte acht fremde Maͤnner verſchreiben, ihnen ihren Unterhalt reichen, und ihnen die Vollmacht ertheilen koͤnnen, nach der Vernunft, nach der Billigkeit, nach ihrer Weißheit zu entſcheiden? Und das ſollen unſre Vofahren geduldet haben?
Die Weisheit graͤnzt ſo nahe an die Willkuͤhr, daß man unmittelbar von der einen zur andern uͤbergehen kann; und wo Weisheit und Macht in einer Hand ſind, da iſt des Herrn Wille natuͤrlicher Weiſe allezeit die Weisheit ſelbſt. Wenig- ſtens iſt kein ſterblicher Menſch im Stande die Furche anzu- weiſen, wo die Willkuͤhr ſich von der Weisheit ſcheidet. Und wenn es einer wagen wollte: ſo wuͤrden ihm gleich zehn an- dre widerſprechen. Unſre Vorfahren waren in dieſem Stuͤcke ſo genau, daß ſie denjenigen ſofort fuͤr einen Knecht hielten, der von eines ungenoſſena) Menſchen Ausſpruch abhangen mußte. Alle Fremde erfuhren dieſes, ſo bald ſie ſich ohne Geleit auſſer ihrer Heymath befanden, und ſich mithin nicht auf ihre Genoſſen zu Hauſe berufen mochten.
Ganz anders verhaͤlt es ſich in dem Falle, wo ein ehr- licher Markgenoſſe nicht von der Weisheit ſeines Holzgrafen, nicht von der Vernunft des Partheyenrichters, und auch nicht von der Auslegungskunſt der Geſetzgelehrten, und noch we- niger von dem Deſpotiſmus der unter dem Namen einer gu-
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a) Es iſt dieſes ein altes deutſches Wort, wofuͤr ich kein beſ- ſers zu finden weis. Ein franzoͤſiſcher und deutſcher Edel- mann koͤnnen einander ebenbuͤrtig ſeyn; ſie ſind aber einer des andern ungenoß. Buͤrger aus verſchiedenen Staͤdten ſind ebenfalls einander ungenoß.
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wie unſre Vorfahren die Proc. abgekuͤrzet haben.
Allein ſo wahr dieſer Satz iſt, wo die Partheyen ebenbuͤrtige
und genoſſe Richter erhalten: ſo falſch, ſo verraͤtheriſch iſt er
im Gegentheile, und in unſer heutigen Verfaſſung. Wie,
ein Fuͤrſt ſolte acht fremde Maͤnner verſchreiben, ihnen ihren
Unterhalt reichen, und ihnen die Vollmacht ertheilen koͤnnen,
nach der Vernunft, nach der Billigkeit, nach ihrer Weißheit zu
entſcheiden? Und das ſollen unſre Vofahren geduldet
haben?
Die Weisheit graͤnzt ſo nahe an die Willkuͤhr, daß man
unmittelbar von der einen zur andern uͤbergehen kann; und
wo Weisheit und Macht in einer Hand ſind, da iſt des Herrn
Wille natuͤrlicher Weiſe allezeit die Weisheit ſelbſt. Wenig-
ſtens iſt kein ſterblicher Menſch im Stande die Furche anzu-
weiſen, wo die Willkuͤhr ſich von der Weisheit ſcheidet. Und
wenn es einer wagen wollte: ſo wuͤrden ihm gleich zehn an-
dre widerſprechen. Unſre Vorfahren waren in dieſem Stuͤcke
ſo genau, daß ſie denjenigen ſofort fuͤr einen Knecht hielten,
der von eines ungenoſſen a) Menſchen Ausſpruch abhangen
mußte. Alle Fremde erfuhren dieſes, ſo bald ſie ſich ohne
Geleit auſſer ihrer Heymath befanden, und ſich mithin nicht
auf ihre Genoſſen zu Hauſe berufen mochten.
Ganz anders verhaͤlt es ſich in dem Falle, wo ein ehr-
licher Markgenoſſe nicht von der Weisheit ſeines Holzgrafen,
nicht von der Vernunft des Partheyenrichters, und auch nicht
von der Auslegungskunſt der Geſetzgelehrten, und noch we-
niger von dem Deſpotiſmus der unter dem Namen einer gu-
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a) Es iſt dieſes ein altes deutſches Wort, wofuͤr ich kein beſ-
ſers zu finden weis. Ein franzoͤſiſcher und deutſcher Edel-
mann koͤnnen einander ebenbuͤrtig ſeyn; ſie ſind aber einer
des andern ungenoß. Buͤrger aus verſchiedenen Staͤdten
ſind ebenfalls einander ungenoß.
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/317>, abgerufen am 23.07.2024.
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