sprechen. Lustige Histörgen sind gar aus der Mode. Die Komplimente sind bald aus. Den Wein trinken sie aus Fingerhüten; und ein Böf alle Mode kömmt gar nicht mehr auf den Tisch. Wenn ich mich dagegen erinnere, was zu meines Großvaters Zeit die Gesellschaften waren, wie ein halb Duzend Weidgenossen, die den Tag über sich im Felde gebraten hatten, Hände und Mäuler bey Tische gehen liessen, was da gesprochen, gelacht und getrunken wurde: so möchte ich auf meine Ehre lieber der wilde Jäger als ein heutiger Landmann seyn.
Das Landleben ist jezt nichts als die abgeschmackteste Langweile die man sich erdenken kann. Man kömmt zusam- men in der Stube; steht auf einem gewächsten Boden, daß man sich alle Augenblick den Hals zerbrechen möchte, und geht so nüchtern auseinander, wie man zusammen gekommen ist; und wenn man sich recht vergnügen will: so bringt man die verdammten Karten her. Höchstens spatziert man, und spatziert und spatziert bis einem der Angstschweiß ausbricht.
Ich wundre mich gar nicht, daß manche Haushaltungen nicht fort kommen. Wenn man vordem von der Jagd zurück kam: so besuchte man noch wohl einmal seine Hofdiener, und sahe was sie machten; und hielt sie beständig bey der Arbeit, weil sie einen hinter allen Hecken vermuthen mußten. Aber jezt; jezt wissen die Faullenzer, der Herr kommt im Thau ge- wiß nicht; auch nicht wenns regnet; auch nicht wenn die Sonnne brennt; auch nicht vor 11 Uhr des Morgens; auch nicht vor 5 Uhr des Abends; und so stehlen sie dem lieben Gott den Tag, und ihrem Herrn das Brod. Die Engländer das waren noch Leute. Wie sie hier waren, jagten sie nach einen Kirchthurm über Stock und Block. Hecken und Graben, wenn sie keinen Fuchs auftreiben konnten; oder sie liessen des Morgens früh eine gebratene Speckseite über den Weg schleifen,
und
Schreiben des Herrn von H…
ſprechen. Luſtige Hiſtoͤrgen ſind gar aus der Mode. Die Komplimente ſind bald aus. Den Wein trinken ſie aus Fingerhuͤten; und ein Boͤf alle Mode koͤmmt gar nicht mehr auf den Tiſch. Wenn ich mich dagegen erinnere, was zu meines Großvaters Zeit die Geſellſchaften waren, wie ein halb Duzend Weidgenoſſen, die den Tag uͤber ſich im Felde gebraten hatten, Haͤnde und Maͤuler bey Tiſche gehen lieſſen, was da geſprochen, gelacht und getrunken wurde: ſo moͤchte ich auf meine Ehre lieber der wilde Jaͤger als ein heutiger Landmann ſeyn.
Das Landleben iſt jezt nichts als die abgeſchmackteſte Langweile die man ſich erdenken kann. Man koͤmmt zuſam- men in der Stube; ſteht auf einem gewaͤchſten Boden, daß man ſich alle Augenblick den Hals zerbrechen moͤchte, und geht ſo nuͤchtern auseinander, wie man zuſammen gekommen iſt; und wenn man ſich recht vergnuͤgen will: ſo bringt man die verdammten Karten her. Hoͤchſtens ſpatziert man, und ſpatziert und ſpatziert bis einem der Angſtſchweiß ausbricht.
Ich wundre mich gar nicht, daß manche Haushaltungen nicht fort kommen. Wenn man vordem von der Jagd zuruͤck kam: ſo beſuchte man noch wohl einmal ſeine Hofdiener, und ſahe was ſie machten; und hielt ſie beſtaͤndig bey der Arbeit, weil ſie einen hinter allen Hecken vermuthen mußten. Aber jezt; jezt wiſſen die Faullenzer, der Herr kommt im Thau ge- wiß nicht; auch nicht wenns regnet; auch nicht wenn die Sonnne brennt; auch nicht vor 11 Uhr des Morgens; auch nicht vor 5 Uhr des Abends; und ſo ſtehlen ſie dem lieben Gott den Tag, und ihrem Herrn das Brod. Die Englaͤnder das waren noch Leute. Wie ſie hier waren, jagten ſie nach einen Kirchthurm uͤber Stock und Block. Hecken und Graben, wenn ſie keinen Fuchs auftreiben konnten; oder ſie lieſſen des Morgens fruͤh eine gebratene Speckſeite uͤber den Weg ſchleifen,
und
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0285"n="267"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Schreiben des Herrn von H…</hi></fw><lb/>ſprechen. Luſtige Hiſtoͤrgen ſind gar aus der Mode. Die<lb/>
Komplimente ſind bald aus. Den Wein trinken ſie aus<lb/>
Fingerhuͤten; und ein Boͤf alle Mode koͤmmt gar nicht mehr<lb/>
auf den Tiſch. Wenn ich mich dagegen erinnere, was zu<lb/>
meines Großvaters Zeit die Geſellſchaften waren, wie ein<lb/>
halb Duzend Weidgenoſſen, die den Tag uͤber ſich im Felde<lb/>
gebraten hatten, Haͤnde und Maͤuler bey Tiſche gehen lieſſen,<lb/>
was da geſprochen, gelacht und getrunken wurde: ſo moͤchte<lb/>
ich auf meine Ehre lieber der wilde Jaͤger als ein heutiger<lb/>
Landmann ſeyn.</p><lb/><p>Das Landleben iſt jezt nichts als die abgeſchmackteſte<lb/>
Langweile die man ſich erdenken kann. Man koͤmmt zuſam-<lb/>
men in der Stube; ſteht auf einem gewaͤchſten Boden, daß<lb/>
man ſich alle Augenblick den Hals zerbrechen moͤchte, und<lb/>
geht ſo nuͤchtern auseinander, wie man zuſammen gekommen<lb/>
iſt; und wenn man ſich recht vergnuͤgen will: ſo bringt man<lb/>
die verdammten Karten her. Hoͤchſtens ſpatziert man, und<lb/>ſpatziert und ſpatziert bis einem der Angſtſchweiß ausbricht.</p><lb/><p>Ich wundre mich gar nicht, daß manche Haushaltungen<lb/>
nicht fort kommen. Wenn man vordem von der Jagd zuruͤck<lb/>
kam: ſo beſuchte man noch wohl einmal ſeine Hofdiener, und<lb/>ſahe was ſie machten; und hielt ſie beſtaͤndig bey der Arbeit,<lb/>
weil ſie einen hinter allen Hecken vermuthen mußten. Aber<lb/>
jezt; jezt wiſſen die Faullenzer, der Herr kommt im Thau ge-<lb/>
wiß nicht; auch nicht wenns regnet; auch nicht wenn die<lb/>
Sonnne brennt; auch nicht vor 11 Uhr des Morgens; auch<lb/>
nicht vor 5 Uhr des Abends; und ſo ſtehlen ſie dem lieben<lb/>
Gott den Tag, und ihrem Herrn das Brod. Die Englaͤnder<lb/>
das waren noch Leute. Wie ſie hier waren, jagten ſie nach<lb/>
einen Kirchthurm uͤber Stock und Block. Hecken und Graben,<lb/>
wenn ſie keinen Fuchs auftreiben konnten; oder ſie lieſſen des<lb/>
Morgens fruͤh eine gebratene Speckſeite uͤber den Weg ſchleifen,<lb/><fwplace="bottom"type="catch">und</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[267/0285]
Schreiben des Herrn von H…
ſprechen. Luſtige Hiſtoͤrgen ſind gar aus der Mode. Die
Komplimente ſind bald aus. Den Wein trinken ſie aus
Fingerhuͤten; und ein Boͤf alle Mode koͤmmt gar nicht mehr
auf den Tiſch. Wenn ich mich dagegen erinnere, was zu
meines Großvaters Zeit die Geſellſchaften waren, wie ein
halb Duzend Weidgenoſſen, die den Tag uͤber ſich im Felde
gebraten hatten, Haͤnde und Maͤuler bey Tiſche gehen lieſſen,
was da geſprochen, gelacht und getrunken wurde: ſo moͤchte
ich auf meine Ehre lieber der wilde Jaͤger als ein heutiger
Landmann ſeyn.
Das Landleben iſt jezt nichts als die abgeſchmackteſte
Langweile die man ſich erdenken kann. Man koͤmmt zuſam-
men in der Stube; ſteht auf einem gewaͤchſten Boden, daß
man ſich alle Augenblick den Hals zerbrechen moͤchte, und
geht ſo nuͤchtern auseinander, wie man zuſammen gekommen
iſt; und wenn man ſich recht vergnuͤgen will: ſo bringt man
die verdammten Karten her. Hoͤchſtens ſpatziert man, und
ſpatziert und ſpatziert bis einem der Angſtſchweiß ausbricht.
Ich wundre mich gar nicht, daß manche Haushaltungen
nicht fort kommen. Wenn man vordem von der Jagd zuruͤck
kam: ſo beſuchte man noch wohl einmal ſeine Hofdiener, und
ſahe was ſie machten; und hielt ſie beſtaͤndig bey der Arbeit,
weil ſie einen hinter allen Hecken vermuthen mußten. Aber
jezt; jezt wiſſen die Faullenzer, der Herr kommt im Thau ge-
wiß nicht; auch nicht wenns regnet; auch nicht wenn die
Sonnne brennt; auch nicht vor 11 Uhr des Morgens; auch
nicht vor 5 Uhr des Abends; und ſo ſtehlen ſie dem lieben
Gott den Tag, und ihrem Herrn das Brod. Die Englaͤnder
das waren noch Leute. Wie ſie hier waren, jagten ſie nach
einen Kirchthurm uͤber Stock und Block. Hecken und Graben,
wenn ſie keinen Fuchs auftreiben konnten; oder ſie lieſſen des
Morgens fruͤh eine gebratene Speckſeite uͤber den Weg ſchleifen,
und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/285>, abgerufen am 22.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.