Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.an den Herrn Schulmeister. frieden vor sich hin arbeiteten, und mir nichts zu mahlen ga-ben; nicht eine menschliche Figur, welche werth gewesen wäre, in einem Kunstsaale aufbehalten zu werden. Eine Dame, der ich meine Verwunderung hierüber bezeugte, versprach mir jedoch eine Seltenheit zu zeigen, welche ich in andern Ländern nicht gesehen haben würde: und hierauf führte sie mich in ihre Kinderstube, wo der Mann sich die Mühe gab, seinen Kindern die Gründe des Christenthums beyzubringen; wo er dem Hofemeister Lehren gab; und sich, nachdem die ersten Höflichkeiten vorüber waren, in meiner Gegenwart nicht scheuete, in seiner Arbeit fortzufahren. Die Dame setzte sich, wie ich glaube, mir zum Possen, bey ihrer Toch- ter nieder, und drückte ihr die Hand, wann sie dem Vater wohl antwortete, und das Mädgen war entzückter über die- sen Beyfall, als über mich; ohnerachtet ich doch glaube, kein alltäglicher Kerl zu seyn. Himmel, dachte ich bey mir, wie willst du aus dieser men Q 5
an den Herrn Schulmeiſter. frieden vor ſich hin arbeiteten, und mir nichts zu mahlen ga-ben; nicht eine menſchliche Figur, welche werth geweſen waͤre, in einem Kunſtſaale aufbehalten zu werden. Eine Dame, der ich meine Verwunderung hieruͤber bezeugte, verſprach mir jedoch eine Seltenheit zu zeigen, welche ich in andern Laͤndern nicht geſehen haben wuͤrde: und hierauf fuͤhrte ſie mich in ihre Kinderſtube, wo der Mann ſich die Muͤhe gab, ſeinen Kindern die Gruͤnde des Chriſtenthums beyzubringen; wo er dem Hofemeiſter Lehren gab; und ſich, nachdem die erſten Hoͤflichkeiten voruͤber waren, in meiner Gegenwart nicht ſcheuete, in ſeiner Arbeit fortzufahren. Die Dame ſetzte ſich, wie ich glaube, mir zum Poſſen, bey ihrer Toch- ter nieder, und druͤckte ihr die Hand, wann ſie dem Vater wohl antwortete, und das Maͤdgen war entzuͤckter uͤber die- ſen Beyfall, als uͤber mich; ohnerachtet ich doch glaube, kein alltaͤglicher Kerl zu ſeyn. Himmel, dachte ich bey mir, wie willſt du aus dieſer men Q 5
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an den Herrn Schulmeiſter.
frieden vor ſich hin arbeiteten, und mir nichts zu mahlen ga-
ben; nicht eine menſchliche Figur, welche werth geweſen waͤre,
in einem Kunſtſaale aufbehalten zu werden. Eine Dame,
der ich meine Verwunderung hieruͤber bezeugte, verſprach
mir jedoch eine Seltenheit zu zeigen, welche ich in andern
Laͤndern nicht geſehen haben wuͤrde: und hierauf fuͤhrte ſie
mich in ihre Kinderſtube, wo der Mann ſich die Muͤhe gab,
ſeinen Kindern die Gruͤnde des Chriſtenthums beyzubringen;
wo er dem Hofemeiſter Lehren gab; und ſich, nachdem die
erſten Hoͤflichkeiten voruͤber waren, in meiner Gegenwart
nicht ſcheuete, in ſeiner Arbeit fortzufahren. Die Dame
ſetzte ſich, wie ich glaube, mir zum Poſſen, bey ihrer Toch-
ter nieder, und druͤckte ihr die Hand, wann ſie dem Vater
wohl antwortete, und das Maͤdgen war entzuͤckter uͤber die-
ſen Beyfall, als uͤber mich; ohnerachtet ich doch glaube, kein
alltaͤglicher Kerl zu ſeyn.
Himmel, dachte ich bey mir, wie willſt du aus dieſer
verwuͤnſchten Kinderſtube kommen. Ich ſahe es dem Herrn
an, daß er es nach dero Landesart fuͤr eine Grobheit aufge-
nommen haben wuͤrde, wenn ich ihm nicht mit Aufmerkſam-
keit zugehoͤret haben wuͤrde; und die Frau vom Hauſe, ohn-
erachtet ſie mich anfangs auf eine loſe Art dahin gefuͤhret
hatte, ſchien nunmehro ebenfalls bey dem Vergnuͤgen ihre
Kinder zu ſehen, auf meine Ungedult keine Acht zu haben.
Zum Gluͤck vor mich, nahm die zu dieſer Arbeit beſtimmte
Zeit von ſelbſt ein Ende; und ich hatte wahrlich kein Verlan-
gen mehrere Originalien in einem Hauſe aufzuſuchen, wo
man nichts als die Erfuͤllung ſolcher Pflichten ſahe, die jeder
Pfarrer ſeiner Gemeinde alle Sonntage ohne Unterlaß vor-
predigt. Ich glaube gar, daß die Leute mit den gemeinſten
Mann zur Kirche gehen, und ſich nicht einmal davon traͤu-
men
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