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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

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Schutzrede der Packenträger.
schaffen, wohingegen ein Kaufmann, der diese zehn Dörfer
versorgen will, deren jedesmal nur ein oder zwey vorräthig
haben kann, weil ihm der Absatz von mehrern mangelt. Hätte
er mehr auf dem Lager: so müßten die Zinsen des Capitals,
welches darinn steckt, auf das eine Stück geschlagen und dieses
um so viel theurer verkauft werden, wo der Mann nicht zu
Grunde gehen will. Wir hingegen, die wir immer von ei-
nem Lande ins andre reisen, und täglich Markt haben, ver-
kaufen immer, und können um so viel wohlfeiler verkaufen,
je geschwinder wir unser Capital umsetzen. Wenn wir 1 p. C.
verdienen, und unser Capital alle Monat von neuen anlegen:
so gewinnen wir mehr, als ein Kaufmann der 10 p. C. hat,
und kaum alle Jahr umsetzet. Denket aber nicht, daß es
damit genug sey, wenn ihr uns blos den freyen Markt lasset.
Ja, wenn eure alten Kreisstände so klug gewesen wären, daß
sie alle Jahrmärkte in geographischer Ordnung angelegt hät-
ten: so daß wir um Lichtmessen von einem Punkt aus in ei-
ner Kette, immer von einem Jahrmarkt aufs andre ziehen,
und sodann gegen Martini zu Hause seyn könnten, so liesse
sich das noch hören. So aber gehn die Jahrmärkte zick zack,
zehn Meile hin zehn Meile her; und bald müssen wir 14
Tage bald achte in der Schenke liegen und unser Geld ver-
zehren, wenn wir in der Zwischenzeit nichts verdienen, oder
von jedem Jahrmarkte nach Hause, und sodann wieder auf
ein anders reisen solten. Und würden wir diese Unkosten
nicht auf die Waare legen, und folglich euch zur Last bringen
müssen? Was ihr von euern Weibern und Töchtern sagt,
daß diese sich so leicht von uns beschwatzen liessen, ist eure
Schuld. Warum haltet ihr sie nicht in besserer Zucht? Und
gesetzt, wir sagten ihnen bisweilen ein Wort mehr als sie von
andern hören, sind wir denn allein Diebe unserer Nahrung?
Werdet ihr euch nicht in Ewigkeit Aderlassen und den Bart

scheren

Schutzrede der Packentraͤger.
ſchaffen, wohingegen ein Kaufmann, der dieſe zehn Doͤrfer
verſorgen will, deren jedesmal nur ein oder zwey vorraͤthig
haben kann, weil ihm der Abſatz von mehrern mangelt. Haͤtte
er mehr auf dem Lager: ſo muͤßten die Zinſen des Capitals,
welches darinn ſteckt, auf das eine Stuͤck geſchlagen und dieſes
um ſo viel theurer verkauft werden, wo der Mann nicht zu
Grunde gehen will. Wir hingegen, die wir immer von ei-
nem Lande ins andre reiſen, und taͤglich Markt haben, ver-
kaufen immer, und koͤnnen um ſo viel wohlfeiler verkaufen,
je geſchwinder wir unſer Capital umſetzen. Wenn wir 1 p. C.
verdienen, und unſer Capital alle Monat von neuen anlegen:
ſo gewinnen wir mehr, als ein Kaufmann der 10 p. C. hat,
und kaum alle Jahr umſetzet. Denket aber nicht, daß es
damit genug ſey, wenn ihr uns blos den freyen Markt laſſet.
Ja, wenn eure alten Kreisſtaͤnde ſo klug geweſen waͤren, daß
ſie alle Jahrmaͤrkte in geographiſcher Ordnung angelegt haͤt-
ten: ſo daß wir um Lichtmeſſen von einem Punkt aus in ei-
ner Kette, immer von einem Jahrmarkt aufs andre ziehen,
und ſodann gegen Martini zu Hauſe ſeyn koͤnnten, ſo lieſſe
ſich das noch hoͤren. So aber gehn die Jahrmaͤrkte zick zack,
zehn Meile hin zehn Meile her; und bald muͤſſen wir 14
Tage bald achte in der Schenke liegen und unſer Geld ver-
zehren, wenn wir in der Zwiſchenzeit nichts verdienen, oder
von jedem Jahrmarkte nach Hauſe, und ſodann wieder auf
ein anders reiſen ſolten. Und wuͤrden wir dieſe Unkoſten
nicht auf die Waare legen, und folglich euch zur Laſt bringen
muͤſſen? Was ihr von euern Weibern und Toͤchtern ſagt,
daß dieſe ſich ſo leicht von uns beſchwatzen lieſſen, iſt eure
Schuld. Warum haltet ihr ſie nicht in beſſerer Zucht? Und
geſetzt, wir ſagten ihnen bisweilen ein Wort mehr als ſie von
andern hoͤren, ſind wir denn allein Diebe unſerer Nahrung?
Werdet ihr euch nicht in Ewigkeit Aderlaſſen und den Bart

ſcheren
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[226/0244] Schutzrede der Packentraͤger. ſchaffen, wohingegen ein Kaufmann, der dieſe zehn Doͤrfer verſorgen will, deren jedesmal nur ein oder zwey vorraͤthig haben kann, weil ihm der Abſatz von mehrern mangelt. Haͤtte er mehr auf dem Lager: ſo muͤßten die Zinſen des Capitals, welches darinn ſteckt, auf das eine Stuͤck geſchlagen und dieſes um ſo viel theurer verkauft werden, wo der Mann nicht zu Grunde gehen will. Wir hingegen, die wir immer von ei- nem Lande ins andre reiſen, und taͤglich Markt haben, ver- kaufen immer, und koͤnnen um ſo viel wohlfeiler verkaufen, je geſchwinder wir unſer Capital umſetzen. Wenn wir 1 p. C. verdienen, und unſer Capital alle Monat von neuen anlegen: ſo gewinnen wir mehr, als ein Kaufmann der 10 p. C. hat, und kaum alle Jahr umſetzet. Denket aber nicht, daß es damit genug ſey, wenn ihr uns blos den freyen Markt laſſet. Ja, wenn eure alten Kreisſtaͤnde ſo klug geweſen waͤren, daß ſie alle Jahrmaͤrkte in geographiſcher Ordnung angelegt haͤt- ten: ſo daß wir um Lichtmeſſen von einem Punkt aus in ei- ner Kette, immer von einem Jahrmarkt aufs andre ziehen, und ſodann gegen Martini zu Hauſe ſeyn koͤnnten, ſo lieſſe ſich das noch hoͤren. So aber gehn die Jahrmaͤrkte zick zack, zehn Meile hin zehn Meile her; und bald muͤſſen wir 14 Tage bald achte in der Schenke liegen und unſer Geld ver- zehren, wenn wir in der Zwiſchenzeit nichts verdienen, oder von jedem Jahrmarkte nach Hauſe, und ſodann wieder auf ein anders reiſen ſolten. Und wuͤrden wir dieſe Unkoſten nicht auf die Waare legen, und folglich euch zur Laſt bringen muͤſſen? Was ihr von euern Weibern und Toͤchtern ſagt, daß dieſe ſich ſo leicht von uns beſchwatzen lieſſen, iſt eure Schuld. Warum haltet ihr ſie nicht in beſſerer Zucht? Und geſetzt, wir ſagten ihnen bisweilen ein Wort mehr als ſie von andern hoͤren, ſind wir denn allein Diebe unſerer Nahrung? Werdet ihr euch nicht in Ewigkeit Aderlaſſen und den Bart ſcheren

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/244>, abgerufen am 07.05.2024.