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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

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Herrn Schwiegervater.

Hände stiehlt, mit einer schicklichern Kleidung vertauschen,
ohne darüber roth werden zu dürfen. Gott hat uns Mittel
gegeben; daher können wir es mit Anstand thun. Wir kön-
nen keinen glücklichern Gebrauch von unserm Vermögen ma-
chen, als wenn wir die schwachen Töchter, welchen nichts als
ein großes Exempel fehlet, vor der Versuchung bewahren in
gleiche Ausschweifung zu fallen. Die Mütter werden dich
preisen, und die Väter mit Vergnügen auf ihre Kinder sehen,
wenn sie solche nicht mehr als kostbare Zierpuppen betrachten
dürfen; und wie zärtlich, wie aufrichtig wird dir das min-
der beglückte aber auch ehrgeizige Mädgen danken, welches
sich jezt, da es ihm an dem Vermögen zu so vielen überflüßi-
gen Nothwendigkeiten fehlet, entweder versteckt, oder für
eine neue Frisur ihre Unschuld aufopfert. Alle unsere jetzi-
gen Moden haben blos das Verdienst des wunderbaren, des
ausschweiffenden und des kostbaren. Sie tragen nichts zur
Erhöhung deiner Reizungen bey. Diese werden vielmehr
nur versteckt, beladen, und auf eine recht gothische Art ver-
ziert. Neuigkeit und Einbildung haben zwar ihre Rechte;
und ich verlange nicht, daß du diese verleugnen mögest. Al-
lein hebe dich einmal aus dem Schwarm so vieler verdienst-
losen Affen. Erweitere deine Einbildung, und erwege, ob
nicht eine heroische Verachtung aller Modesclaven etwas eben
so neues, und eben so reizendes für deine Einbildung seyn
werde, als alles, was dein Kammermädgen mit einem diebi-
schen Blicke der Hofdame entwenden kann? Es ist jezt die
Mode a la grecque zu seyn; und diese solte in der edelsten
Ausbildung des menschlichen Körpers bestehen. ....

Ich weis nicht, wie mir dieses alles in einem Odem
vom Herzen fiel, und woher meine kleine Frau die Gedult
nahm, diesen lehrenden Ton zu ertragen. Inzwischen muß
ich ihr zum Ruhm bekennen, daß sie mir in allem Beyfall

gab;
A 2
Herrn Schwiegervater.

Haͤnde ſtiehlt, mit einer ſchicklichern Kleidung vertauſchen,
ohne daruͤber roth werden zu duͤrfen. Gott hat uns Mittel
gegeben; daher koͤnnen wir es mit Anſtand thun. Wir koͤn-
nen keinen gluͤcklichern Gebrauch von unſerm Vermoͤgen ma-
chen, als wenn wir die ſchwachen Toͤchter, welchen nichts als
ein großes Exempel fehlet, vor der Verſuchung bewahren in
gleiche Ausſchweifung zu fallen. Die Muͤtter werden dich
preiſen, und die Vaͤter mit Vergnuͤgen auf ihre Kinder ſehen,
wenn ſie ſolche nicht mehr als koſtbare Zierpuppen betrachten
duͤrfen; und wie zaͤrtlich, wie aufrichtig wird dir das min-
der begluͤckte aber auch ehrgeizige Maͤdgen danken, welches
ſich jezt, da es ihm an dem Vermoͤgen zu ſo vielen uͤberfluͤßi-
gen Nothwendigkeiten fehlet, entweder verſteckt, oder fuͤr
eine neue Friſur ihre Unſchuld aufopfert. Alle unſere jetzi-
gen Moden haben blos das Verdienſt des wunderbaren, des
ausſchweiffenden und des koſtbaren. Sie tragen nichts zur
Erhoͤhung deiner Reizungen bey. Dieſe werden vielmehr
nur verſteckt, beladen, und auf eine recht gothiſche Art ver-
ziert. Neuigkeit und Einbildung haben zwar ihre Rechte;
und ich verlange nicht, daß du dieſe verleugnen moͤgeſt. Al-
lein hebe dich einmal aus dem Schwarm ſo vieler verdienſt-
loſen Affen. Erweitere deine Einbildung, und erwege, ob
nicht eine heroiſche Verachtung aller Modeſclaven etwas eben
ſo neues, und eben ſo reizendes fuͤr deine Einbildung ſeyn
werde, als alles, was dein Kammermaͤdgen mit einem diebi-
ſchen Blicke der Hofdame entwenden kann? Es iſt jezt die
Mode a la grecque zu ſeyn; und dieſe ſolte in der edelſten
Ausbildung des menſchlichen Koͤrpers beſtehen. ....

Ich weis nicht, wie mir dieſes alles in einem Odem
vom Herzen fiel, und woher meine kleine Frau die Gedult
nahm, dieſen lehrenden Ton zu ertragen. Inzwiſchen muß
ich ihr zum Ruhm bekennen, daß ſie mir in allem Beyfall

gab;
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[3/0021] Herrn Schwiegervater. Haͤnde ſtiehlt, mit einer ſchicklichern Kleidung vertauſchen, ohne daruͤber roth werden zu duͤrfen. Gott hat uns Mittel gegeben; daher koͤnnen wir es mit Anſtand thun. Wir koͤn- nen keinen gluͤcklichern Gebrauch von unſerm Vermoͤgen ma- chen, als wenn wir die ſchwachen Toͤchter, welchen nichts als ein großes Exempel fehlet, vor der Verſuchung bewahren in gleiche Ausſchweifung zu fallen. Die Muͤtter werden dich preiſen, und die Vaͤter mit Vergnuͤgen auf ihre Kinder ſehen, wenn ſie ſolche nicht mehr als koſtbare Zierpuppen betrachten duͤrfen; und wie zaͤrtlich, wie aufrichtig wird dir das min- der begluͤckte aber auch ehrgeizige Maͤdgen danken, welches ſich jezt, da es ihm an dem Vermoͤgen zu ſo vielen uͤberfluͤßi- gen Nothwendigkeiten fehlet, entweder verſteckt, oder fuͤr eine neue Friſur ihre Unſchuld aufopfert. Alle unſere jetzi- gen Moden haben blos das Verdienſt des wunderbaren, des ausſchweiffenden und des koſtbaren. Sie tragen nichts zur Erhoͤhung deiner Reizungen bey. Dieſe werden vielmehr nur verſteckt, beladen, und auf eine recht gothiſche Art ver- ziert. Neuigkeit und Einbildung haben zwar ihre Rechte; und ich verlange nicht, daß du dieſe verleugnen moͤgeſt. Al- lein hebe dich einmal aus dem Schwarm ſo vieler verdienſt- loſen Affen. Erweitere deine Einbildung, und erwege, ob nicht eine heroiſche Verachtung aller Modeſclaven etwas eben ſo neues, und eben ſo reizendes fuͤr deine Einbildung ſeyn werde, als alles, was dein Kammermaͤdgen mit einem diebi- ſchen Blicke der Hofdame entwenden kann? Es iſt jezt die Mode a la grecque zu ſeyn; und dieſe ſolte in der edelſten Ausbildung des menſchlichen Koͤrpers beſtehen. .... Ich weis nicht, wie mir dieſes alles in einem Odem vom Herzen fiel, und woher meine kleine Frau die Gedult nahm, dieſen lehrenden Ton zu ertragen. Inzwiſchen muß ich ihr zum Ruhm bekennen, daß ſie mir in allem Beyfall gab; A 2

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/21>, abgerufen am 23.11.2024.