würde seinem Gutsherrn gern diese oder jene Gefälligkeit erweisen; wie mancher freyer Mann würde mit Vergnü- gen zu dieser oder jener gemeinen Unternehmung einen Beytrag thun: wie mancher Edelmann würde den Kirch- weg zu seiner Kirche in den vortreflichsten Stand setzen lassen, wenn er nicht befürchten müßte, dazu in der Folge als zu ei- ner Schuldigkeit angehalten zu werden? Der Richter frägt in einem zweifelten Falle gleich, wer den Weg das letzte- mal gebessert habe, und so verdammet er ihn sofort mit Vor- behalt seines Rechtes, ihn auch für dasmal zu bessern; und dieser Vorbehalt nützt ihm zu nichts, weil die Hauptsache sel- ten zu Ende kommt.
Dergleichen Unbequemlichkeiten kann durch Lotterien vorgebogen werden, so lange dieser Name ein redendes Zeug- niß bleibt, daß dasjenige, was einer darinn setzt, sein frey- williger Beytrag sey. Man öfnet also durch dieselbe allen freyen Personen einen Weg, ihre Großmuth und ihren Eyfer für das gemeine Beste ohne alle Gefahr für ihre Freyheit, zu zeigen. Man öfnet ihnen durch dieselbe einen Weg unge- zwungen, ungeschätzt und nach eignen Gefallen dem gemeinen Wesen zu Hülfe zu kommen. Man gelangt durch dieselbe an den Geldbeutel, welcher sich sonst noch bis hiezu der Steuer- anlage einigermaßen entzogen hat; und da die Begierde, plötz- lich reich zu werden, würklich alle Menschen mehr oder weni- ger in Versuchung führet: so lockt man sie dadurch gerade auf den Heerd, wo sie sich am liebsten zum gemeinen Besten fan- gen lassen. Was jene römische Rechtsgelahrsamkeit dadurch verdorben, daß sie das Wohlthun, das Mitleid, die Gast- freyheit und andre Tugenden furchtsam und zurückhaltend ge- macht hat, das kann durch diesen Weg einigermaßen wieder ersetzt und vergütet werden. Die Tugend hat keine eifrigere Verehrerin als die Thorheit, wenn diese ihre Rechnung dabey
fin-
Gedanken uͤber die vielen Lotterien.
wuͤrde ſeinem Gutsherrn gern dieſe oder jene Gefaͤlligkeit erweiſen; wie mancher freyer Mann wuͤrde mit Vergnuͤ- gen zu dieſer oder jener gemeinen Unternehmung einen Beytrag thun: wie mancher Edelmann wuͤrde den Kirch- weg zu ſeiner Kirche in den vortreflichſten Stand ſetzen laſſen, wenn er nicht befuͤrchten muͤßte, dazu in der Folge als zu ei- ner Schuldigkeit angehalten zu werden? Der Richter fraͤgt in einem zweifelten Falle gleich, wer den Weg das letzte- mal gebeſſert habe, und ſo verdammet er ihn ſofort mit Vor- behalt ſeines Rechtes, ihn auch fuͤr dasmal zu beſſern; und dieſer Vorbehalt nuͤtzt ihm zu nichts, weil die Hauptſache ſel- ten zu Ende kommt.
Dergleichen Unbequemlichkeiten kann durch Lotterien vorgebogen werden, ſo lange dieſer Name ein redendes Zeug- niß bleibt, daß dasjenige, was einer darinn ſetzt, ſein frey- williger Beytrag ſey. Man oͤfnet alſo durch dieſelbe allen freyen Perſonen einen Weg, ihre Großmuth und ihren Eyfer fuͤr das gemeine Beſte ohne alle Gefahr fuͤr ihre Freyheit, zu zeigen. Man oͤfnet ihnen durch dieſelbe einen Weg unge- zwungen, ungeſchaͤtzt und nach eignen Gefallen dem gemeinen Weſen zu Huͤlfe zu kommen. Man gelangt durch dieſelbe an den Geldbeutel, welcher ſich ſonſt noch bis hiezu der Steuer- anlage einigermaßen entzogen hat; und da die Begierde, ploͤtz- lich reich zu werden, wuͤrklich alle Menſchen mehr oder weni- ger in Verſuchung fuͤhret: ſo lockt man ſie dadurch gerade auf den Heerd, wo ſie ſich am liebſten zum gemeinen Beſten fan- gen laſſen. Was jene roͤmiſche Rechtsgelahrſamkeit dadurch verdorben, daß ſie das Wohlthun, das Mitleid, die Gaſt- freyheit und andre Tugenden furchtſam und zuruͤckhaltend ge- macht hat, das kann durch dieſen Weg einigermaßen wieder erſetzt und verguͤtet werden. Die Tugend hat keine eifrigere Verehrerin als die Thorheit, wenn dieſe ihre Rechnung dabey
fin-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0182"n="164"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Gedanken uͤber die vielen Lotterien.</hi></fw><lb/>
wuͤrde ſeinem Gutsherrn gern dieſe oder jene Gefaͤlligkeit<lb/>
erweiſen; wie mancher freyer Mann wuͤrde mit Vergnuͤ-<lb/>
gen zu dieſer oder jener gemeinen Unternehmung einen<lb/>
Beytrag thun: wie mancher Edelmann wuͤrde den Kirch-<lb/>
weg zu ſeiner Kirche in den vortreflichſten Stand ſetzen laſſen,<lb/>
wenn er nicht befuͤrchten muͤßte, dazu in der Folge als zu ei-<lb/>
ner Schuldigkeit angehalten zu werden? Der Richter fraͤgt<lb/>
in einem zweifelten Falle gleich, wer den Weg das letzte-<lb/>
mal gebeſſert habe, und ſo verdammet er ihn ſofort mit Vor-<lb/>
behalt ſeines Rechtes, ihn auch fuͤr dasmal zu beſſern; und<lb/>
dieſer Vorbehalt nuͤtzt ihm zu nichts, weil die Hauptſache ſel-<lb/>
ten zu Ende kommt.</p><lb/><p>Dergleichen Unbequemlichkeiten kann durch Lotterien<lb/>
vorgebogen werden, ſo lange dieſer Name ein redendes Zeug-<lb/>
niß bleibt, daß dasjenige, was einer darinn ſetzt, ſein frey-<lb/>
williger Beytrag ſey. Man oͤfnet alſo durch dieſelbe allen<lb/>
freyen Perſonen einen Weg, ihre Großmuth und ihren Eyfer<lb/>
fuͤr das gemeine Beſte ohne alle Gefahr fuͤr ihre Freyheit, zu<lb/>
zeigen. Man oͤfnet ihnen durch dieſelbe einen Weg unge-<lb/>
zwungen, ungeſchaͤtzt und nach eignen Gefallen dem gemeinen<lb/>
Weſen zu Huͤlfe zu kommen. Man gelangt durch dieſelbe an<lb/>
den Geldbeutel, welcher ſich ſonſt noch bis hiezu der Steuer-<lb/>
anlage einigermaßen entzogen hat; und da die Begierde, ploͤtz-<lb/>
lich reich zu werden, wuͤrklich alle Menſchen mehr oder weni-<lb/>
ger in Verſuchung fuͤhret: ſo lockt man ſie dadurch gerade auf<lb/>
den Heerd, wo ſie ſich am liebſten zum gemeinen Beſten fan-<lb/>
gen laſſen. Was jene roͤmiſche Rechtsgelahrſamkeit dadurch<lb/>
verdorben, daß ſie das Wohlthun, das Mitleid, die Gaſt-<lb/>
freyheit und andre Tugenden furchtſam und zuruͤckhaltend ge-<lb/>
macht hat, das kann durch dieſen Weg einigermaßen wieder<lb/>
erſetzt und verguͤtet werden. Die Tugend hat keine eifrigere<lb/>
Verehrerin als die Thorheit, wenn dieſe ihre Rechnung dabey<lb/><fwplace="bottom"type="catch">fin-</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[164/0182]
Gedanken uͤber die vielen Lotterien.
wuͤrde ſeinem Gutsherrn gern dieſe oder jene Gefaͤlligkeit
erweiſen; wie mancher freyer Mann wuͤrde mit Vergnuͤ-
gen zu dieſer oder jener gemeinen Unternehmung einen
Beytrag thun: wie mancher Edelmann wuͤrde den Kirch-
weg zu ſeiner Kirche in den vortreflichſten Stand ſetzen laſſen,
wenn er nicht befuͤrchten muͤßte, dazu in der Folge als zu ei-
ner Schuldigkeit angehalten zu werden? Der Richter fraͤgt
in einem zweifelten Falle gleich, wer den Weg das letzte-
mal gebeſſert habe, und ſo verdammet er ihn ſofort mit Vor-
behalt ſeines Rechtes, ihn auch fuͤr dasmal zu beſſern; und
dieſer Vorbehalt nuͤtzt ihm zu nichts, weil die Hauptſache ſel-
ten zu Ende kommt.
Dergleichen Unbequemlichkeiten kann durch Lotterien
vorgebogen werden, ſo lange dieſer Name ein redendes Zeug-
niß bleibt, daß dasjenige, was einer darinn ſetzt, ſein frey-
williger Beytrag ſey. Man oͤfnet alſo durch dieſelbe allen
freyen Perſonen einen Weg, ihre Großmuth und ihren Eyfer
fuͤr das gemeine Beſte ohne alle Gefahr fuͤr ihre Freyheit, zu
zeigen. Man oͤfnet ihnen durch dieſelbe einen Weg unge-
zwungen, ungeſchaͤtzt und nach eignen Gefallen dem gemeinen
Weſen zu Huͤlfe zu kommen. Man gelangt durch dieſelbe an
den Geldbeutel, welcher ſich ſonſt noch bis hiezu der Steuer-
anlage einigermaßen entzogen hat; und da die Begierde, ploͤtz-
lich reich zu werden, wuͤrklich alle Menſchen mehr oder weni-
ger in Verſuchung fuͤhret: ſo lockt man ſie dadurch gerade auf
den Heerd, wo ſie ſich am liebſten zum gemeinen Beſten fan-
gen laſſen. Was jene roͤmiſche Rechtsgelahrſamkeit dadurch
verdorben, daß ſie das Wohlthun, das Mitleid, die Gaſt-
freyheit und andre Tugenden furchtſam und zuruͤckhaltend ge-
macht hat, das kann durch dieſen Weg einigermaßen wieder
erſetzt und verguͤtet werden. Die Tugend hat keine eifrigere
Verehrerin als die Thorheit, wenn dieſe ihre Rechnung dabey
fin-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/182>, abgerufen am 27.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.