Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

Bild:
<< vorherige Seite

der Osnabrück. Unterth. zu dulden sey.
des Grabes wird. Der Bauer, in dessen Behausung der Er-
blaßte gewohnet, nimmt sich der zurückgebliebenen Waysen
an. Die Knaben machet er zu seine Schäfer, lernet sie mit
Pferden umgehen, und werden seine Knechte. Was gewin-
net er aber dadurch? Er muß es nur allzu spät erfahren, daß
er Schlangen in seinem eignen Busen genähret hat. Der
Knecht ist kaum der Kinderlehre entlaufen; so fängt er an
trotzig gegen seinen Brod-Herrn zu werden. Er spricht im
hohen Thone: Wollet ihr mir nicht 20 bis 24 Thl. Lohn, so
viele Ellen Hemde- und Wollenlaken nebst ein paar Schuhe
jährlich geben: adieu patrie! ich gehe nach Holland. Ver-
miethet sich ein auswärtiger Knecht bey einem hiesigen Bau-
ren, so fodert er obiges Lohn, und bedinget sich dabey einen
jährl. holländischen Gang ausdrücklich mit aus. Und eben
da ich dieses schreibe, hat kein Bauer seinen Knecht zu Hause,
sondern er mehet das wasserländische Gras ab. Die Mägde
fangen es jetzt eben so an. Können sie nicht 10 bis 12 Thlr.
Lohn, so viel Lein gesäet und so viel Stock Linnen jährlich er-
halten, so gehen sie in die holländischen Bleichen oder in die
Salzbrennereyen.

Ein wollüstiger Jüngling gehet nach jenen Oertern um
seine Leidenschaften zu befriedigen. Er hat sich in seinem
Geburtsorte ein Mädgen, oder auch eine junge Witwe auser-
sehen, der er aber zu schlecht ist, weil er nicht gut genug ge-
kleidet, und seine Umstände nicht brillant genug sind. Er
läuft nach den gülden Inseln, und arbeitet aus allen Kräften.
Alles was er verdienet, hängt er auf seinen Leib. Er kommt
als ein Stutzer wieder: ein modefärbigtes Kleid von hollän-
dischen Tuch bedecket ihn, große silberne Schnallen, womit
sich leicht drey behelfen könnten, spielen an seinen Füssen.
In diesem reitzenden Gewande gehet er zu seinem vorerwähl-
ten Schatz, wiederholet seine Anwerbung, ist glücklich und

sieget.
F 5

der Oſnabruͤck. Unterth. zu dulden ſey.
des Grabes wird. Der Bauer, in deſſen Behauſung der Er-
blaßte gewohnet, nimmt ſich der zuruͤckgebliebenen Wayſen
an. Die Knaben machet er zu ſeine Schaͤfer, lernet ſie mit
Pferden umgehen, und werden ſeine Knechte. Was gewin-
net er aber dadurch? Er muß es nur allzu ſpaͤt erfahren, daß
er Schlangen in ſeinem eignen Buſen genaͤhret hat. Der
Knecht iſt kaum der Kinderlehre entlaufen; ſo faͤngt er an
trotzig gegen ſeinen Brod-Herrn zu werden. Er ſpricht im
hohen Thone: Wollet ihr mir nicht 20 bis 24 Thl. Lohn, ſo
viele Ellen Hemde- und Wollenlaken nebſt ein paar Schuhe
jaͤhrlich geben: adieu patrie! ich gehe nach Holland. Ver-
miethet ſich ein auswaͤrtiger Knecht bey einem hieſigen Bau-
ren, ſo fodert er obiges Lohn, und bedinget ſich dabey einen
jaͤhrl. hollaͤndiſchen Gang ausdruͤcklich mit aus. Und eben
da ich dieſes ſchreibe, hat kein Bauer ſeinen Knecht zu Hauſe,
ſondern er mehet das waſſerlaͤndiſche Gras ab. Die Maͤgde
fangen es jetzt eben ſo an. Koͤnnen ſie nicht 10 bis 12 Thlr.
Lohn, ſo viel Lein geſaͤet und ſo viel Stock Linnen jaͤhrlich er-
halten, ſo gehen ſie in die hollaͤndiſchen Bleichen oder in die
Salzbrennereyen.

Ein wolluͤſtiger Juͤngling gehet nach jenen Oertern um
ſeine Leidenſchaften zu befriedigen. Er hat ſich in ſeinem
Geburtsorte ein Maͤdgen, oder auch eine junge Witwe auser-
ſehen, der er aber zu ſchlecht iſt, weil er nicht gut genug ge-
kleidet, und ſeine Umſtaͤnde nicht brillant genug ſind. Er
laͤuft nach den guͤlden Inſeln, und arbeitet aus allen Kraͤften.
Alles was er verdienet, haͤngt er auf ſeinen Leib. Er kommt
als ein Stutzer wieder: ein modefaͤrbigtes Kleid von hollaͤn-
diſchen Tuch bedecket ihn, große ſilberne Schnallen, womit
ſich leicht drey behelfen koͤnnten, ſpielen an ſeinen Fuͤſſen.
In dieſem reitzenden Gewande gehet er zu ſeinem vorerwaͤhl-
ten Schatz, wiederholet ſeine Anwerbung, iſt gluͤcklich und

ſieget.
F 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0107" n="89"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">der O&#x017F;nabru&#x0364;ck. Unterth. zu dulden &#x017F;ey.</hi></fw><lb/>
des Grabes wird. Der Bauer, in de&#x017F;&#x017F;en Behau&#x017F;ung der Er-<lb/>
blaßte gewohnet, nimmt &#x017F;ich der zuru&#x0364;ckgebliebenen Way&#x017F;en<lb/>
an. Die Knaben machet er zu &#x017F;eine Scha&#x0364;fer, lernet &#x017F;ie mit<lb/>
Pferden umgehen, und werden &#x017F;eine Knechte. Was gewin-<lb/>
net er aber dadurch? Er muß es nur allzu &#x017F;pa&#x0364;t erfahren, daß<lb/>
er Schlangen in &#x017F;einem eignen Bu&#x017F;en gena&#x0364;hret hat. Der<lb/>
Knecht i&#x017F;t kaum der Kinderlehre entlaufen; &#x017F;o fa&#x0364;ngt er an<lb/>
trotzig gegen &#x017F;einen Brod-Herrn zu werden. Er &#x017F;pricht im<lb/>
hohen Thone: Wollet ihr mir nicht 20 bis 24 Thl. Lohn, &#x017F;o<lb/>
viele Ellen Hemde- und Wollenlaken neb&#x017F;t ein paar Schuhe<lb/>
ja&#x0364;hrlich geben: adieu patrie! ich gehe nach Holland. Ver-<lb/>
miethet &#x017F;ich ein auswa&#x0364;rtiger Knecht bey einem hie&#x017F;igen Bau-<lb/>
ren, &#x017F;o fodert er obiges Lohn, und bedinget &#x017F;ich dabey einen<lb/>
ja&#x0364;hrl. holla&#x0364;ndi&#x017F;chen Gang ausdru&#x0364;cklich mit aus. Und eben<lb/>
da ich die&#x017F;es &#x017F;chreibe, hat kein Bauer &#x017F;einen Knecht zu Hau&#x017F;e,<lb/>
&#x017F;ondern er mehet das wa&#x017F;&#x017F;erla&#x0364;ndi&#x017F;che Gras ab. Die Ma&#x0364;gde<lb/>
fangen es jetzt eben &#x017F;o an. Ko&#x0364;nnen &#x017F;ie nicht 10 bis 12 Thlr.<lb/>
Lohn, &#x017F;o viel Lein ge&#x017F;a&#x0364;et und &#x017F;o viel Stock Linnen ja&#x0364;hrlich er-<lb/>
halten, &#x017F;o gehen &#x017F;ie in die holla&#x0364;ndi&#x017F;chen Bleichen oder in die<lb/>
Salzbrennereyen.</p><lb/>
        <p>Ein wollu&#x0364;&#x017F;tiger Ju&#x0364;ngling gehet nach jenen Oertern um<lb/>
&#x017F;eine Leiden&#x017F;chaften zu befriedigen. Er hat &#x017F;ich in &#x017F;einem<lb/>
Geburtsorte ein Ma&#x0364;dgen, oder auch eine junge Witwe auser-<lb/>
&#x017F;ehen, der er aber zu &#x017F;chlecht i&#x017F;t, weil er nicht gut genug ge-<lb/>
kleidet, und &#x017F;eine Um&#x017F;ta&#x0364;nde nicht brillant genug &#x017F;ind. Er<lb/>
la&#x0364;uft nach den gu&#x0364;lden In&#x017F;eln, und arbeitet aus allen Kra&#x0364;ften.<lb/>
Alles was er verdienet, ha&#x0364;ngt er auf &#x017F;einen Leib. Er kommt<lb/>
als ein Stutzer wieder: ein modefa&#x0364;rbigtes Kleid von holla&#x0364;n-<lb/>
di&#x017F;chen Tuch bedecket ihn, große &#x017F;ilberne Schnallen, womit<lb/>
&#x017F;ich leicht drey behelfen ko&#x0364;nnten, &#x017F;pielen an &#x017F;einen Fu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
In die&#x017F;em reitzenden Gewande gehet er zu &#x017F;einem vorerwa&#x0364;hl-<lb/>
ten Schatz, wiederholet &#x017F;eine Anwerbung, i&#x017F;t glu&#x0364;cklich und<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">F 5</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ieget.</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[89/0107] der Oſnabruͤck. Unterth. zu dulden ſey. des Grabes wird. Der Bauer, in deſſen Behauſung der Er- blaßte gewohnet, nimmt ſich der zuruͤckgebliebenen Wayſen an. Die Knaben machet er zu ſeine Schaͤfer, lernet ſie mit Pferden umgehen, und werden ſeine Knechte. Was gewin- net er aber dadurch? Er muß es nur allzu ſpaͤt erfahren, daß er Schlangen in ſeinem eignen Buſen genaͤhret hat. Der Knecht iſt kaum der Kinderlehre entlaufen; ſo faͤngt er an trotzig gegen ſeinen Brod-Herrn zu werden. Er ſpricht im hohen Thone: Wollet ihr mir nicht 20 bis 24 Thl. Lohn, ſo viele Ellen Hemde- und Wollenlaken nebſt ein paar Schuhe jaͤhrlich geben: adieu patrie! ich gehe nach Holland. Ver- miethet ſich ein auswaͤrtiger Knecht bey einem hieſigen Bau- ren, ſo fodert er obiges Lohn, und bedinget ſich dabey einen jaͤhrl. hollaͤndiſchen Gang ausdruͤcklich mit aus. Und eben da ich dieſes ſchreibe, hat kein Bauer ſeinen Knecht zu Hauſe, ſondern er mehet das waſſerlaͤndiſche Gras ab. Die Maͤgde fangen es jetzt eben ſo an. Koͤnnen ſie nicht 10 bis 12 Thlr. Lohn, ſo viel Lein geſaͤet und ſo viel Stock Linnen jaͤhrlich er- halten, ſo gehen ſie in die hollaͤndiſchen Bleichen oder in die Salzbrennereyen. Ein wolluͤſtiger Juͤngling gehet nach jenen Oertern um ſeine Leidenſchaften zu befriedigen. Er hat ſich in ſeinem Geburtsorte ein Maͤdgen, oder auch eine junge Witwe auser- ſehen, der er aber zu ſchlecht iſt, weil er nicht gut genug ge- kleidet, und ſeine Umſtaͤnde nicht brillant genug ſind. Er laͤuft nach den guͤlden Inſeln, und arbeitet aus allen Kraͤften. Alles was er verdienet, haͤngt er auf ſeinen Leib. Er kommt als ein Stutzer wieder: ein modefaͤrbigtes Kleid von hollaͤn- diſchen Tuch bedecket ihn, große ſilberne Schnallen, womit ſich leicht drey behelfen koͤnnten, ſpielen an ſeinen Fuͤſſen. In dieſem reitzenden Gewande gehet er zu ſeinem vorerwaͤhl- ten Schatz, wiederholet ſeine Anwerbung, iſt gluͤcklich und ſieget. F 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/107
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/107>, abgerufen am 02.05.2024.