Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

Bild:
<< vorherige Seite

Ob das häufige Hollandgehen
bohrnen Oberherrn mit Gut und Blut zu weihen, schuldig
wären. Der Undankbare gehet inzwischen hin, und der el-
terliche Seegen wird ihm mitgetheilet. Gott fodert nach et-
lichen Jahren seinen Vater ab, die Mutter wird in den be-
trübten Wittwenstand gesetzet, und die kleinen Kinder verway-
sen. Sie schreibt an ihren Sohn in Holland, er möchte zu
Hause kommen und helfen ihr arbeiten; sie predigt aber tau-
ben Ohren. Der Sohn meldet: Ich habe ein Weib genom-
men, drum kann ich nicht kommen, und weil ich selber Kin-
der habe, so kann ich euch auch nicht mit Gelde unterstützen.
Das ist denn der Dank, den der Sohn seiner trostlosen Mut-
ter beweiset, die sich denn vor Gram, Kummer und über-
mäßiger Arbeit viel zu früh ihr eigen Grab zubereitet.

Ich komme zu der zweyten Gattung dieser Art Leute,
welche drey Theile des Jahrs in Holland zubringet. Und das
ist eben die betrieglichste Sorte von Menschen, die unserm
Lande so viel Schaden bringen, welches ich meinen Lesern
deutlich vor Augen legen will. Es würde zwar zu einem
glänzenden Vorzuge gereichen, wenn der berühmte Hr. D.
Büsching in seiner neuen Erdbeschreibung von unserm Hoch-
stifte berichtet, daß die Unterthanen desselben jährlich so viel
tausend Gulden aus Holland hereinschleppen, zu welchen
man sagen müßte: Quis potest resistere tot armatis? Allein
es ist nicht alles Gold, was glänzet. Nach der genauesten
Erkundigung, bringet ein arbeitsamer und schonender Mensch
in seiner 40wöchigen Abwesenheit 100. Gulden zu Hause,
und das ist das allerhöchste, was er baar haben kann. Wie
glücklich wäre er, wenn er alles für reinen Profit halten
könnte. Es muß aber ein nicht geringes Rabat gemacht wer-
den. Ein solcher Arbeiter kaufet sich jährlich ein Schwein
und mästet solches von seinem Boden, weil er alle Jahr keine
Baum-Mast haben kann. Speck und Schinken dürfen nicht

ange-

Ob das haͤufige Hollandgehen
bohrnen Oberherrn mit Gut und Blut zu weihen, ſchuldig
waͤren. Der Undankbare gehet inzwiſchen hin, und der el-
terliche Seegen wird ihm mitgetheilet. Gott fodert nach et-
lichen Jahren ſeinen Vater ab, die Mutter wird in den be-
truͤbten Wittwenſtand geſetzet, und die kleinen Kinder verway-
ſen. Sie ſchreibt an ihren Sohn in Holland, er moͤchte zu
Hauſe kommen und helfen ihr arbeiten; ſie predigt aber tau-
ben Ohren. Der Sohn meldet: Ich habe ein Weib genom-
men, drum kann ich nicht kommen, und weil ich ſelber Kin-
der habe, ſo kann ich euch auch nicht mit Gelde unterſtuͤtzen.
Das iſt denn der Dank, den der Sohn ſeiner troſtloſen Mut-
ter beweiſet, die ſich denn vor Gram, Kummer und uͤber-
maͤßiger Arbeit viel zu fruͤh ihr eigen Grab zubereitet.

Ich komme zu der zweyten Gattung dieſer Art Leute,
welche drey Theile des Jahrs in Holland zubringet. Und das
iſt eben die betrieglichſte Sorte von Menſchen, die unſerm
Lande ſo viel Schaden bringen, welches ich meinen Leſern
deutlich vor Augen legen will. Es wuͤrde zwar zu einem
glaͤnzenden Vorzuge gereichen, wenn der beruͤhmte Hr. D.
Buͤſching in ſeiner neuen Erdbeſchreibung von unſerm Hoch-
ſtifte berichtet, daß die Unterthanen deſſelben jaͤhrlich ſo viel
tauſend Gulden aus Holland hereinſchleppen, zu welchen
man ſagen muͤßte: Quis poteſt reſiſtere tot armatis? Allein
es iſt nicht alles Gold, was glaͤnzet. Nach der genaueſten
Erkundigung, bringet ein arbeitſamer und ſchonender Menſch
in ſeiner 40woͤchigen Abweſenheit 100. Gulden zu Hauſe,
und das iſt das allerhoͤchſte, was er baar haben kann. Wie
gluͤcklich waͤre er, wenn er alles fuͤr reinen Profit halten
koͤnnte. Es muß aber ein nicht geringes Rabat gemacht wer-
den. Ein ſolcher Arbeiter kaufet ſich jaͤhrlich ein Schwein
und maͤſtet ſolches von ſeinem Boden, weil er alle Jahr keine
Baum-Maſt haben kann. Speck und Schinken duͤrfen nicht

ange-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0104" n="86"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Ob das ha&#x0364;ufige Hollandgehen</hi></fw><lb/>
bohrnen Oberherrn mit Gut und Blut zu weihen, &#x017F;chuldig<lb/>
wa&#x0364;ren. Der Undankbare gehet inzwi&#x017F;chen hin, und der el-<lb/>
terliche Seegen wird ihm mitgetheilet. Gott fodert nach et-<lb/>
lichen Jahren &#x017F;einen Vater ab, die Mutter wird in den be-<lb/>
tru&#x0364;bten Wittwen&#x017F;tand ge&#x017F;etzet, und die kleinen Kinder verway-<lb/>
&#x017F;en. Sie &#x017F;chreibt an ihren Sohn in Holland, er mo&#x0364;chte zu<lb/>
Hau&#x017F;e kommen und helfen ihr arbeiten; &#x017F;ie predigt aber tau-<lb/>
ben Ohren. Der Sohn meldet: Ich habe ein Weib genom-<lb/>
men, drum kann ich nicht kommen, und weil ich &#x017F;elber Kin-<lb/>
der habe, &#x017F;o kann ich euch auch nicht mit Gelde unter&#x017F;tu&#x0364;tzen.<lb/>
Das i&#x017F;t denn der Dank, den der Sohn &#x017F;einer tro&#x017F;tlo&#x017F;en Mut-<lb/>
ter bewei&#x017F;et, die &#x017F;ich denn vor Gram, Kummer und u&#x0364;ber-<lb/>
ma&#x0364;ßiger Arbeit viel zu fru&#x0364;h ihr eigen Grab zubereitet.</p><lb/>
        <p>Ich komme zu der zweyten Gattung die&#x017F;er Art Leute,<lb/>
welche drey Theile des Jahrs in Holland zubringet. Und das<lb/>
i&#x017F;t eben die betrieglich&#x017F;te Sorte von Men&#x017F;chen, die un&#x017F;erm<lb/>
Lande &#x017F;o viel Schaden bringen, welches ich meinen Le&#x017F;ern<lb/>
deutlich vor Augen legen will. Es wu&#x0364;rde zwar zu einem<lb/>
gla&#x0364;nzenden Vorzuge gereichen, wenn der beru&#x0364;hmte Hr. D.<lb/>
Bu&#x0364;&#x017F;ching in &#x017F;einer neuen Erdbe&#x017F;chreibung von un&#x017F;erm Hoch-<lb/>
&#x017F;tifte berichtet, daß die Unterthanen de&#x017F;&#x017F;elben ja&#x0364;hrlich &#x017F;o viel<lb/>
tau&#x017F;end Gulden aus Holland herein&#x017F;chleppen, zu welchen<lb/>
man &#x017F;agen mu&#x0364;ßte: <hi rendition="#aq">Quis pote&#x017F;t re&#x017F;i&#x017F;tere tot armatis?</hi> Allein<lb/>
es i&#x017F;t nicht alles Gold, was gla&#x0364;nzet. Nach der genaue&#x017F;ten<lb/>
Erkundigung, bringet ein arbeit&#x017F;amer und &#x017F;chonender Men&#x017F;ch<lb/>
in &#x017F;einer 40wo&#x0364;chigen Abwe&#x017F;enheit 100. Gulden zu Hau&#x017F;e,<lb/>
und das i&#x017F;t das allerho&#x0364;ch&#x017F;te, was er baar haben kann. Wie<lb/>
glu&#x0364;cklich wa&#x0364;re er, wenn er alles fu&#x0364;r reinen Profit halten<lb/>
ko&#x0364;nnte. Es muß aber ein nicht geringes Rabat gemacht wer-<lb/>
den. Ein &#x017F;olcher Arbeiter kaufet &#x017F;ich ja&#x0364;hrlich ein Schwein<lb/>
und ma&#x0364;&#x017F;tet &#x017F;olches von &#x017F;einem Boden, weil er alle Jahr keine<lb/>
Baum-Ma&#x017F;t haben kann. Speck und Schinken du&#x0364;rfen nicht<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ange-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[86/0104] Ob das haͤufige Hollandgehen bohrnen Oberherrn mit Gut und Blut zu weihen, ſchuldig waͤren. Der Undankbare gehet inzwiſchen hin, und der el- terliche Seegen wird ihm mitgetheilet. Gott fodert nach et- lichen Jahren ſeinen Vater ab, die Mutter wird in den be- truͤbten Wittwenſtand geſetzet, und die kleinen Kinder verway- ſen. Sie ſchreibt an ihren Sohn in Holland, er moͤchte zu Hauſe kommen und helfen ihr arbeiten; ſie predigt aber tau- ben Ohren. Der Sohn meldet: Ich habe ein Weib genom- men, drum kann ich nicht kommen, und weil ich ſelber Kin- der habe, ſo kann ich euch auch nicht mit Gelde unterſtuͤtzen. Das iſt denn der Dank, den der Sohn ſeiner troſtloſen Mut- ter beweiſet, die ſich denn vor Gram, Kummer und uͤber- maͤßiger Arbeit viel zu fruͤh ihr eigen Grab zubereitet. Ich komme zu der zweyten Gattung dieſer Art Leute, welche drey Theile des Jahrs in Holland zubringet. Und das iſt eben die betrieglichſte Sorte von Menſchen, die unſerm Lande ſo viel Schaden bringen, welches ich meinen Leſern deutlich vor Augen legen will. Es wuͤrde zwar zu einem glaͤnzenden Vorzuge gereichen, wenn der beruͤhmte Hr. D. Buͤſching in ſeiner neuen Erdbeſchreibung von unſerm Hoch- ſtifte berichtet, daß die Unterthanen deſſelben jaͤhrlich ſo viel tauſend Gulden aus Holland hereinſchleppen, zu welchen man ſagen muͤßte: Quis poteſt reſiſtere tot armatis? Allein es iſt nicht alles Gold, was glaͤnzet. Nach der genaueſten Erkundigung, bringet ein arbeitſamer und ſchonender Menſch in ſeiner 40woͤchigen Abweſenheit 100. Gulden zu Hauſe, und das iſt das allerhoͤchſte, was er baar haben kann. Wie gluͤcklich waͤre er, wenn er alles fuͤr reinen Profit halten koͤnnte. Es muß aber ein nicht geringes Rabat gemacht wer- den. Ein ſolcher Arbeiter kaufet ſich jaͤhrlich ein Schwein und maͤſtet ſolches von ſeinem Boden, weil er alle Jahr keine Baum-Maſt haben kann. Speck und Schinken duͤrfen nicht ange-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/104
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/104>, abgerufen am 25.11.2024.