Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Osnabrückische Geschichte. Osnabrück, 1768.

Bild:
<< vorherige Seite

Vorrede.
sten Weg eingeschlagen bin, manches auf eine neue
Art gewandt und viele historische Wahrheiten mögli-
licher und wahrscheinlicher erzählet zu haben, als an-
dre, welche entweder mit Sammlen den Anfang ma-
chen, und dann mit ermüdetem Geiste die Feder an-
setzen, oder nur blos ein schlechtes Gebäude verbessern.

Vielleicht habe ich auch darin gefehlet, daß ich die
Charakter der vorkommenden Personen niemals in ei-
nem besondern Gemählde entworfen, und nur sehr sel-
ten einige Betrachtungen mit eingestreuet habe. Jch
bin aber gewiß, daß die erstern sehr viel von meiner
eignen Erfindung behalten haben würden, und halte
in Ansehung der letztern dafür, daß in der Geschichte,
so wie auf einem Gemählde blos die Thaten reden,
und Eindruck, Betrachtung und Urthel jedem Zu-
schauer eigen bleiben müssen. Jm Alter, und fast in
jeder Periode des Lebens sehen wir die Begebenheiten
von einer ganz andern Seite an, machen ganz neue
Betrachtungen darüber, und vertragen diejenigen
nicht mehr, welche uns in jüngern Jahren die präch-
tigsten schienen. Daher thut in der Geschichte die
Handlung, wenn sie moralisch vorgestellet oder mit
ihren Ursachen und Folgen erzählet wird, und schnell
und stark fortgehet eben das was sie auf der Schau-
bühne thut. Sie erweckt, nährt und füllet die Auf-
merksamkeit der Zuschauer mehr als alle dabey ange-
brachte Sittenlehre; die oft zur Unzeit eine Thräne von
demjenigen fordert, der über die Handlung lachen
muß.

Jch habe mir auch wohl nicht wenig geschadet, daß

ich

Vorrede.
ſten Weg eingeſchlagen bin, manches auf eine neue
Art gewandt und viele hiſtoriſche Wahrheiten moͤgli-
licher und wahrſcheinlicher erzaͤhlet zu haben, als an-
dre, welche entweder mit Sammlen den Anfang ma-
chen, und dann mit ermuͤdetem Geiſte die Feder an-
ſetzen, oder nur blos ein ſchlechtes Gebaͤude verbeſſern.

Vielleicht habe ich auch darin gefehlet, daß ich die
Charakter der vorkommenden Perſonen niemals in ei-
nem beſondern Gemaͤhlde entworfen, und nur ſehr ſel-
ten einige Betrachtungen mit eingeſtreuet habe. Jch
bin aber gewiß, daß die erſtern ſehr viel von meiner
eignen Erfindung behalten haben wuͤrden, und halte
in Anſehung der letztern dafuͤr, daß in der Geſchichte,
ſo wie auf einem Gemaͤhlde blos die Thaten reden,
und Eindruck, Betrachtung und Urthel jedem Zu-
ſchauer eigen bleiben muͤſſen. Jm Alter, und faſt in
jeder Periode des Lebens ſehen wir die Begebenheiten
von einer ganz andern Seite an, machen ganz neue
Betrachtungen daruͤber, und vertragen diejenigen
nicht mehr, welche uns in juͤngern Jahren die praͤch-
tigſten ſchienen. Daher thut in der Geſchichte die
Handlung, wenn ſie moraliſch vorgeſtellet oder mit
ihren Urſachen und Folgen erzaͤhlet wird, und ſchnell
und ſtark fortgehet eben das was ſie auf der Schau-
buͤhne thut. Sie erweckt, naͤhrt und fuͤllet die Auf-
merkſamkeit der Zuſchauer mehr als alle dabey ange-
brachte Sittenlehre; die oft zur Unzeit eine Thraͤne von
demjenigen fordert, der uͤber die Handlung lachen
muß.

Jch habe mir auch wohl nicht wenig geſchadet, daß

ich
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0012"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Vorrede.</hi></fw><lb/>
&#x017F;ten Weg einge&#x017F;chlagen bin, manches auf eine neue<lb/>
Art gewandt und viele hi&#x017F;tori&#x017F;che Wahrheiten mo&#x0364;gli-<lb/>
licher und wahr&#x017F;cheinlicher erza&#x0364;hlet zu haben, als an-<lb/>
dre, welche entweder mit Sammlen den Anfang ma-<lb/>
chen, und dann mit ermu&#x0364;detem Gei&#x017F;te die Feder an-<lb/>
&#x017F;etzen, oder nur blos ein &#x017F;chlechtes Geba&#x0364;ude verbe&#x017F;&#x017F;ern.</p><lb/>
        <p>Vielleicht habe ich auch darin gefehlet, daß ich die<lb/>
Charakter der vorkommenden Per&#x017F;onen niemals in ei-<lb/>
nem be&#x017F;ondern Gema&#x0364;hlde entworfen, und nur &#x017F;ehr &#x017F;el-<lb/>
ten einige Betrachtungen mit einge&#x017F;treuet habe. Jch<lb/>
bin aber gewiß, daß die er&#x017F;tern &#x017F;ehr viel von meiner<lb/>
eignen Erfindung behalten haben wu&#x0364;rden, und halte<lb/>
in An&#x017F;ehung der letztern dafu&#x0364;r, daß in der Ge&#x017F;chichte,<lb/>
&#x017F;o wie auf einem Gema&#x0364;hlde blos die Thaten reden,<lb/>
und Eindruck, Betrachtung und Urthel jedem Zu-<lb/>
&#x017F;chauer eigen bleiben mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. Jm Alter, und fa&#x017F;t in<lb/>
jeder Periode des Lebens &#x017F;ehen wir die Begebenheiten<lb/>
von einer ganz andern Seite an, machen ganz neue<lb/>
Betrachtungen daru&#x0364;ber, und vertragen diejenigen<lb/>
nicht mehr, welche uns in ju&#x0364;ngern Jahren die pra&#x0364;ch-<lb/>
tig&#x017F;ten &#x017F;chienen. Daher thut in der Ge&#x017F;chichte die<lb/><hi rendition="#fr">Handlung,</hi> wenn &#x017F;ie morali&#x017F;ch vorge&#x017F;tellet oder mit<lb/>
ihren Ur&#x017F;achen und Folgen erza&#x0364;hlet wird, und &#x017F;chnell<lb/>
und &#x017F;tark fortgehet eben das was &#x017F;ie auf der Schau-<lb/>
bu&#x0364;hne thut. Sie erweckt, na&#x0364;hrt und fu&#x0364;llet die Auf-<lb/>
merk&#x017F;amkeit der Zu&#x017F;chauer mehr als alle dabey ange-<lb/>
brachte Sittenlehre; die oft zur Unzeit eine Thra&#x0364;ne von<lb/>
demjenigen fordert, der u&#x0364;ber die Handlung lachen<lb/>
muß.</p><lb/>
        <p>Jch habe mir auch wohl nicht wenig ge&#x017F;chadet, daß<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ich</fw><lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[0012] Vorrede. ſten Weg eingeſchlagen bin, manches auf eine neue Art gewandt und viele hiſtoriſche Wahrheiten moͤgli- licher und wahrſcheinlicher erzaͤhlet zu haben, als an- dre, welche entweder mit Sammlen den Anfang ma- chen, und dann mit ermuͤdetem Geiſte die Feder an- ſetzen, oder nur blos ein ſchlechtes Gebaͤude verbeſſern. Vielleicht habe ich auch darin gefehlet, daß ich die Charakter der vorkommenden Perſonen niemals in ei- nem beſondern Gemaͤhlde entworfen, und nur ſehr ſel- ten einige Betrachtungen mit eingeſtreuet habe. Jch bin aber gewiß, daß die erſtern ſehr viel von meiner eignen Erfindung behalten haben wuͤrden, und halte in Anſehung der letztern dafuͤr, daß in der Geſchichte, ſo wie auf einem Gemaͤhlde blos die Thaten reden, und Eindruck, Betrachtung und Urthel jedem Zu- ſchauer eigen bleiben muͤſſen. Jm Alter, und faſt in jeder Periode des Lebens ſehen wir die Begebenheiten von einer ganz andern Seite an, machen ganz neue Betrachtungen daruͤber, und vertragen diejenigen nicht mehr, welche uns in juͤngern Jahren die praͤch- tigſten ſchienen. Daher thut in der Geſchichte die Handlung, wenn ſie moraliſch vorgeſtellet oder mit ihren Urſachen und Folgen erzaͤhlet wird, und ſchnell und ſtark fortgehet eben das was ſie auf der Schau- buͤhne thut. Sie erweckt, naͤhrt und fuͤllet die Auf- merkſamkeit der Zuſchauer mehr als alle dabey ange- brachte Sittenlehre; die oft zur Unzeit eine Thraͤne von demjenigen fordert, der uͤber die Handlung lachen muß. Jch habe mir auch wohl nicht wenig geſchadet, daß ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_osnabrueck_1768
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_osnabrueck_1768/12
Zitationshilfe: Möser, Justus: Osnabrückische Geschichte. Osnabrück, 1768, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_osnabrueck_1768/12>, abgerufen am 21.11.2024.