Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

Leopold ging unter tiefen Betrachtungen nach
der Stadt zurück. Er kommt an dem Garten des wun-
derlichen Hofraths vorbei. Der Liebling des Leztern,
ein zahmer Staar, sizt auf dem Spitz-Dache eines Pump-
brunnens, über den sich eine Trauerweide neigt. Der
Vogel stimmt, eben wie Leopold vorüber will, sein
Stückchen an, mit einem spöttischen Zwischenruf, der
offenbar ihm gilt: "Es reiten drei -- Spitzbub -- zum
Thore hinaus;" zugleich wird das gepuderte Haupt
des Hofraths sichtbar; derselbe ersucht den Bildhauer,
einen Augenblick hereinzutreten. "Ich habe eine Neuig-
keit," sagt er, "über deren angenehmen Inhalt Sie wohl
dem Flegel da droben seine Unart vergessen werden.
Monsieur Larkens wurde den Morgen schnell zu
einem Verhöre berufen. Man darf sich auf ein er-
wünschtes Resultat gefaßt halten; mir ward nur en
passant und ganz im Allgemeinen, jedoch von sicherer
Hand ein Wink gegeben. Bringen Sie den Leutchen
diesen Trost, sagen es aber nicht weiter." Voll Freu-
den dankte der Bildhauer und wollte eilends gehn, als
der Hofrath, der heute seinen schönen Tag hatte, ihn
noch am Rockknopf festhielt und sagte: "Widmen Sie
doch dem Burschen da droben noch einen Blick! Be-


Leopold ging unter tiefen Betrachtungen nach
der Stadt zurück. Er kommt an dem Garten des wun-
derlichen Hofraths vorbei. Der Liebling des Leztern,
ein zahmer Staar, ſizt auf dem Spitz-Dache eines Pump-
brunnens, über den ſich eine Trauerweide neigt. Der
Vogel ſtimmt, eben wie Leopold vorüber will, ſein
Stückchen an, mit einem ſpöttiſchen Zwiſchenruf, der
offenbar ihm gilt: „Es reiten drei — Spitzbub — zum
Thore hinaus;“ zugleich wird das gepuderte Haupt
des Hofraths ſichtbar; derſelbe erſucht den Bildhauer,
einen Augenblick hereinzutreten. „Ich habe eine Neuig-
keit,“ ſagt er, „über deren angenehmen Inhalt Sie wohl
dem Flegel da droben ſeine Unart vergeſſen werden.
Monſieur Larkens wurde den Morgen ſchnell zu
einem Verhöre berufen. Man darf ſich auf ein er-
wünſchtes Reſultat gefaßt halten; mir ward nur en
paſſant und ganz im Allgemeinen, jedoch von ſicherer
Hand ein Wink gegeben. Bringen Sie den Leutchen
dieſen Troſt, ſagen es aber nicht weiter.“ Voll Freu-
den dankte der Bildhauer und wollte eilends gehn, als
der Hofrath, der heute ſeinen ſchönen Tag hatte, ihn
noch am Rockknopf feſthielt und ſagte: „Widmen Sie
doch dem Burſchen da droben noch einen Blick! Be-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0009" n="[323]"/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      <div n="1">
        <head/>
        <div n="2">
          <head/>
          <p><hi rendition="#g">Leopold</hi> ging unter tiefen Betrachtungen nach<lb/>
der Stadt zurück. Er kommt an dem Garten des wun-<lb/>
derlichen Hofraths vorbei. Der Liebling des Leztern,<lb/>
ein zahmer Staar, &#x017F;izt auf dem Spitz-Dache eines Pump-<lb/>
brunnens, über den &#x017F;ich eine Trauerweide neigt. Der<lb/>
Vogel &#x017F;timmt, eben wie <hi rendition="#g">Leopold</hi> vorüber will, &#x017F;ein<lb/>
Stückchen an, mit einem &#x017F;pötti&#x017F;chen Zwi&#x017F;chenruf, der<lb/>
offenbar ihm gilt: &#x201E;Es reiten drei &#x2014; Spitzbub &#x2014; zum<lb/>
Thore hinaus;&#x201C; zugleich wird das gepuderte Haupt<lb/>
des Hofraths &#x017F;ichtbar; der&#x017F;elbe er&#x017F;ucht den Bildhauer,<lb/>
einen Augenblick hereinzutreten. &#x201E;Ich habe eine Neuig-<lb/>
keit,&#x201C; &#x017F;agt er, &#x201E;über deren angenehmen Inhalt Sie wohl<lb/>
dem Flegel da droben &#x017F;eine Unart verge&#x017F;&#x017F;en werden.<lb/>
Mon&#x017F;ieur <hi rendition="#g">Larkens</hi> wurde den Morgen &#x017F;chnell zu<lb/>
einem Verhöre berufen. Man darf &#x017F;ich auf ein er-<lb/>
wün&#x017F;chtes Re&#x017F;ultat gefaßt halten; mir ward nur en<lb/>
pa&#x017F;&#x017F;ant und ganz im Allgemeinen, jedoch von &#x017F;icherer<lb/>
Hand ein Wink gegeben. Bringen Sie den Leutchen<lb/>
die&#x017F;en Tro&#x017F;t, &#x017F;agen es aber nicht weiter.&#x201C; Voll Freu-<lb/>
den dankte der Bildhauer und wollte eilends gehn, als<lb/>
der Hofrath, der heute &#x017F;einen &#x017F;chönen Tag hatte, ihn<lb/>
noch am Rockknopf fe&#x017F;thielt und &#x017F;agte: &#x201E;Widmen Sie<lb/>
doch dem Bur&#x017F;chen da droben noch einen Blick! Be-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[323]/0009] Leopold ging unter tiefen Betrachtungen nach der Stadt zurück. Er kommt an dem Garten des wun- derlichen Hofraths vorbei. Der Liebling des Leztern, ein zahmer Staar, ſizt auf dem Spitz-Dache eines Pump- brunnens, über den ſich eine Trauerweide neigt. Der Vogel ſtimmt, eben wie Leopold vorüber will, ſein Stückchen an, mit einem ſpöttiſchen Zwiſchenruf, der offenbar ihm gilt: „Es reiten drei — Spitzbub — zum Thore hinaus;“ zugleich wird das gepuderte Haupt des Hofraths ſichtbar; derſelbe erſucht den Bildhauer, einen Augenblick hereinzutreten. „Ich habe eine Neuig- keit,“ ſagt er, „über deren angenehmen Inhalt Sie wohl dem Flegel da droben ſeine Unart vergeſſen werden. Monſieur Larkens wurde den Morgen ſchnell zu einem Verhöre berufen. Man darf ſich auf ein er- wünſchtes Reſultat gefaßt halten; mir ward nur en paſſant und ganz im Allgemeinen, jedoch von ſicherer Hand ein Wink gegeben. Bringen Sie den Leutchen dieſen Troſt, ſagen es aber nicht weiter.“ Voll Freu- den dankte der Bildhauer und wollte eilends gehn, als der Hofrath, der heute ſeinen ſchönen Tag hatte, ihn noch am Rockknopf feſthielt und ſagte: „Widmen Sie doch dem Burſchen da droben noch einen Blick! Be-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/9
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. [323]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/9>, abgerufen am 20.04.2024.