Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

einiger Schalkheit gerne den Geheimnißvollen spiele,
achtete wenig auf diese dunkeln Winke, obgleich dem
guten Manne die Rührung sichtlich aus den Augen
sprach.

Sein lezter Ausgang am Schluß der vielgeschäf-
tigen Woche war zu der Gouvernantin. Unglückli-
cher Weise war eben Gesellschaft dort und die liebens-
würdige Frau konnte ihm nur wenige Augenblicke
allein auf ihrem Zimmer schenken. Sie zog einen
versiegelten Brief hervor und sagte: "Ihre neulichen
Mittheilungen haben der Gräfin ein unerwartetes
Licht gegeben, von dessen erster erschütternder Wir-
kung ich jezt nichts sage. Ich danke Gott, daß die-
ser Kampf vorüber ist. Empfangen Sie hier das
lezte Wort von unsrer Freundin. Seitdem sie den
Entschluß gefaßt, sich Ihnen zu offenbaren, ist endlich
ein Schimmer von Frieden bei ihr eingetreten, den zu
befestigen ich mir nach Kräften angelegen seyn lasse.
Nur was dieß Blatt betrifft, so darf ich nicht ver-
schweigen, daß es im ersten Schmerz geschrieben wurde,
wo es schien, als ob sie nur im ungemessensten Aus-
drucke ihrer Schuld einige Erhebung und ein willkom-
menes Mittel gegen völlige Verzweiflung habe finden
können. Schließen Sie also aus diesem Briefe nicht
auf ihren Zustand überhaupt, den sicherlich die Zeit
auch heilen wird. Vielleicht erkennen Sie in diesen
Linien, deren Inhalt ich wohl ahnen kann, noch jezt
das schöne Herz, das sein Vergehn mehr als genug

einiger Schalkheit gerne den Geheimnißvollen ſpiele,
achtete wenig auf dieſe dunkeln Winke, obgleich dem
guten Manne die Rührung ſichtlich aus den Augen
ſprach.

Sein lezter Ausgang am Schluß der vielgeſchäf-
tigen Woche war zu der Gouvernantin. Unglückli-
cher Weiſe war eben Geſellſchaft dort und die liebens-
würdige Frau konnte ihm nur wenige Augenblicke
allein auf ihrem Zimmer ſchenken. Sie zog einen
verſiegelten Brief hervor und ſagte: „Ihre neulichen
Mittheilungen haben der Gräfin ein unerwartetes
Licht gegeben, von deſſen erſter erſchütternder Wir-
kung ich jezt nichts ſage. Ich danke Gott, daß die-
ſer Kampf vorüber iſt. Empfangen Sie hier das
lezte Wort von unſrer Freundin. Seitdem ſie den
Entſchluß gefaßt, ſich Ihnen zu offenbaren, iſt endlich
ein Schimmer von Frieden bei ihr eingetreten, den zu
befeſtigen ich mir nach Kräften angelegen ſeyn laſſe.
Nur was dieß Blatt betrifft, ſo darf ich nicht ver-
ſchweigen, daß es im erſten Schmerz geſchrieben wurde,
wo es ſchien, als ob ſie nur im ungemeſſenſten Aus-
drucke ihrer Schuld einige Erhebung und ein willkom-
menes Mittel gegen völlige Verzweiflung habe finden
können. Schließen Sie alſo aus dieſem Briefe nicht
auf ihren Zuſtand überhaupt, den ſicherlich die Zeit
auch heilen wird. Vielleicht erkennen Sie in dieſen
Linien, deren Inhalt ich wohl ahnen kann, noch jezt
das ſchöne Herz, das ſein Vergehn mehr als genug

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0073" n="387"/>
einiger Schalkheit gerne den Geheimnißvollen &#x017F;piele,<lb/>
achtete wenig auf die&#x017F;e dunkeln Winke, obgleich dem<lb/>
guten Manne die Rührung &#x017F;ichtlich aus den Augen<lb/>
&#x017F;prach.</p><lb/>
          <p>Sein lezter Ausgang am Schluß der vielge&#x017F;chäf-<lb/>
tigen Woche war zu der Gouvernantin. Unglückli-<lb/>
cher Wei&#x017F;e war eben Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft dort und die liebens-<lb/>
würdige Frau konnte ihm nur wenige Augenblicke<lb/>
allein auf ihrem Zimmer &#x017F;chenken. Sie zog einen<lb/>
ver&#x017F;iegelten Brief hervor und &#x017F;agte: &#x201E;Ihre neulichen<lb/>
Mittheilungen haben der Gräfin ein unerwartetes<lb/>
Licht gegeben, von de&#x017F;&#x017F;en er&#x017F;ter er&#x017F;chütternder Wir-<lb/>
kung ich jezt nichts &#x017F;age. Ich danke Gott, daß die-<lb/>
&#x017F;er Kampf vorüber i&#x017F;t. Empfangen Sie hier das<lb/>
lezte Wort von un&#x017F;rer Freundin. Seitdem &#x017F;ie den<lb/>
Ent&#x017F;chluß gefaßt, &#x017F;ich Ihnen zu offenbaren, i&#x017F;t endlich<lb/>
ein Schimmer von Frieden bei ihr eingetreten, den zu<lb/>
befe&#x017F;tigen ich mir nach Kräften angelegen &#x017F;eyn la&#x017F;&#x017F;e.<lb/>
Nur was dieß Blatt betrifft, &#x017F;o darf ich nicht ver-<lb/>
&#x017F;chweigen, daß es im er&#x017F;ten Schmerz ge&#x017F;chrieben wurde,<lb/>
wo es &#x017F;chien, als ob &#x017F;ie nur im ungeme&#x017F;&#x017F;en&#x017F;ten Aus-<lb/>
drucke ihrer Schuld einige Erhebung und ein willkom-<lb/>
menes Mittel gegen völlige Verzweiflung habe finden<lb/>
können. Schließen Sie al&#x017F;o aus die&#x017F;em Briefe nicht<lb/>
auf ihren Zu&#x017F;tand überhaupt, den &#x017F;icherlich die Zeit<lb/>
auch heilen wird. Vielleicht erkennen Sie in die&#x017F;en<lb/>
Linien, deren Inhalt ich wohl ahnen kann, noch jezt<lb/>
das &#x017F;chöne Herz, das &#x017F;ein Vergehn mehr als genug<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[387/0073] einiger Schalkheit gerne den Geheimnißvollen ſpiele, achtete wenig auf dieſe dunkeln Winke, obgleich dem guten Manne die Rührung ſichtlich aus den Augen ſprach. Sein lezter Ausgang am Schluß der vielgeſchäf- tigen Woche war zu der Gouvernantin. Unglückli- cher Weiſe war eben Geſellſchaft dort und die liebens- würdige Frau konnte ihm nur wenige Augenblicke allein auf ihrem Zimmer ſchenken. Sie zog einen verſiegelten Brief hervor und ſagte: „Ihre neulichen Mittheilungen haben der Gräfin ein unerwartetes Licht gegeben, von deſſen erſter erſchütternder Wir- kung ich jezt nichts ſage. Ich danke Gott, daß die- ſer Kampf vorüber iſt. Empfangen Sie hier das lezte Wort von unſrer Freundin. Seitdem ſie den Entſchluß gefaßt, ſich Ihnen zu offenbaren, iſt endlich ein Schimmer von Frieden bei ihr eingetreten, den zu befeſtigen ich mir nach Kräften angelegen ſeyn laſſe. Nur was dieß Blatt betrifft, ſo darf ich nicht ver- ſchweigen, daß es im erſten Schmerz geſchrieben wurde, wo es ſchien, als ob ſie nur im ungemeſſenſten Aus- drucke ihrer Schuld einige Erhebung und ein willkom- menes Mittel gegen völlige Verzweiflung habe finden können. Schließen Sie alſo aus dieſem Briefe nicht auf ihren Zuſtand überhaupt, den ſicherlich die Zeit auch heilen wird. Vielleicht erkennen Sie in dieſen Linien, deren Inhalt ich wohl ahnen kann, noch jezt das ſchöne Herz, das ſein Vergehn mehr als genug

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/73
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/73>, abgerufen am 23.11.2024.