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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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ausmalen mußte. Das Wunderlichste dabei war,
daß diese Bilder nicht die mindeste Beziehung auf
seine eigne Lage hatten, es waren vielmehr, wenn
man so will, reine Vorarbeiten für den Maler, als
solchen. Er glaubte niemals geistreichere Konceptionen
gehabt zu haben, und noch in der Folge erinnerte er
sich mit Vergnügen an diese sonderbar inspirirte
Stunde. Wir selbst preisen es mit Recht als einen
himmlischen Vorzug, welchen die Muse vor allen an-
dern Menschen dem Künstler dadurch gewährt, daß sie
ihn bei ungeheuren Uebergängen des Geschickes mit
einem holden energischen Wahnsinn umwickelt und ihm
die Wirklichkeit so lange mit einer Zaubertapete be-
deckt, bis der erste gefährliche Augenblick vorüber ist.

Auf diese Weise hat sich unser Freund beträcht-
lich von der Stadt entfernt, und ehe er ihr von einer
andern Seite wieder näher kommt, sieht er unfern in
einer anmuthigen Kluft die sogenannte Heer-Mühle
liegen, einen ihm wohlbekannten, durch manchen Spa-
ziergang werth gewordenen Ort. Er war ein stets
gerne gesehener Gast bei dem Müller, welcher zu der-
jenigen Gattung von Pietisten gehörte, mit denen Je-
dermann gut auskommt. In gewisser Art konnte der
Mann für unterrichtet gelten, nur hatte er Ursache,
manche Eigenheiten zu verbergen, deren er sich mit-
unter schämte; so hatte er, da er anfänglich zur Schrei-
berei bestimmt, in alten Sprachen nicht ganz unwis-
send war, sich noch bei vorgerücktem Alter in den

ausmalen mußte. Das Wunderlichſte dabei war,
daß dieſe Bilder nicht die mindeſte Beziehung auf
ſeine eigne Lage hatten, es waren vielmehr, wenn
man ſo will, reine Vorarbeiten für den Maler, als
ſolchen. Er glaubte niemals geiſtreichere Konceptionen
gehabt zu haben, und noch in der Folge erinnerte er
ſich mit Vergnügen an dieſe ſonderbar inſpirirte
Stunde. Wir ſelbſt preiſen es mit Recht als einen
himmliſchen Vorzug, welchen die Muſe vor allen an-
dern Menſchen dem Künſtler dadurch gewährt, daß ſie
ihn bei ungeheuren Uebergängen des Geſchickes mit
einem holden energiſchen Wahnſinn umwickelt und ihm
die Wirklichkeit ſo lange mit einer Zaubertapete be-
deckt, bis der erſte gefährliche Augenblick vorüber iſt.

Auf dieſe Weiſe hat ſich unſer Freund beträcht-
lich von der Stadt entfernt, und ehe er ihr von einer
andern Seite wieder näher kommt, ſieht er unfern in
einer anmuthigen Kluft die ſogenannte Heer-Mühle
liegen, einen ihm wohlbekannten, durch manchen Spa-
ziergang werth gewordenen Ort. Er war ein ſtets
gerne geſehener Gaſt bei dem Müller, welcher zu der-
jenigen Gattung von Pietiſten gehörte, mit denen Je-
dermann gut auskommt. In gewiſſer Art konnte der
Mann für unterrichtet gelten, nur hatte er Urſache,
manche Eigenheiten zu verbergen, deren er ſich mit-
unter ſchämte; ſo hatte er, da er anfänglich zur Schrei-
berei beſtimmt, in alten Sprachen nicht ganz unwiſ-
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[359/0045] ausmalen mußte. Das Wunderlichſte dabei war, daß dieſe Bilder nicht die mindeſte Beziehung auf ſeine eigne Lage hatten, es waren vielmehr, wenn man ſo will, reine Vorarbeiten für den Maler, als ſolchen. Er glaubte niemals geiſtreichere Konceptionen gehabt zu haben, und noch in der Folge erinnerte er ſich mit Vergnügen an dieſe ſonderbar inſpirirte Stunde. Wir ſelbſt preiſen es mit Recht als einen himmliſchen Vorzug, welchen die Muſe vor allen an- dern Menſchen dem Künſtler dadurch gewährt, daß ſie ihn bei ungeheuren Uebergängen des Geſchickes mit einem holden energiſchen Wahnſinn umwickelt und ihm die Wirklichkeit ſo lange mit einer Zaubertapete be- deckt, bis der erſte gefährliche Augenblick vorüber iſt. Auf dieſe Weiſe hat ſich unſer Freund beträcht- lich von der Stadt entfernt, und ehe er ihr von einer andern Seite wieder näher kommt, ſieht er unfern in einer anmuthigen Kluft die ſogenannte Heer-Mühle liegen, einen ihm wohlbekannten, durch manchen Spa- ziergang werth gewordenen Ort. Er war ein ſtets gerne geſehener Gaſt bei dem Müller, welcher zu der- jenigen Gattung von Pietiſten gehörte, mit denen Je- dermann gut auskommt. In gewiſſer Art konnte der Mann für unterrichtet gelten, nur hatte er Urſache, manche Eigenheiten zu verbergen, deren er ſich mit- unter ſchämte; ſo hatte er, da er anfänglich zur Schrei- berei beſtimmt, in alten Sprachen nicht ganz unwiſ- ſend war, ſich noch bei vorgerücktem Alter in den

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/45>, abgerufen am 25.11.2024.