Thätigkeit, als Sie in W * erwartet würde, dürfte Ihnen der Muth jezt wohl fehlen, um so leichter werden Sie es daher verschmerzen, daß dort, wie mir geschrieben wird, gewisse Leute, auf Ihr Zögern, bereits geschäftig sind, Sie auszustechen. Wir wollen, dächt' ich, selbigen zuvorkommen und erst dabei nichts einbüßen. Hören Sie meinen Vorschlag: Wir Beide ziehn zu- sammen! sey es nun hier, oder besser an einem an- dern Plätzchen, wo sich's fein stille hausen läßt, gerade wie es zweien Leuten ziemt, wovon zum wenigsten der Eine der Welt nichts mehr nachfragt, der Andere, so viel mir bekannt, von jeher starken Trieb empfun- den, mit der Kunst in eine Einsiedelei zu flüchten. Was mich betrifft, ich habe noch wenige Jahre zu leben. Wie glücklich aber, könnt' ich das, was etwa noch grün an mir seyn mag, auf Sie, mein theurer Neffe, übertragen. Ja schleppen wir unsere Trüm- mer aus dem Schiffbruch muthig zusammen! Ich will thun, als wär' ich auch noch ein Junger. Mit Stolz und Wehmuth sey's gesagt, wir sind zwei Stücke Eines Baums, den der Blitz in der Mitte gespalten, und ist vielleicht ein schöner Lorbeer zu Schanden gegan- gen. Sie müssen ihn noch retten und ich helfe mit.
Sehn Sie, wir gehören ja recht für einander, als Zwillingsbrüder des Geschicks! Mit dreifachen ehernen Banden haben freundlich-feindselige Götter, dieß Paar zusammengeschmiedet -- ein seltenes Schau- spiel für die Welt, wenn man's ihr gönnen möchte;
Thätigkeit, als Sie in W * erwartet würde, dürfte Ihnen der Muth jezt wohl fehlen, um ſo leichter werden Sie es daher verſchmerzen, daß dort, wie mir geſchrieben wird, gewiſſe Leute, auf Ihr Zögern, bereits geſchäftig ſind, Sie auszuſtechen. Wir wollen, dächt’ ich, ſelbigen zuvorkommen und erſt dabei nichts einbüßen. Hören Sie meinen Vorſchlag: Wir Beide ziehn zu- ſammen! ſey es nun hier, oder beſſer an einem an- dern Plätzchen, wo ſich’s fein ſtille hauſen läßt, gerade wie es zweien Leuten ziemt, wovon zum wenigſten der Eine der Welt nichts mehr nachfragt, der Andere, ſo viel mir bekannt, von jeher ſtarken Trieb empfun- den, mit der Kunſt in eine Einſiedelei zu flüchten. Was mich betrifft, ich habe noch wenige Jahre zu leben. Wie glücklich aber, könnt’ ich das, was etwa noch grün an mir ſeyn mag, auf Sie, mein theurer Neffe, übertragen. Ja ſchleppen wir unſere Trüm- mer aus dem Schiffbruch muthig zuſammen! Ich will thun, als wär’ ich auch noch ein Junger. Mit Stolz und Wehmuth ſey’s geſagt, wir ſind zwei Stücke Eines Baums, den der Blitz in der Mitte geſpalten, und iſt vielleicht ein ſchöner Lorbeer zu Schanden gegan- gen. Sie müſſen ihn noch retten und ich helfe mit.
Sehn Sie, wir gehören ja recht für einander, als Zwillingsbrüder des Geſchicks! Mit dreifachen ehernen Banden haben freundlich-feindſelige Götter, dieß Paar zuſammengeſchmiedet — ein ſeltenes Schau- ſpiel für die Welt, wenn man’s ihr gönnen möchte;
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0324"n="638"/>
Thätigkeit, als Sie in W * erwartet würde, dürfte<lb/>
Ihnen der Muth jezt wohl fehlen, um ſo leichter<lb/>
werden Sie es daher verſchmerzen, daß dort, wie mir<lb/>
geſchrieben wird, gewiſſe Leute, auf Ihr Zögern, bereits<lb/>
geſchäftig ſind, Sie auszuſtechen. Wir wollen, dächt’<lb/>
ich, ſelbigen zuvorkommen und erſt dabei nichts einbüßen.<lb/>
Hören Sie meinen Vorſchlag: Wir Beide ziehn zu-<lb/>ſammen! ſey es nun hier, oder beſſer an einem an-<lb/>
dern Plätzchen, wo ſich’s fein ſtille hauſen läßt, gerade<lb/>
wie es zweien Leuten ziemt, wovon zum wenigſten<lb/>
der Eine der Welt nichts mehr nachfragt, der Andere,<lb/>ſo viel mir bekannt, von jeher ſtarken Trieb empfun-<lb/>
den, mit der Kunſt in eine Einſiedelei zu flüchten.<lb/>
Was mich betrifft, ich habe noch wenige Jahre zu<lb/>
leben. Wie glücklich aber, könnt’ ich das, was etwa<lb/>
noch grün an mir ſeyn mag, auf Sie, mein theurer<lb/>
Neffe, übertragen. Ja ſchleppen wir unſere Trüm-<lb/>
mer aus dem Schiffbruch muthig zuſammen! Ich<lb/>
will thun, als wär’ ich auch noch ein Junger. Mit<lb/>
Stolz und Wehmuth ſey’s geſagt, wir ſind zwei Stücke<lb/>
Eines Baums, den der Blitz in der Mitte geſpalten,<lb/>
und iſt vielleicht ein ſchöner Lorbeer zu Schanden gegan-<lb/>
gen. Sie müſſen ihn noch retten und ich helfe mit.</p><lb/><p>Sehn Sie, wir gehören ja recht für einander,<lb/>
als Zwillingsbrüder des Geſchicks! Mit dreifachen<lb/>
ehernen Banden haben freundlich-feindſelige Götter,<lb/>
dieß Paar zuſammengeſchmiedet — ein ſeltenes Schau-<lb/>ſpiel für die Welt, wenn man’s ihr gönnen möchte;<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[638/0324]
Thätigkeit, als Sie in W * erwartet würde, dürfte
Ihnen der Muth jezt wohl fehlen, um ſo leichter
werden Sie es daher verſchmerzen, daß dort, wie mir
geſchrieben wird, gewiſſe Leute, auf Ihr Zögern, bereits
geſchäftig ſind, Sie auszuſtechen. Wir wollen, dächt’
ich, ſelbigen zuvorkommen und erſt dabei nichts einbüßen.
Hören Sie meinen Vorſchlag: Wir Beide ziehn zu-
ſammen! ſey es nun hier, oder beſſer an einem an-
dern Plätzchen, wo ſich’s fein ſtille hauſen läßt, gerade
wie es zweien Leuten ziemt, wovon zum wenigſten
der Eine der Welt nichts mehr nachfragt, der Andere,
ſo viel mir bekannt, von jeher ſtarken Trieb empfun-
den, mit der Kunſt in eine Einſiedelei zu flüchten.
Was mich betrifft, ich habe noch wenige Jahre zu
leben. Wie glücklich aber, könnt’ ich das, was etwa
noch grün an mir ſeyn mag, auf Sie, mein theurer
Neffe, übertragen. Ja ſchleppen wir unſere Trüm-
mer aus dem Schiffbruch muthig zuſammen! Ich
will thun, als wär’ ich auch noch ein Junger. Mit
Stolz und Wehmuth ſey’s geſagt, wir ſind zwei Stücke
Eines Baums, den der Blitz in der Mitte geſpalten,
und iſt vielleicht ein ſchöner Lorbeer zu Schanden gegan-
gen. Sie müſſen ihn noch retten und ich helfe mit.
Sehn Sie, wir gehören ja recht für einander,
als Zwillingsbrüder des Geſchicks! Mit dreifachen
ehernen Banden haben freundlich-feindſelige Götter,
dieß Paar zuſammengeſchmiedet — ein ſeltenes Schau-
ſpiel für die Welt, wenn man’s ihr gönnen möchte;
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 638. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/324>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.