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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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vom Leibe. Was macht denn seine liebe braune Otter?
-- haha, nicht wahr? Mein kleiner Finger sagt mir
nur zuweilen auch etwas. Nun, ich muß weiter.
Kurze Aufwartungen, das ist so Mode in der vorneh-
men Welt. Und bemüh' Er sich nur nie wegen mei-
ner, wir nehmen das nicht so genau."

Sie neigte sich und ging.

Wenn man -- sprach Theobald erschüttert
bei sich selbst -- wenn man etwa so träumt, wie die-
ses wirklich ist, so schüttelt sich der Träumende vor
Schmerz und ruft sich selber zu: hurtig erwecke dich,
es wird dich tödten! Schnell dreht er die nächtliche
Scheibe seines Geistes dem wahren Tageslichte zu --
Noch mehr! er greift mit Geisterarmen entschlossen
durch die dicke Mauer, hinter der sein Körper gefan-
gen steht, und öffnet wunderbar sich selber von Außen
die Riegel. Mir schießt in der wachsenden Todes-
noth kein Götterflügel aus den Schultern hervor und
entreißt mich dem Dunstkreis, der mich erstickt, denn
dieß ist wirklich, dieß ist da, kein Gott wird's ändern!


So viel man nach und nach aus Agnesens ver-
worrenen Gesprächen zusammenreimen konnte, so schien
die sonderbarste Personen-Verwechslung zwischen Nol-
ten
und Larkens in ihr vorgegangen zu seyn; viel-
mehr es waren diese Beiden in ihrer Idee auf gewisse
Weise zu Einer Person geworden. Den Maler schien

vom Leibe. Was macht denn ſeine liebe braune Otter?
— haha, nicht wahr? Mein kleiner Finger ſagt mir
nur zuweilen auch etwas. Nun, ich muß weiter.
Kurze Aufwartungen, das iſt ſo Mode in der vorneh-
men Welt. Und bemüh’ Er ſich nur nie wegen mei-
ner, wir nehmen das nicht ſo genau.“

Sie neigte ſich und ging.

Wenn man — ſprach Theobald erſchüttert
bei ſich ſelbſt — wenn man etwa ſo träumt, wie die-
ſes wirklich iſt, ſo ſchüttelt ſich der Träumende vor
Schmerz und ruft ſich ſelber zu: hurtig erwecke dich,
es wird dich tödten! Schnell dreht er die nächtliche
Scheibe ſeines Geiſtes dem wahren Tageslichte zu —
Noch mehr! er greift mit Geiſterarmen entſchloſſen
durch die dicke Mauer, hinter der ſein Körper gefan-
gen ſteht, und öffnet wunderbar ſich ſelber von Außen
die Riegel. Mir ſchießt in der wachſenden Todes-
noth kein Götterflügel aus den Schultern hervor und
entreißt mich dem Dunſtkreis, der mich erſtickt, denn
dieß iſt wirklich, dieß iſt da, kein Gott wird’s ändern!


So viel man nach und nach aus Agneſens ver-
worrenen Geſprächen zuſammenreimen konnte, ſo ſchien
die ſonderbarſte Perſonen-Verwechslung zwiſchen Nol-
ten
und Larkens in ihr vorgegangen zu ſeyn; viel-
mehr es waren dieſe Beiden in ihrer Idee auf gewiſſe
Weiſe zu Einer Perſon geworden. Den Maler ſchien

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[591/0277] vom Leibe. Was macht denn ſeine liebe braune Otter? — haha, nicht wahr? Mein kleiner Finger ſagt mir nur zuweilen auch etwas. Nun, ich muß weiter. Kurze Aufwartungen, das iſt ſo Mode in der vorneh- men Welt. Und bemüh’ Er ſich nur nie wegen mei- ner, wir nehmen das nicht ſo genau.“ Sie neigte ſich und ging. Wenn man — ſprach Theobald erſchüttert bei ſich ſelbſt — wenn man etwa ſo träumt, wie die- ſes wirklich iſt, ſo ſchüttelt ſich der Träumende vor Schmerz und ruft ſich ſelber zu: hurtig erwecke dich, es wird dich tödten! Schnell dreht er die nächtliche Scheibe ſeines Geiſtes dem wahren Tageslichte zu — Noch mehr! er greift mit Geiſterarmen entſchloſſen durch die dicke Mauer, hinter der ſein Körper gefan- gen ſteht, und öffnet wunderbar ſich ſelber von Außen die Riegel. Mir ſchießt in der wachſenden Todes- noth kein Götterflügel aus den Schultern hervor und entreißt mich dem Dunſtkreis, der mich erſtickt, denn dieß iſt wirklich, dieß iſt da, kein Gott wird’s ändern! So viel man nach und nach aus Agneſens ver- worrenen Geſprächen zuſammenreimen konnte, ſo ſchien die ſonderbarſte Perſonen-Verwechslung zwiſchen Nol- ten und Larkens in ihr vorgegangen zu ſeyn; viel- mehr es waren dieſe Beiden in ihrer Idee auf gewiſſe Weiſe zu Einer Perſon geworden. Den Maler ſchien

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 591. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/277>, abgerufen am 25.11.2024.