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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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sich ihre Träume beschäftigten, ob sie mit dem himm-
lischen Bräutigam oder dem irdischen verkehrt habe,
lass' ich dahingestellt seyn -- wahrscheinlich mit Bei-
den zugleich, und keiner hatte somit Ursache zur Ei-
fersucht. Genug von dieser tollen Ceremonie, deren
raffinirt sinnliche Heiligkeit Jeden empört. Merkwür-
dig bleibt nur, daß bald nachher die Nachricht vom
Tode des Kaufmanns einlief. Er war, nach kurzem
Krankenlager, einige Tage vor der Hochzeit gestorben,
an welcher er, wenn man der armen Wachskerze glau-
ben will, wenigstens geistweise Theil genommen. Was
halten Sie von dieser Manifestation eines Abgeschie-
denen, mein lieber Maler?"

Theobald lächelte und war im Begriff, zu ant-
worten, als Margot und Nannette mit großer
Bewegung in's Zimmer gelaufen kamen, und hastig
ein Fenster öffneten, das gegen die Gartenallee hin-
aussah. "Um Gotteswillen, hören Sie doch," rief
das Fräulein den beiden Männern zu, "was für ein
seltsamer Gesang das ist!" Während der Präsident,
ganz erstaunt, sich mit den Mädchen stritt, ob die
Stimme im Garten oder außerhalb desselben sey, war
Nolten in der Mitte des Zimmers sprachlos stehen
geblieben: er kannte diese Töne, die Ruine vom Reh-
stock stand urplötzlich vor seinem Geist, ihm war, als
schlüge das Todtenlied einer Furie weissagend an sein
Ohr, er zog seine Schwester vom Fenster hinweg und
mit hastig verworrenen Worten fordert er sie auf, mit

ſich ihre Träume beſchäftigten, ob ſie mit dem himm-
liſchen Bräutigam oder dem irdiſchen verkehrt habe,
laſſ’ ich dahingeſtellt ſeyn — wahrſcheinlich mit Bei-
den zugleich, und keiner hatte ſomit Urſache zur Ei-
ferſucht. Genug von dieſer tollen Ceremonie, deren
raffinirt ſinnliche Heiligkeit Jeden empört. Merkwür-
dig bleibt nur, daß bald nachher die Nachricht vom
Tode des Kaufmanns einlief. Er war, nach kurzem
Krankenlager, einige Tage vor der Hochzeit geſtorben,
an welcher er, wenn man der armen Wachskerze glau-
ben will, wenigſtens geiſtweiſe Theil genommen. Was
halten Sie von dieſer Manifeſtation eines Abgeſchie-
denen, mein lieber Maler?“

Theobald lächelte und war im Begriff, zu ant-
worten, als Margot und Nannette mit großer
Bewegung in’s Zimmer gelaufen kamen, und haſtig
ein Fenſter öffneten, das gegen die Gartenallee hin-
ausſah. „Um Gotteswillen, hören Sie doch,“ rief
das Fräulein den beiden Männern zu, „was für ein
ſeltſamer Geſang das iſt!“ Während der Präſident,
ganz erſtaunt, ſich mit den Mädchen ſtritt, ob die
Stimme im Garten oder außerhalb deſſelben ſey, war
Nolten in der Mitte des Zimmers ſprachlos ſtehen
geblieben: er kannte dieſe Töne, die Ruine vom Reh-
ſtock ſtand urplötzlich vor ſeinem Geiſt, ihm war, als
ſchlüge das Todtenlied einer Furie weiſſagend an ſein
Ohr, er zog ſeine Schweſter vom Fenſter hinweg und
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[573/0259] ſich ihre Träume beſchäftigten, ob ſie mit dem himm- liſchen Bräutigam oder dem irdiſchen verkehrt habe, laſſ’ ich dahingeſtellt ſeyn — wahrſcheinlich mit Bei- den zugleich, und keiner hatte ſomit Urſache zur Ei- ferſucht. Genug von dieſer tollen Ceremonie, deren raffinirt ſinnliche Heiligkeit Jeden empört. Merkwür- dig bleibt nur, daß bald nachher die Nachricht vom Tode des Kaufmanns einlief. Er war, nach kurzem Krankenlager, einige Tage vor der Hochzeit geſtorben, an welcher er, wenn man der armen Wachskerze glau- ben will, wenigſtens geiſtweiſe Theil genommen. Was halten Sie von dieſer Manifeſtation eines Abgeſchie- denen, mein lieber Maler?“ Theobald lächelte und war im Begriff, zu ant- worten, als Margot und Nannette mit großer Bewegung in’s Zimmer gelaufen kamen, und haſtig ein Fenſter öffneten, das gegen die Gartenallee hin- ausſah. „Um Gotteswillen, hören Sie doch,“ rief das Fräulein den beiden Männern zu, „was für ein ſeltſamer Geſang das iſt!“ Während der Präſident, ganz erſtaunt, ſich mit den Mädchen ſtritt, ob die Stimme im Garten oder außerhalb deſſelben ſey, war Nolten in der Mitte des Zimmers ſprachlos ſtehen geblieben: er kannte dieſe Töne, die Ruine vom Reh- ſtock ſtand urplötzlich vor ſeinem Geiſt, ihm war, als ſchlüge das Todtenlied einer Furie weiſſagend an ſein Ohr, er zog ſeine Schweſter vom Fenſter hinweg und mit haſtig verworrenen Worten fordert er ſie auf, mit

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 573. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/259>, abgerufen am 23.11.2024.