Sekunde durch den Raum der tosenden Hölle getra- gen, die Gestalt des theuersten Freunds erblickt hätte, mitten im Kreis der Verworfenen sitzend. Noch schwankt das fürchterliche Bild vor seiner Seele, und sinkt und sinkt, und will doch nicht versinken, -- da klopft ihn wieder Jemand auf den Arm und Wispel flüstert ihm hastig die Worte zu: "Sacre-bleu, mein Herr, er muß Sie gesehen haben, so eben steht er blaß wie die Wand von seinem Sitz auf, und wie ich meine, er will auf Sie zugehen, reißt er die Seiten- thür auf und -- weg ist er, als hätt' ihn der Leib- haftige gejagt. Kommen Sie plötzlich ihm nach -- er kann nicht weit seyn, ich weiß seine Gänge, fassen Sie sich!"
Nolten, wie taub, starrt nach dem leeren Stuhle hin, indessen Wispel immer schwazt und lacht und treibt. Jezt eilt der Maler in ein Kabinet, läßt sich Papier und Schreibzeug bringen, wirft drei Linien auf ein Blatt, das Wispel um jeden Preis dem Schauspieler zustellen soll. Wie ein Pfeil schießt der Barbier davon. Nolten kehrt in sein Quartier zu- rück, wo er die Frauenzimmer aus der schrecklichsten Ungewißheit erlös't und ihnen, freilich verwirrt und abgebrochen genug, die Hauptsache erklärt.
Es dauert eine Stunde, bis der Abgesandte end- lich kommt, und was das Schlimmste war, ganz un- verrichteter Dinge. Er habe, sagte er, den Flücht- ling aller Orten gesucht, wo nur irgend eine Mög-
Sekunde durch den Raum der toſenden Hölle getra- gen, die Geſtalt des theuerſten Freunds erblickt hätte, mitten im Kreis der Verworfenen ſitzend. Noch ſchwankt das fürchterliche Bild vor ſeiner Seele, und ſinkt und ſinkt, und will doch nicht verſinken, — da klopft ihn wieder Jemand auf den Arm und Wispel flüſtert ihm haſtig die Worte zu: „Sacre-bleu, mein Herr, er muß Sie geſehen haben, ſo eben ſteht er blaß wie die Wand von ſeinem Sitz auf, und wie ich meine, er will auf Sie zugehen, reißt er die Seiten- thür auf und — weg iſt er, als hätt’ ihn der Leib- haftige gejagt. Kommen Sie plötzlich ihm nach — er kann nicht weit ſeyn, ich weiß ſeine Gänge, faſſen Sie ſich!“
Nolten, wie taub, ſtarrt nach dem leeren Stuhle hin, indeſſen Wispel immer ſchwazt und lacht und treibt. Jezt eilt der Maler in ein Kabinet, läßt ſich Papier und Schreibzeug bringen, wirft drei Linien auf ein Blatt, das Wispel um jeden Preis dem Schauſpieler zuſtellen ſoll. Wie ein Pfeil ſchießt der Barbier davon. Nolten kehrt in ſein Quartier zu- rück, wo er die Frauenzimmer aus der ſchrecklichſten Ungewißheit erlös’t und ihnen, freilich verwirrt und abgebrochen genug, die Hauptſache erklärt.
Es dauert eine Stunde, bis der Abgeſandte end- lich kommt, und was das Schlimmſte war, ganz un- verrichteter Dinge. Er habe, ſagte er, den Flücht- ling aller Orten geſucht, wo nur irgend eine Mög-
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Sekunde durch den Raum der toſenden Hölle getra-
gen, die Geſtalt des theuerſten Freunds erblickt hätte,
mitten im Kreis der Verworfenen ſitzend. Noch
ſchwankt das fürchterliche Bild vor ſeiner Seele, und
ſinkt und ſinkt, und will doch nicht verſinken, — da
klopft ihn wieder Jemand auf den Arm und Wispel
flüſtert ihm haſtig die Worte zu: „Sacre-bleu, mein
Herr, er muß Sie geſehen haben, ſo eben ſteht er
blaß wie die Wand von ſeinem Sitz auf, und wie ich
meine, er will auf Sie zugehen, reißt er die Seiten-
thür auf und — weg iſt er, als hätt’ ihn der Leib-
haftige gejagt. Kommen Sie plötzlich ihm nach —
er kann nicht weit ſeyn, ich weiß ſeine Gänge, faſſen
Sie ſich!“
Nolten, wie taub, ſtarrt nach dem leeren Stuhle
hin, indeſſen Wispel immer ſchwazt und lacht und
treibt. Jezt eilt der Maler in ein Kabinet, läßt ſich
Papier und Schreibzeug bringen, wirft drei Linien
auf ein Blatt, das Wispel um jeden Preis dem
Schauſpieler zuſtellen ſoll. Wie ein Pfeil ſchießt der
Barbier davon. Nolten kehrt in ſein Quartier zu-
rück, wo er die Frauenzimmer aus der ſchrecklichſten
Ungewißheit erlös’t und ihnen, freilich verwirrt und
abgebrochen genug, die Hauptſache erklärt.
Es dauert eine Stunde, bis der Abgeſandte end-
lich kommt, und was das Schlimmſte war, ganz un-
verrichteter Dinge. Er habe, ſagte er, den Flücht-
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 498. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/184>, abgerufen am 24.11.2024.
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