Man sprach, man rieth, man lachte herüber und hinüber. Endlich nahm der Stelzfuß das Wort wie- der, indem er sagte: "Weil wir ohnedem jezt an dem Kapitel von den Mirakeln sind, so sollt ihr noch eine kleine Geschichte hören. Sie hat sich erst heute zuge- tragen, steht aber hoffentlich in keinem Zusammenhang mit der vorigen. Diesen Morgen kommt ein Jude zu mir, hat einen Sack unterm Arm und fragt, ob ich nichts zu schachern hätte, er habe da einen guten Rock zu verhandeln. Der Kerl muß die schwache Seite an dem meinigen entdeckt haben; das verdroß mich und ich war dem Spitzbuben ohnedieß spinnefeind. Während ich also im Stillen überlege, auf was Art ich den Sün- der am zweckmäßigsten die Treppe hinunterwerfe, fällt mir zufällig meine Taschenuhr in's Aug'. Nun weiß ich nicht, war es ein weichherziger Gedanke an meinen seligen Vater, von welchem mir das Erbstück kam, oder was war es, daß ich plötzlich in mitleidige Gesinnungen überging. Ich dachte, ein Jud ist doch gleichsam auch eine Kreatur Gottes und dergleichen; kurz, ich nahm die Uhr höchst gerührt vom Nagel an meinem Bette, besah sie noch einmal und fragte: was sie gelten soll? Der Schurke schlug sie nun für ein wahres Spottgeld an und ich gab ihm einen Backenstreich, den schlug er aber gar nicht an, und endlich wurden wir doch Han- dels einig."
Alles lachte über diese sonderbare Erzählung, nur dem Joseph schien sie im Stillen weh gethan zu haben.
Man ſprach, man rieth, man lachte herüber und hinüber. Endlich nahm der Stelzfuß das Wort wie- der, indem er ſagte: „Weil wir ohnedem jezt an dem Kapitel von den Mirakeln ſind, ſo ſollt ihr noch eine kleine Geſchichte hören. Sie hat ſich erſt heute zuge- tragen, ſteht aber hoffentlich in keinem Zuſammenhang mit der vorigen. Dieſen Morgen kommt ein Jude zu mir, hat einen Sack unterm Arm und fragt, ob ich nichts zu ſchachern hätte, er habe da einen guten Rock zu verhandeln. Der Kerl muß die ſchwache Seite an dem meinigen entdeckt haben; das verdroß mich und ich war dem Spitzbuben ohnedieß ſpinnefeind. Während ich alſo im Stillen überlege, auf was Art ich den Sün- der am zweckmäßigſten die Treppe hinunterwerfe, fällt mir zufällig meine Taſchenuhr in’s Aug’. Nun weiß ich nicht, war es ein weichherziger Gedanke an meinen ſeligen Vater, von welchem mir das Erbſtück kam, oder was war es, daß ich plötzlich in mitleidige Geſinnungen überging. Ich dachte, ein Jud iſt doch gleichſam auch eine Kreatur Gottes und dergleichen; kurz, ich nahm die Uhr höchſt gerührt vom Nagel an meinem Bette, beſah ſie noch einmal und fragte: was ſie gelten ſoll? Der Schurke ſchlug ſie nun für ein wahres Spottgeld an und ich gab ihm einen Backenſtreich, den ſchlug er aber gar nicht an, und endlich wurden wir doch Han- dels einig.“
Alles lachte über dieſe ſonderbare Erzählung, nur dem Joſeph ſchien ſie im Stillen weh gethan zu haben.
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Man ſprach, man rieth, man lachte herüber und
hinüber. Endlich nahm der Stelzfuß das Wort wie-
der, indem er ſagte: „Weil wir ohnedem jezt an dem
Kapitel von den Mirakeln ſind, ſo ſollt ihr noch eine
kleine Geſchichte hören. Sie hat ſich erſt heute zuge-
tragen, ſteht aber hoffentlich in keinem Zuſammenhang
mit der vorigen. Dieſen Morgen kommt ein Jude zu
mir, hat einen Sack unterm Arm und fragt, ob ich
nichts zu ſchachern hätte, er habe da einen guten Rock
zu verhandeln. Der Kerl muß die ſchwache Seite an
dem meinigen entdeckt haben; das verdroß mich und
ich war dem Spitzbuben ohnedieß ſpinnefeind. Während
ich alſo im Stillen überlege, auf was Art ich den Sün-
der am zweckmäßigſten die Treppe hinunterwerfe, fällt
mir zufällig meine Taſchenuhr in’s Aug’. Nun weiß
ich nicht, war es ein weichherziger Gedanke an meinen
ſeligen Vater, von welchem mir das Erbſtück kam, oder
was war es, daß ich plötzlich in mitleidige Geſinnungen
überging. Ich dachte, ein Jud iſt doch gleichſam auch
eine Kreatur Gottes und dergleichen; kurz, ich nahm
die Uhr höchſt gerührt vom Nagel an meinem Bette,
beſah ſie noch einmal und fragte: was ſie gelten ſoll?
Der Schurke ſchlug ſie nun für ein wahres Spottgeld
an und ich gab ihm einen Backenſtreich, den ſchlug er
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Alles lachte über dieſe ſonderbare Erzählung, nur
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 490. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/176>, abgerufen am 25.11.2024.
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