Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

hervorzubringen, und ein mitleidflehendes Gesicht zu
machen, als würde gleich die Ohnmacht kommen. Man
enthält sich kaum dabei recht schmachtend zu fragen:
Ist Ihnen nicht ein Schluck Affenthaler gefällig, Fräu-
lein, oder dergleichen? Kurz also, wenn jene
erste Gattung nichts weiter sagen will als: Gottlob,
dieß wäre überstanden! so ist dagegen die zweite" -- Er
hatte noch nicht ausgeredt, so kam erst Agnes, bis
jezt von Niemand eigentlich vermißt, mit einem Kinde
des Pfarrers, das nicht mehr hatte fortquackeln kön-
nen und das sie sich auf den Rücken geladen, den
steilen Rand von der Seite heraufgeklommen; sie
sezte athemlos das Kind auf die Erde und ein "Gott-
lob!" entfuhr ihr halblaut. Bei diesem Wort sah
man sich um, ein allgemeines Gelächter war unwider-
stehlich, aber auch rührender konnte nichts seyn, als
die erschrocken fragende Miene des lieben Mädchens.
Herzlich umarmte und küßte sie Amandus, indem
er rief: "dießmal, wahrhaftig, ist Marthas Mühe
schöner als selbst das Eine, das hier oben Noth ist."

Welch ein Genuß nun aber, sich mit durstigem
Auge in dieses Glanzmeer der Landschaft hinunter-
zustürzen, das Violet der fernsten Berge einzuschlür-
fen, dann wieder über die nächsten Ortschaften,
Wälder und Felder, Landstraßen und Wasser, im un-
erschöpflichen Wechsel von Linien und Farben, hin-
zugleiten!

Hier schaute, gar nicht allzuweit entfernt, eine

hervorzubringen, und ein mitleidflehendes Geſicht zu
machen, als würde gleich die Ohnmacht kommen. Man
enthält ſich kaum dabei recht ſchmachtend zu fragen:
Iſt Ihnen nicht ein Schluck Affenthaler gefällig, Fräu-
lein, oder dergleichen? Kurz alſo, wenn jene
erſte Gattung nichts weiter ſagen will als: Gottlob,
dieß wäre überſtanden! ſo iſt dagegen die zweite“ — Er
hatte noch nicht ausgeredt, ſo kam erſt Agnes, bis
jezt von Niemand eigentlich vermißt, mit einem Kinde
des Pfarrers, das nicht mehr hatte fortquackeln kön-
nen und das ſie ſich auf den Rücken geladen, den
ſteilen Rand von der Seite heraufgeklommen; ſie
ſezte athemlos das Kind auf die Erde und ein „Gott-
lob!“ entfuhr ihr halblaut. Bei dieſem Wort ſah
man ſich um, ein allgemeines Gelächter war unwider-
ſtehlich, aber auch rührender konnte nichts ſeyn, als
die erſchrocken fragende Miene des lieben Mädchens.
Herzlich umarmte und küßte ſie Amandus, indem
er rief: „dießmal, wahrhaftig, iſt Marthas Mühe
ſchöner als ſelbſt das Eine, das hier oben Noth iſt.“

Welch ein Genuß nun aber, ſich mit durſtigem
Auge in dieſes Glanzmeer der Landſchaft hinunter-
zuſtürzen, das Violet der fernſten Berge einzuſchlür-
fen, dann wieder über die nächſten Ortſchaften,
Wälder und Felder, Landſtraßen und Waſſer, im un-
erſchöpflichen Wechſel von Linien und Farben, hin-
zugleiten!

Hier ſchaute, gar nicht allzuweit entfernt, eine

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0129" n="443"/>
hervorzubringen, und ein mitleidflehendes Ge&#x017F;icht zu<lb/>
machen, als würde gleich die Ohnmacht kommen. Man<lb/>
enthält &#x017F;ich kaum dabei recht &#x017F;chmachtend zu fragen:<lb/>
I&#x017F;t Ihnen nicht ein Schluck Affenthaler gefällig, Fräu-<lb/>
lein, oder dergleichen? Kurz al&#x017F;o, wenn jene<lb/>
er&#x017F;te Gattung nichts weiter &#x017F;agen will als: Gottlob,<lb/>
dieß wäre über&#x017F;tanden! &#x017F;o i&#x017F;t dagegen die zweite&#x201C; &#x2014; Er<lb/>
hatte noch nicht ausgeredt, &#x017F;o kam er&#x017F;t <hi rendition="#g">Agnes</hi>, bis<lb/>
jezt von Niemand eigentlich vermißt, mit einem Kinde<lb/>
des Pfarrers, das nicht mehr hatte fortquackeln kön-<lb/>
nen und das &#x017F;ie &#x017F;ich auf den Rücken geladen, den<lb/>
&#x017F;teilen Rand von der Seite heraufgeklommen; &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ezte athemlos das Kind auf die Erde und ein &#x201E;Gott-<lb/>
lob!&#x201C; entfuhr ihr halblaut. Bei die&#x017F;em Wort &#x017F;ah<lb/>
man &#x017F;ich um, ein allgemeines Gelächter war unwider-<lb/>
&#x017F;tehlich, aber auch rührender konnte nichts &#x017F;eyn, als<lb/>
die er&#x017F;chrocken fragende Miene des lieben Mädchens.<lb/>
Herzlich umarmte und küßte &#x017F;ie <hi rendition="#g">Amandus</hi>, indem<lb/>
er rief: &#x201E;dießmal, wahrhaftig, i&#x017F;t Marthas Mühe<lb/>
&#x017F;chöner als &#x017F;elb&#x017F;t das Eine, das hier oben Noth i&#x017F;t.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Welch ein Genuß nun aber, &#x017F;ich mit dur&#x017F;tigem<lb/>
Auge in die&#x017F;es Glanzmeer der Land&#x017F;chaft hinunter-<lb/>
zu&#x017F;türzen, das Violet der fern&#x017F;ten Berge einzu&#x017F;chlür-<lb/>
fen, dann wieder über die näch&#x017F;ten Ort&#x017F;chaften,<lb/>
Wälder und Felder, Land&#x017F;traßen und Wa&#x017F;&#x017F;er, im un-<lb/>
er&#x017F;chöpflichen Wech&#x017F;el von Linien und Farben, hin-<lb/>
zugleiten!</p><lb/>
          <p>Hier &#x017F;chaute, gar nicht allzuweit entfernt, eine<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[443/0129] hervorzubringen, und ein mitleidflehendes Geſicht zu machen, als würde gleich die Ohnmacht kommen. Man enthält ſich kaum dabei recht ſchmachtend zu fragen: Iſt Ihnen nicht ein Schluck Affenthaler gefällig, Fräu- lein, oder dergleichen? Kurz alſo, wenn jene erſte Gattung nichts weiter ſagen will als: Gottlob, dieß wäre überſtanden! ſo iſt dagegen die zweite“ — Er hatte noch nicht ausgeredt, ſo kam erſt Agnes, bis jezt von Niemand eigentlich vermißt, mit einem Kinde des Pfarrers, das nicht mehr hatte fortquackeln kön- nen und das ſie ſich auf den Rücken geladen, den ſteilen Rand von der Seite heraufgeklommen; ſie ſezte athemlos das Kind auf die Erde und ein „Gott- lob!“ entfuhr ihr halblaut. Bei dieſem Wort ſah man ſich um, ein allgemeines Gelächter war unwider- ſtehlich, aber auch rührender konnte nichts ſeyn, als die erſchrocken fragende Miene des lieben Mädchens. Herzlich umarmte und küßte ſie Amandus, indem er rief: „dießmal, wahrhaftig, iſt Marthas Mühe ſchöner als ſelbſt das Eine, das hier oben Noth iſt.“ Welch ein Genuß nun aber, ſich mit durſtigem Auge in dieſes Glanzmeer der Landſchaft hinunter- zuſtürzen, das Violet der fernſten Berge einzuſchlür- fen, dann wieder über die nächſten Ortſchaften, Wälder und Felder, Landſtraßen und Waſſer, im un- erſchöpflichen Wechſel von Linien und Farben, hin- zugleiten! Hier ſchaute, gar nicht allzuweit entfernt, eine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/129
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/129>, abgerufen am 27.04.2024.