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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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satt, sich von Adelheiden erzählen zu lassen. Wir
wissen die fast mehr als brüderliche Neigung, welche
den Maler an die Schwester band, deren stille Tiefe
sich, wie behauptet wird und wir gern glauben mö-
gen, inzwischen zu einem höchst liebenswerthen und
seltenen Charakter entwickelt und befestigt hatte; zum
wenigsten fand Agnes nach ihrer demüthig liebevol-
len Weise sogleich im Stillen ein Musterbild der äch-
ten Frauen in dieser Schwägerin für sich aus, ob-
gleich sich Beide nur erst Einmal gesehen hatten.
Jezt gedachte man der Entfernten mit desto innige-
rer Rührung, da man gleich Anfangs gehört, sie sey
vor Kurzem zum Erstenmale Mutter, und eine höchst
beglückte, geworden. -- Noch sagen wir bei dieser
Gelegenheit, daß eine ältere Schwester, Ernestine,
auch längst verheirathet war, jedoch, so viel man wis-
sen wollte, nicht sehr zufrieden, da sie auch in der
That nicht geschaffen schien, einen Mann für immer
zu fesseln. Die Jüngste, Nantchen, stand eben in
der schönsten Jugendblüthe und lebte bei einer Tante.

Man kam an einem Tannengehölze vorüber, das
Reiherwäldchen genannt, dessen Echo berühmt war.
Der Pfarrer rief, mit den gehörigen Pausen, hinein:

"Frau Adelheid,
Zu dieser Zeit
In ihrem Bettlein reine,
Muß ferne seyn,
Muß ferne seyn,
Doch ist sie nicht alleine.

ſatt, ſich von Adelheiden erzählen zu laſſen. Wir
wiſſen die faſt mehr als brüderliche Neigung, welche
den Maler an die Schweſter band, deren ſtille Tiefe
ſich, wie behauptet wird und wir gern glauben mö-
gen, inzwiſchen zu einem höchſt liebenswerthen und
ſeltenen Charakter entwickelt und befeſtigt hatte; zum
wenigſten fand Agnes nach ihrer demüthig liebevol-
len Weiſe ſogleich im Stillen ein Muſterbild der äch-
ten Frauen in dieſer Schwägerin für ſich aus, ob-
gleich ſich Beide nur erſt Einmal geſehen hatten.
Jezt gedachte man der Entfernten mit deſto innige-
rer Rührung, da man gleich Anfangs gehört, ſie ſey
vor Kurzem zum Erſtenmale Mutter, und eine höchſt
beglückte, geworden. — Noch ſagen wir bei dieſer
Gelegenheit, daß eine ältere Schweſter, Erneſtine,
auch längſt verheirathet war, jedoch, ſo viel man wiſ-
ſen wollte, nicht ſehr zufrieden, da ſie auch in der
That nicht geſchaffen ſchien, einen Mann für immer
zu feſſeln. Die Jüngſte, Nantchen, ſtand eben in
der ſchönſten Jugendblüthe und lebte bei einer Tante.

Man kam an einem Tannengehölze vorüber, das
Reiherwäldchen genannt, deſſen Echo berühmt war.
Der Pfarrer rief, mit den gehörigen Pauſen, hinein:

„Frau Adelheid,
Zu dieſer Zeit
In ihrem Bettlein reine,
Muß ferne ſeyn,
Muß ferne ſeyn,
Doch iſt ſie nicht alleine.
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[441/0127] ſatt, ſich von Adelheiden erzählen zu laſſen. Wir wiſſen die faſt mehr als brüderliche Neigung, welche den Maler an die Schweſter band, deren ſtille Tiefe ſich, wie behauptet wird und wir gern glauben mö- gen, inzwiſchen zu einem höchſt liebenswerthen und ſeltenen Charakter entwickelt und befeſtigt hatte; zum wenigſten fand Agnes nach ihrer demüthig liebevol- len Weiſe ſogleich im Stillen ein Muſterbild der äch- ten Frauen in dieſer Schwägerin für ſich aus, ob- gleich ſich Beide nur erſt Einmal geſehen hatten. Jezt gedachte man der Entfernten mit deſto innige- rer Rührung, da man gleich Anfangs gehört, ſie ſey vor Kurzem zum Erſtenmale Mutter, und eine höchſt beglückte, geworden. — Noch ſagen wir bei dieſer Gelegenheit, daß eine ältere Schweſter, Erneſtine, auch längſt verheirathet war, jedoch, ſo viel man wiſ- ſen wollte, nicht ſehr zufrieden, da ſie auch in der That nicht geſchaffen ſchien, einen Mann für immer zu feſſeln. Die Jüngſte, Nantchen, ſtand eben in der ſchönſten Jugendblüthe und lebte bei einer Tante. Man kam an einem Tannengehölze vorüber, das Reiherwäldchen genannt, deſſen Echo berühmt war. Der Pfarrer rief, mit den gehörigen Pauſen, hinein: „Frau Adelheid, Zu dieſer Zeit In ihrem Bettlein reine, Muß ferne ſeyn, Muß ferne ſeyn, Doch iſt ſie nicht alleine.

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/127>, abgerufen am 27.04.2024.