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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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der Alte mit seiner Tochter, die ganze Scene, die ihm
ein Blitz des Gedankens im vollen überraschenden
Kontraste mit der Vergangenheit aufreißt und erhellt,
dünkt ihm auf Einmal Duft und Traum zu seyn, ja,
wäre das, was er hier um sich her mit Augen sah,
durch einen mächtigen Zauber urplötzlich vor ihm
versunken und verschwunden, er hätte darin nur
die natürliche Auflösung einer ungeheuren Illusion
gesehen.

Glücklicherweise war die Aufmerksamkeit Agne-
sens
während dieser heftigen Bewegung Theobalds
völlig auf den Vater gespannt, der es liebte, mit sei-
ner Tochter über politische Begebenheiten zu raison-
niren und ihr Urtheil daran zu prüfen und zu üben.

Unser Freund kam sich ganz verstoßen und ver-
lassen vor, und wenn sein Blick auf das liebe Mäd-
chen fiel, so schien sie ihm gar nicht mehr anzugehö-
ren, ihn niemals etwas angegangen zu haben.

Wie nun aber unser Herz, durch die Dazwischen-
kunft eines kleinen Umstandes sich von einem Aeußer-
sten zur natürlichen Empfindung geschwind umschwen-
ken zu lassen, eine wohlthätige Fertigkeit besizt, so
war, als nun die Thüre aufging und unerwartet der
gute alte Baron eintrat, unser Freund alsbald sich
selbst zurückgegeben, und nicht die Erscheinung einer
Gottheit hätte ihm wohler thun können. Mit aus-
gestreckten Armen eilt er auf ihn zu und liegt schluch-
zend, als ein Kind, am Halse des ehrwürdigen Mannes,

der Alte mit ſeiner Tochter, die ganze Scene, die ihm
ein Blitz des Gedankens im vollen überraſchenden
Kontraſte mit der Vergangenheit aufreißt und erhellt,
dünkt ihm auf Einmal Duft und Traum zu ſeyn, ja,
wäre das, was er hier um ſich her mit Augen ſah,
durch einen mächtigen Zauber urplötzlich vor ihm
verſunken und verſchwunden, er hätte darin nur
die natürliche Auflöſung einer ungeheuren Illuſion
geſehen.

Glücklicherweiſe war die Aufmerkſamkeit Agne-
ſens
während dieſer heftigen Bewegung Theobalds
völlig auf den Vater geſpannt, der es liebte, mit ſei-
ner Tochter über politiſche Begebenheiten zu raiſon-
niren und ihr Urtheil daran zu prüfen und zu üben.

Unſer Freund kam ſich ganz verſtoßen und ver-
laſſen vor, und wenn ſein Blick auf das liebe Mäd-
chen fiel, ſo ſchien ſie ihm gar nicht mehr anzugehö-
ren, ihn niemals etwas angegangen zu haben.

Wie nun aber unſer Herz, durch die Dazwiſchen-
kunft eines kleinen Umſtandes ſich von einem Aeußer-
ſten zur natürlichen Empfindung geſchwind umſchwen-
ken zu laſſen, eine wohlthätige Fertigkeit beſizt, ſo
war, als nun die Thüre aufging und unerwartet der
gute alte Baron eintrat, unſer Freund alsbald ſich
ſelbſt zurückgegeben, und nicht die Erſcheinung einer
Gottheit hätte ihm wohler thun können. Mit aus-
geſtreckten Armen eilt er auf ihn zu und liegt ſchluch-
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[414/0100] der Alte mit ſeiner Tochter, die ganze Scene, die ihm ein Blitz des Gedankens im vollen überraſchenden Kontraſte mit der Vergangenheit aufreißt und erhellt, dünkt ihm auf Einmal Duft und Traum zu ſeyn, ja, wäre das, was er hier um ſich her mit Augen ſah, durch einen mächtigen Zauber urplötzlich vor ihm verſunken und verſchwunden, er hätte darin nur die natürliche Auflöſung einer ungeheuren Illuſion geſehen. Glücklicherweiſe war die Aufmerkſamkeit Agne- ſens während dieſer heftigen Bewegung Theobalds völlig auf den Vater geſpannt, der es liebte, mit ſei- ner Tochter über politiſche Begebenheiten zu raiſon- niren und ihr Urtheil daran zu prüfen und zu üben. Unſer Freund kam ſich ganz verſtoßen und ver- laſſen vor, und wenn ſein Blick auf das liebe Mäd- chen fiel, ſo ſchien ſie ihm gar nicht mehr anzugehö- ren, ihn niemals etwas angegangen zu haben. Wie nun aber unſer Herz, durch die Dazwiſchen- kunft eines kleinen Umſtandes ſich von einem Aeußer- ſten zur natürlichen Empfindung geſchwind umſchwen- ken zu laſſen, eine wohlthätige Fertigkeit beſizt, ſo war, als nun die Thüre aufging und unerwartet der gute alte Baron eintrat, unſer Freund alsbald ſich ſelbſt zurückgegeben, und nicht die Erſcheinung einer Gottheit hätte ihm wohler thun können. Mit aus- geſtreckten Armen eilt er auf ihn zu und liegt ſchluch- zend, als ein Kind, am Halſe des ehrwürdigen Mannes,

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/100>, abgerufen am 23.11.2024.