Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

Ansprüche zu bewegen, so hänge am Ende Alles nur
vom Vater ab. Es scheine, daß dieser im Stillen
einen solchen Wechsel gut heiße und sich nur vor
Nolten scheue, deßwegen halte er die Sache mit
schwankendem Entschlusse hin und sorge in der That
für keinen Theil sehr vortheilhaft, wenn er Theo-
balden
noch immer in einer Hoffnung lasse, auf
welche er selber insgeheim verzichte; er thue Unrecht,
daß er die Tochter stets auf's Neue irre zu machen
suche und sie nöthige, in ihren Briefen unredlich
gegen Theobald zu seyn. Ihr Herz habe für im-
mer entschieden. Einige Briefe von Agnesens ei-
gener Hand an den Cousin werden ihre Gesinnung
hinreichend beweisen. (Die Blätter lagen bei, und
man hat sich Briefe zu denken, welche die Unglückliche
ohne Vorwissen des Försters an Otto gesandt.) Er
habe diese Eröffnungen für Pflicht gehalten, und
Nolten möge seine Maßregeln darnach ergreifen.
Sollte der Förster, was jedoch wenig Wahrscheinlich-
keit habe, zulezt eigensinnig und grausam die Rechte
des Vaters geltend machen, oder Theobald die des
Verlobten, so könne nur ein vollendetes Unglück für
Alle daraus entspringen, während im andern Falle
Nolten wenigstens den Trost für sich behalte, den
der Mann im Bewußtseyn einer ungemein und groß-
herzig erfüllten Pflicht von jeher gefunden.

Ein schallendes, verzweiflungsvolles Gelächter
war das erste Lebenszeichen, das unser Maler, nach-

Anſprüche zu bewegen, ſo hänge am Ende Alles nur
vom Vater ab. Es ſcheine, daß dieſer im Stillen
einen ſolchen Wechſel gut heiße und ſich nur vor
Nolten ſcheue, deßwegen halte er die Sache mit
ſchwankendem Entſchluſſe hin und ſorge in der That
für keinen Theil ſehr vortheilhaft, wenn er Theo-
balden
noch immer in einer Hoffnung laſſe, auf
welche er ſelber insgeheim verzichte; er thue Unrecht,
daß er die Tochter ſtets auf’s Neue irre zu machen
ſuche und ſie nöthige, in ihren Briefen unredlich
gegen Theobald zu ſeyn. Ihr Herz habe für im-
mer entſchieden. Einige Briefe von Agneſens ei-
gener Hand an den Couſin werden ihre Geſinnung
hinreichend beweiſen. (Die Blätter lagen bei, und
man hat ſich Briefe zu denken, welche die Unglückliche
ohne Vorwiſſen des Förſters an Otto geſandt.) Er
habe dieſe Eröffnungen für Pflicht gehalten, und
Nolten möge ſeine Maßregeln darnach ergreifen.
Sollte der Förſter, was jedoch wenig Wahrſcheinlich-
keit habe, zulezt eigenſinnig und grauſam die Rechte
des Vaters geltend machen, oder Theobald die des
Verlobten, ſo könne nur ein vollendetes Unglück für
Alle daraus entſpringen, während im andern Falle
Nolten wenigſtens den Troſt für ſich behalte, den
der Mann im Bewußtſeyn einer ungemein und groß-
herzig erfüllten Pflicht von jeher gefunden.

Ein ſchallendes, verzweiflungsvolles Gelächter
war das erſte Lebenszeichen, das unſer Maler, nach-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0098" n="90"/>
An&#x017F;prüche zu bewegen, &#x017F;o hänge am Ende Alles nur<lb/>
vom Vater ab. Es &#x017F;cheine, daß die&#x017F;er im Stillen<lb/>
einen &#x017F;olchen Wech&#x017F;el gut heiße und &#x017F;ich nur vor<lb/><hi rendition="#g">Nolten</hi> &#x017F;cheue, deßwegen halte er die Sache mit<lb/>
&#x017F;chwankendem Ent&#x017F;chlu&#x017F;&#x017F;e hin und &#x017F;orge in der That<lb/>
für keinen Theil &#x017F;ehr vortheilhaft, wenn er <hi rendition="#g">Theo-<lb/>
balden</hi> noch immer in einer Hoffnung la&#x017F;&#x017F;e, auf<lb/>
welche er &#x017F;elber insgeheim verzichte; er thue Unrecht,<lb/>
daß er die Tochter &#x017F;tets auf&#x2019;s Neue irre zu machen<lb/>
&#x017F;uche und &#x017F;ie nöthige, in ihren Briefen unredlich<lb/>
gegen <hi rendition="#g">Theobald</hi> zu &#x017F;eyn. Ihr Herz habe für im-<lb/>
mer ent&#x017F;chieden. Einige Briefe von <hi rendition="#g">Agne&#x017F;ens</hi> ei-<lb/>
gener Hand an den Cou&#x017F;in werden ihre Ge&#x017F;innung<lb/>
hinreichend bewei&#x017F;en. (Die Blätter lagen bei, und<lb/>
man hat &#x017F;ich Briefe zu denken, welche die Unglückliche<lb/>
ohne Vorwi&#x017F;&#x017F;en des För&#x017F;ters an <hi rendition="#g">Otto</hi> ge&#x017F;andt.) Er<lb/>
habe die&#x017F;e Eröffnungen für Pflicht gehalten, und<lb/><hi rendition="#g">Nolten</hi> möge &#x017F;eine Maßregeln darnach ergreifen.<lb/>
Sollte der För&#x017F;ter, was jedoch wenig Wahr&#x017F;cheinlich-<lb/>
keit habe, zulezt eigen&#x017F;innig und grau&#x017F;am die Rechte<lb/>
des Vaters geltend machen, oder <hi rendition="#g">Theobald</hi> die des<lb/>
Verlobten, &#x017F;o könne nur ein vollendetes Unglück für<lb/>
Alle daraus ent&#x017F;pringen, während im andern Falle<lb/><hi rendition="#g">Nolten</hi> wenig&#x017F;tens den Tro&#x017F;t für &#x017F;ich behalte, den<lb/>
der Mann im Bewußt&#x017F;eyn einer ungemein und groß-<lb/>
herzig erfüllten Pflicht von jeher gefunden.</p><lb/>
          <p>Ein &#x017F;challendes, verzweiflungsvolles Gelächter<lb/>
war das er&#x017F;te Lebenszeichen, das un&#x017F;er Maler, nach-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[90/0098] Anſprüche zu bewegen, ſo hänge am Ende Alles nur vom Vater ab. Es ſcheine, daß dieſer im Stillen einen ſolchen Wechſel gut heiße und ſich nur vor Nolten ſcheue, deßwegen halte er die Sache mit ſchwankendem Entſchluſſe hin und ſorge in der That für keinen Theil ſehr vortheilhaft, wenn er Theo- balden noch immer in einer Hoffnung laſſe, auf welche er ſelber insgeheim verzichte; er thue Unrecht, daß er die Tochter ſtets auf’s Neue irre zu machen ſuche und ſie nöthige, in ihren Briefen unredlich gegen Theobald zu ſeyn. Ihr Herz habe für im- mer entſchieden. Einige Briefe von Agneſens ei- gener Hand an den Couſin werden ihre Geſinnung hinreichend beweiſen. (Die Blätter lagen bei, und man hat ſich Briefe zu denken, welche die Unglückliche ohne Vorwiſſen des Förſters an Otto geſandt.) Er habe dieſe Eröffnungen für Pflicht gehalten, und Nolten möge ſeine Maßregeln darnach ergreifen. Sollte der Förſter, was jedoch wenig Wahrſcheinlich- keit habe, zulezt eigenſinnig und grauſam die Rechte des Vaters geltend machen, oder Theobald die des Verlobten, ſo könne nur ein vollendetes Unglück für Alle daraus entſpringen, während im andern Falle Nolten wenigſtens den Troſt für ſich behalte, den der Mann im Bewußtſeyn einer ungemein und groß- herzig erfüllten Pflicht von jeher gefunden. Ein ſchallendes, verzweiflungsvolles Gelächter war das erſte Lebenszeichen, das unſer Maler, nach-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/98
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/98>, abgerufen am 18.05.2024.