ist Euer Schatz zwar nicht, doch denkt an mich, er wird es werden."
Agnes, obgleich etwas betreten, scherzt Anfangs über eine so unglaubliche Prophezeihung, verwickelt sich aber immer angelegentlicher und hastiger in's Ge- spräch, und da die Aeußerungen und Fragen der Fremden eine ganz unbegreifliche Bekanntschaft mit den eigentlichen Verhältnissen der Braut vorauszusetzen scheinen, so kommt sie den Worten der Zigeunerin un- vermerkt entgegen. Das gutmüthige Benehmen der- selben entfernt zugleich fast jedes Mißtrauen bei Ag- nesen. Wie schmerzhaft aber und wie unvermuthet wird ihr geheimstes Herz mit Einem Male aufgedeckt, da sie aus jenem ahnungsvollen Munde unter andern die Worte vernimmt: "Was Euern jetzigen Verlobten anbelangt, so wär' es grausam Unrecht, Euch zu ver- bergen, daß Ihr auch allerdings nicht geboren seyd für einander. Seht hier die schiefe Linie! das ist ver- wünscht; stimmt doch das Ganze sonst gar hübsch zu- sammen! Aber die Geister necken sich und machen Krieg mit den Herzen, die freilich jezt noch fest zusammen- halten. Ei närrisch, närrisch! mir kam so was noch wenig vor."
Agnes fand Sinn in diesen dunkeln Reden, denn sie erklärten ihr nur ihre eigene Furcht. "Wie?" sagte sie leise und starrte lange denkend in den Schoß, "so ist's -- so ist's! ja Ihr habt Recht."
"Nicht ich, mein Töchterchen, nur Stern und Gras
iſt Euer Schatz zwar nicht, doch denkt an mich, er wird es werden.“
Agnes, obgleich etwas betreten, ſcherzt Anfangs über eine ſo unglaubliche Prophezeihung, verwickelt ſich aber immer angelegentlicher und haſtiger in’s Ge- ſpräch, und da die Aeußerungen und Fragen der Fremden eine ganz unbegreifliche Bekanntſchaft mit den eigentlichen Verhältniſſen der Braut vorauszuſetzen ſcheinen, ſo kommt ſie den Worten der Zigeunerin un- vermerkt entgegen. Das gutmüthige Benehmen der- ſelben entfernt zugleich faſt jedes Mißtrauen bei Ag- neſen. Wie ſchmerzhaft aber und wie unvermuthet wird ihr geheimſtes Herz mit Einem Male aufgedeckt, da ſie aus jenem ahnungsvollen Munde unter andern die Worte vernimmt: „Was Euern jetzigen Verlobten anbelangt, ſo wär’ es grauſam Unrecht, Euch zu ver- bergen, daß Ihr auch allerdings nicht geboren ſeyd für einander. Seht hier die ſchiefe Linie! das iſt ver- wünſcht; ſtimmt doch das Ganze ſonſt gar hübſch zu- ſammen! Aber die Geiſter necken ſich und machen Krieg mit den Herzen, die freilich jezt noch feſt zuſammen- halten. Ei närriſch, närriſch! mir kam ſo was noch wenig vor.“
Agnes fand Sinn in dieſen dunkeln Reden, denn ſie erklärten ihr nur ihre eigene Furcht. „Wie?“ ſagte ſie leiſe und ſtarrte lange denkend in den Schoß, „ſo iſt’s — ſo iſt’s! ja Ihr habt Recht.“
„Nicht ich, mein Töchterchen, nur Stern und Gras
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iſt Euer Schatz zwar nicht, doch denkt an mich, er
wird es werden.“
Agnes, obgleich etwas betreten, ſcherzt Anfangs
über eine ſo unglaubliche Prophezeihung, verwickelt
ſich aber immer angelegentlicher und haſtiger in’s Ge-
ſpräch, und da die Aeußerungen und Fragen der
Fremden eine ganz unbegreifliche Bekanntſchaft mit
den eigentlichen Verhältniſſen der Braut vorauszuſetzen
ſcheinen, ſo kommt ſie den Worten der Zigeunerin un-
vermerkt entgegen. Das gutmüthige Benehmen der-
ſelben entfernt zugleich faſt jedes Mißtrauen bei Ag-
neſen. Wie ſchmerzhaft aber und wie unvermuthet
wird ihr geheimſtes Herz mit Einem Male aufgedeckt,
da ſie aus jenem ahnungsvollen Munde unter andern
die Worte vernimmt: „Was Euern jetzigen Verlobten
anbelangt, ſo wär’ es grauſam Unrecht, Euch zu ver-
bergen, daß Ihr auch allerdings nicht geboren ſeyd für
einander. Seht hier die ſchiefe Linie! das iſt ver-
wünſcht; ſtimmt doch das Ganze ſonſt gar hübſch zu-
ſammen! Aber die Geiſter necken ſich und machen Krieg
mit den Herzen, die freilich jezt noch feſt zuſammen-
halten. Ei närriſch, närriſch! mir kam ſo was noch
wenig vor.“
Agnes fand Sinn in dieſen dunkeln Reden, denn
ſie erklärten ihr nur ihre eigene Furcht. „Wie?“ ſagte
ſie leiſe und ſtarrte lange denkend in den Schoß, „ſo
iſt’s — ſo iſt’s! ja Ihr habt Recht.“
„Nicht ich, mein Töchterchen, nur Stern und Gras
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/79>, abgerufen am 26.11.2024.
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