Bekanntschaft entsponnen hatte. Endlich fing Ferdi- nand an: "Du erräthst wohl kaum, wo wir heute vor sechs Tagen um diese Stunde zu Gaste gesessen sind; in welchem Dörfchen, in welchem Stübchen und wer uns bewirthete?" "Nein!" sagte Nolten; aber ein aufmerksamer Beobachter würde in dieser klein- lauten Verneinung ein sehr schnell errathendes Ja ge- wittert haben. "Neuburg," flüsterte Leopold freu- dig zuvorkommend und von der andern Seite flog der Name "Agnes" über Ferdinands Mund. "Ich dank' euch," sagte Nolten, wie abbrechend, und ver- barg eine unangenehme Empfindung.
"Was danken? du hast ja den Gruß noch nicht einmal in der Hand, den wir dir zu bringen haben!" -- und hiemit sah er sich einen Brief entgegengehal- ten, den er mit erzwungenem Wohlgefallen zu sich steckte, indem er die Beiden durch einen Vorsicht ge- bietenden Blick auf die Spieler für jezt zum Still- schweigen zu vermögen suchte.
"So laß mich," fuhr Ferdinand fort, "wenig- stens des anmuthigen Oertchens, laß mich des Förster- hauses gedenken, wo du deine Knabenjahre bei einem zweiten Vater verlebtest, bis der benachbarte Baron auf dem Schlosse, der gute lebendige Mann, für die Förderung deines Talents sorgte. Er lebt noch in frischem Marke, der ehrliche Veteran, er und der from- me Förster erinnerten sich mit Herzlichkeit jenes glück- lichen Tages, da du mich, es sind nun drei Jahre her,
Bekanntſchaft entſponnen hatte. Endlich fing Ferdi- nand an: „Du erräthſt wohl kaum, wo wir heute vor ſechs Tagen um dieſe Stunde zu Gaſte geſeſſen ſind; in welchem Dörfchen, in welchem Stübchen und wer uns bewirthete?“ „Nein!“ ſagte Nolten; aber ein aufmerkſamer Beobachter würde in dieſer klein- lauten Verneinung ein ſehr ſchnell errathendes Ja ge- wittert haben. „Neuburg,“ flüſterte Leopold freu- dig zuvorkommend und von der andern Seite flog der Name „Agnes“ über Ferdinands Mund. „Ich dank’ euch,“ ſagte Nolten, wie abbrechend, und ver- barg eine unangenehme Empfindung.
„Was danken? du haſt ja den Gruß noch nicht einmal in der Hand, den wir dir zu bringen haben!“ — und hiemit ſah er ſich einen Brief entgegengehal- ten, den er mit erzwungenem Wohlgefallen zu ſich ſteckte, indem er die Beiden durch einen Vorſicht ge- bietenden Blick auf die Spieler für jezt zum Still- ſchweigen zu vermögen ſuchte.
„So laß mich,“ fuhr Ferdinand fort, „wenig- ſtens des anmuthigen Oertchens, laß mich des Förſter- hauſes gedenken, wo du deine Knabenjahre bei einem zweiten Vater verlebteſt, bis der benachbarte Baron auf dem Schloſſe, der gute lebendige Mann, für die Förderung deines Talents ſorgte. Er lebt noch in friſchem Marke, der ehrliche Veteran, er und der from- me Förſter erinnerten ſich mit Herzlichkeit jenes glück- lichen Tages, da du mich, es ſind nun drei Jahre her,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0043"n="35"/>
Bekanntſchaft entſponnen hatte. Endlich fing <hirendition="#g">Ferdi-<lb/>
nand</hi> an: „Du erräthſt wohl kaum, wo wir heute<lb/>
vor ſechs Tagen um dieſe Stunde zu Gaſte geſeſſen<lb/>ſind; in welchem Dörfchen, in welchem Stübchen und<lb/>
wer uns bewirthete?“„Nein!“ſagte <hirendition="#g">Nolten</hi>; aber<lb/>
ein aufmerkſamer Beobachter würde in dieſer klein-<lb/>
lauten Verneinung ein ſehr ſchnell errathendes Ja ge-<lb/>
wittert haben. „<hirendition="#g">Neuburg</hi>,“ flüſterte <hirendition="#g">Leopold</hi> freu-<lb/>
dig zuvorkommend und von der andern Seite flog der<lb/>
Name „<hirendition="#g">Agnes</hi>“ über <hirendition="#g">Ferdinands</hi> Mund. „Ich<lb/>
dank’ euch,“ſagte <hirendition="#g">Nolten</hi>, wie abbrechend, und ver-<lb/>
barg eine unangenehme Empfindung.</p><lb/><p>„Was danken? du haſt ja den Gruß noch nicht<lb/>
einmal in der Hand, den wir dir zu bringen haben!“<lb/>— und hiemit ſah er ſich einen Brief entgegengehal-<lb/>
ten, den er mit erzwungenem Wohlgefallen zu ſich<lb/>ſteckte, indem er die Beiden durch einen Vorſicht ge-<lb/>
bietenden Blick auf die Spieler für jezt zum Still-<lb/>ſchweigen zu vermögen ſuchte.</p><lb/><p>„So laß mich,“ fuhr <hirendition="#g">Ferdinand</hi> fort, „wenig-<lb/>ſtens des anmuthigen Oertchens, laß mich des Förſter-<lb/>
hauſes gedenken, wo du deine Knabenjahre bei einem<lb/>
zweiten Vater verlebteſt, bis der benachbarte Baron<lb/>
auf dem Schloſſe, der gute lebendige Mann, für die<lb/>
Förderung deines Talents ſorgte. Er lebt noch in<lb/>
friſchem Marke, der ehrliche Veteran, er und der from-<lb/>
me Förſter erinnerten ſich mit Herzlichkeit jenes glück-<lb/>
lichen Tages, da du mich, es ſind nun drei Jahre her,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[35/0043]
Bekanntſchaft entſponnen hatte. Endlich fing Ferdi-
nand an: „Du erräthſt wohl kaum, wo wir heute
vor ſechs Tagen um dieſe Stunde zu Gaſte geſeſſen
ſind; in welchem Dörfchen, in welchem Stübchen und
wer uns bewirthete?“ „Nein!“ ſagte Nolten; aber
ein aufmerkſamer Beobachter würde in dieſer klein-
lauten Verneinung ein ſehr ſchnell errathendes Ja ge-
wittert haben. „Neuburg,“ flüſterte Leopold freu-
dig zuvorkommend und von der andern Seite flog der
Name „Agnes“ über Ferdinands Mund. „Ich
dank’ euch,“ ſagte Nolten, wie abbrechend, und ver-
barg eine unangenehme Empfindung.
„Was danken? du haſt ja den Gruß noch nicht
einmal in der Hand, den wir dir zu bringen haben!“
— und hiemit ſah er ſich einen Brief entgegengehal-
ten, den er mit erzwungenem Wohlgefallen zu ſich
ſteckte, indem er die Beiden durch einen Vorſicht ge-
bietenden Blick auf die Spieler für jezt zum Still-
ſchweigen zu vermögen ſuchte.
„So laß mich,“ fuhr Ferdinand fort, „wenig-
ſtens des anmuthigen Oertchens, laß mich des Förſter-
hauſes gedenken, wo du deine Knabenjahre bei einem
zweiten Vater verlebteſt, bis der benachbarte Baron
auf dem Schloſſe, der gute lebendige Mann, für die
Förderung deines Talents ſorgte. Er lebt noch in
friſchem Marke, der ehrliche Veteran, er und der from-
me Förſter erinnerten ſich mit Herzlichkeit jenes glück-
lichen Tages, da du mich, es ſind nun drei Jahre her,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/43>, abgerufen am 30.01.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.