Im Vorbeigehen traten sie in Theobalds Schlafkammer, er schlief ruhig, die Hände lagen ge- faltet über der Decke.
Mitternacht war vorüber. Der Alte hatte we- nig Lust sich zur Ruhe zu begeben, die Töchter soll- ten ihm Gesellschaft leisten, und um sie wach zu erhal- ten mußte er den Rest der traurigen Geschichte erzäh- len. "Dieser geht nahe zusammen;" sagte er. "Der Unfall mit dem Kinde vernichtete den Oheim ganz; der Aufenthalt im Vaterlande ward ihm unerträglich, er ging auf Reisen, nach Frankreich und England, soll aber in steter Verbindung mit seinem Fürsten ge- blieben seyn und fortwährend für ihn gearbeitet ha- ben, bis er aus unbekannten Gründen mit dem Hofe zerfiel. Auf Einmal verscholl er und man weiß bloß, daß er mit einem Schiffe zwischen England und Nor- wegen umgekommen. Den größten Theil seines Ver- mögens hatte er bei sich, aber aus dem, was er zu- rückließ, zu schließen, schien er eine Heimkehr nicht aufgegeben zu haben. Seine Güter fielen der Herr- schaft zu, welche Anspruch darauf machte. Außer einem kleinen Vorrath von Effekten, worunter auch jenes Gemälde und das Diarium sich befand, kam nichts an uns. -- So endete der Bruder eures Va- ters. Ich sage, Friede sey mit ihm! Ich werde ihn aufrichtig beweinen bis an meinen Tod, ob ich gleich was er that nicht billigen kann und Jeden warnen muß, dem Gott ein so gefährlich Temperament ver-
Im Vorbeigehen traten ſie in Theobalds Schlafkammer, er ſchlief ruhig, die Hände lagen ge- faltet über der Decke.
Mitternacht war vorüber. Der Alte hatte we- nig Luſt ſich zur Ruhe zu begeben, die Töchter ſoll- ten ihm Geſellſchaft leiſten, und um ſie wach zu erhal- ten mußte er den Reſt der traurigen Geſchichte erzäh- len. „Dieſer geht nahe zuſammen;“ ſagte er. „Der Unfall mit dem Kinde vernichtete den Oheim ganz; der Aufenthalt im Vaterlande ward ihm unerträglich, er ging auf Reiſen, nach Frankreich und England, ſoll aber in ſteter Verbindung mit ſeinem Fürſten ge- blieben ſeyn und fortwährend für ihn gearbeitet ha- ben, bis er aus unbekannten Gründen mit dem Hofe zerfiel. Auf Einmal verſcholl er und man weiß bloß, daß er mit einem Schiffe zwiſchen England und Nor- wegen umgekommen. Den größten Theil ſeines Ver- mögens hatte er bei ſich, aber aus dem, was er zu- rückließ, zu ſchließen, ſchien er eine Heimkehr nicht aufgegeben zu haben. Seine Güter fielen der Herr- ſchaft zu, welche Anſpruch darauf machte. Außer einem kleinen Vorrath von Effekten, worunter auch jenes Gemälde und das Diarium ſich befand, kam nichts an uns. — So endete der Bruder eures Va- ters. Ich ſage, Friede ſey mit ihm! Ich werde ihn aufrichtig beweinen bis an meinen Tod, ob ich gleich was er that nicht billigen kann und Jeden warnen muß, dem Gott ein ſo gefährlich Temperament ver-
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Im Vorbeigehen traten ſie in Theobalds
Schlafkammer, er ſchlief ruhig, die Hände lagen ge-
faltet über der Decke.
Mitternacht war vorüber. Der Alte hatte we-
nig Luſt ſich zur Ruhe zu begeben, die Töchter ſoll-
ten ihm Geſellſchaft leiſten, und um ſie wach zu erhal-
ten mußte er den Reſt der traurigen Geſchichte erzäh-
len. „Dieſer geht nahe zuſammen;“ ſagte er. „Der
Unfall mit dem Kinde vernichtete den Oheim ganz;
der Aufenthalt im Vaterlande ward ihm unerträglich,
er ging auf Reiſen, nach Frankreich und England,
ſoll aber in ſteter Verbindung mit ſeinem Fürſten ge-
blieben ſeyn und fortwährend für ihn gearbeitet ha-
ben, bis er aus unbekannten Gründen mit dem Hofe
zerfiel. Auf Einmal verſcholl er und man weiß bloß,
daß er mit einem Schiffe zwiſchen England und Nor-
wegen umgekommen. Den größten Theil ſeines Ver-
mögens hatte er bei ſich, aber aus dem, was er zu-
rückließ, zu ſchließen, ſchien er eine Heimkehr nicht
aufgegeben zu haben. Seine Güter fielen der Herr-
ſchaft zu, welche Anſpruch darauf machte. Außer
einem kleinen Vorrath von Effekten, worunter auch
jenes Gemälde und das Diarium ſich befand, kam
nichts an uns. — So endete der Bruder eures Va-
ters. Ich ſage, Friede ſey mit ihm! Ich werde ihn
aufrichtig beweinen bis an meinen Tod, ob ich gleich
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/328>, abgerufen am 12.02.2025.
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