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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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stücke, vor Allem ein anständiger Mantel lag für die
Geliebte bereit. Es fand sich ein bequemer verschlos-
sener Wagen, dessen Anblick mich mit abwechselnd
glücklichen und bekümmerten Ahnungen erfüllte; doch
erhielt sich meine Hoffnung um so aufrechter, je wei-
ter ich die Zeit hinaussezte, wo meiner Berechnung
nach die Ankunft des Trupps erfolgen konnte. Dieß
war auf den folgenden Morgen, als den eigentlichen
Markttag. Ganz gelassen schaute ich so eben von mei-
nem Zimmer auf die Straße hinab und überlegte,
nicht ohne einige bedenkliche Rücksicht auf den sehr
herabgesunkenen Zustand meiner Börse, die Art und
Weise, wie ich das in den nächsten Tagen unfehlbar
hier auf der Post einlaufende Paket von S. wollte
am zweckmäßigsten heimwärts mir nachschicken lassen.
Ich sah unter diesen Betrachtungen ruhig zu, wie
unter meinem Fenster ein Junge vom Haus mit einer
neuen hölzernen Armbrust spielte, wobei ein dunkles,
gleichgültiges Gefühl in mir war, als wäre mir ein
gleiches Instrument während der lezten Zeit irgendwo
vorgekommen. Wie ein Blitz durchzückt mich plötzlich
der Gedanke, daß ich noch vor zwei Tagen dergleichen
Schnitzarbeit in den Händen Loskinens gesehen, daß
sie bereits in der Nähe seyn müsse, daß sie jeden
Augenblick in das Haus treten könne. Ich war au-
ßer mir vor Freude, vor Erwartung und Angst.
Aber dieser peinvolle Zustand sollte nicht lange dauern.
O Gott! wer schildert den Augenblick, da die herr-

ſtücke, vor Allem ein anſtändiger Mantel lag für die
Geliebte bereit. Es fand ſich ein bequemer verſchloſ-
ſener Wagen, deſſen Anblick mich mit abwechſelnd
glücklichen und bekümmerten Ahnungen erfüllte; doch
erhielt ſich meine Hoffnung um ſo aufrechter, je wei-
ter ich die Zeit hinausſezte, wo meiner Berechnung
nach die Ankunft des Trupps erfolgen konnte. Dieß
war auf den folgenden Morgen, als den eigentlichen
Markttag. Ganz gelaſſen ſchaute ich ſo eben von mei-
nem Zimmer auf die Straße hinab und überlegte,
nicht ohne einige bedenkliche Rückſicht auf den ſehr
herabgeſunkenen Zuſtand meiner Börſe, die Art und
Weiſe, wie ich das in den nächſten Tagen unfehlbar
hier auf der Poſt einlaufende Paket von S. wollte
am zweckmäßigſten heimwärts mir nachſchicken laſſen.
Ich ſah unter dieſen Betrachtungen ruhig zu, wie
unter meinem Fenſter ein Junge vom Haus mit einer
neuen hölzernen Armbruſt ſpielte, wobei ein dunkles,
gleichgültiges Gefühl in mir war, als wäre mir ein
gleiches Inſtrument während der lezten Zeit irgendwo
vorgekommen. Wie ein Blitz durchzückt mich plötzlich
der Gedanke, daß ich noch vor zwei Tagen dergleichen
Schnitzarbeit in den Händen Loskinens geſehen, daß
ſie bereits in der Nähe ſeyn müſſe, daß ſie jeden
Augenblick in das Haus treten könne. Ich war au-
ßer mir vor Freude, vor Erwartung und Angſt.
Aber dieſer peinvolle Zuſtand ſollte nicht lange dauern.
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[315/0323] ſtücke, vor Allem ein anſtändiger Mantel lag für die Geliebte bereit. Es fand ſich ein bequemer verſchloſ- ſener Wagen, deſſen Anblick mich mit abwechſelnd glücklichen und bekümmerten Ahnungen erfüllte; doch erhielt ſich meine Hoffnung um ſo aufrechter, je wei- ter ich die Zeit hinausſezte, wo meiner Berechnung nach die Ankunft des Trupps erfolgen konnte. Dieß war auf den folgenden Morgen, als den eigentlichen Markttag. Ganz gelaſſen ſchaute ich ſo eben von mei- nem Zimmer auf die Straße hinab und überlegte, nicht ohne einige bedenkliche Rückſicht auf den ſehr herabgeſunkenen Zuſtand meiner Börſe, die Art und Weiſe, wie ich das in den nächſten Tagen unfehlbar hier auf der Poſt einlaufende Paket von S. wollte am zweckmäßigſten heimwärts mir nachſchicken laſſen. Ich ſah unter dieſen Betrachtungen ruhig zu, wie unter meinem Fenſter ein Junge vom Haus mit einer neuen hölzernen Armbruſt ſpielte, wobei ein dunkles, gleichgültiges Gefühl in mir war, als wäre mir ein gleiches Inſtrument während der lezten Zeit irgendwo vorgekommen. Wie ein Blitz durchzückt mich plötzlich der Gedanke, daß ich noch vor zwei Tagen dergleichen Schnitzarbeit in den Händen Loskinens geſehen, daß ſie bereits in der Nähe ſeyn müſſe, daß ſie jeden Augenblick in das Haus treten könne. Ich war au- ßer mir vor Freude, vor Erwartung und Angſt. Aber dieſer peinvolle Zuſtand ſollte nicht lange dauern. O Gott! wer ſchildert den Augenblick, da die herr-

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/323>, abgerufen am 04.12.2024.