ten nach einem ermüdenden Strich Mittags in einem Tannengehölze. Marwin war abwesend und sonst überließ sich fast Alles dem Schlafe. Loskine suchte ihre Lieblingsspeise, das durstlöschende, angenehme Blatt des Sauerklees, der dort in großer Menge wächst. Ich begleitete sie und wir sezten uns endlich hinter einem Hügel an einer schattigen Stelle auf den von abgefallenen Nadeln ganz übersäeten Moosboden. Ich weiß nicht, wie wir auf allerlei Mährchen und wunderbare Dinge zu sprechen kamen, woran sie bei weitem reicher war als ich. Unter Anderem wußte sie von der spinnenden Wald- frau zu sagen, die im Frühen, wenn der herbstliche Wald von der Morgenröthe glühet, unter den Bäumen hergehe und das Laub, wie vom Rocken, in grün und goldnen Fäden abspinne, indeß die Spindel neben ihr hertanze. Auch vertraute sie mir Vieles von der heimlichen Kraft der Kräuter und Wurzeln, was nicht wiederholt werden kann, ohne zugleich ihre eigenen Worte zu ha- ben. Dazwischen arbeitete sie mit dem Schnitzmesser sehr fertig an einem niedlichen Geräthe, dergleichen die Zigeuner aus einem gelben Holze zum Verkauf machen. Ich hatte zulezt beinahe kein Ohr mehr für ihre Er- zählungen ob der Aufmerksamkeit auf die Bewegung der Lippen, auf das Spiel ihrer Miene, und endlich von stille glühenden Wünschen innerlich bestürmt und aufgeregt, wandte ich mich von ihr ab, so daß ich etwas tiefer sitzend ihr Gesicht im Rücken und ihren nackten Fuß -- denn so geht sie gar häufig -- dicht vor meinem
ten nach einem ermüdenden Strich Mittags in einem Tannengehölze. Marwin war abweſend und ſonſt überließ ſich faſt Alles dem Schlafe. Loskine ſuchte ihre Lieblingsſpeiſe, das durſtlöſchende, angenehme Blatt des Sauerklees, der dort in großer Menge wächst. Ich begleitete ſie und wir ſezten uns endlich hinter einem Hügel an einer ſchattigen Stelle auf den von abgefallenen Nadeln ganz überſäeten Moosboden. Ich weiß nicht, wie wir auf allerlei Mährchen und wunderbare Dinge zu ſprechen kamen, woran ſie bei weitem reicher war als ich. Unter Anderem wußte ſie von der ſpinnenden Wald- frau zu ſagen, die im Frühen, wenn der herbſtliche Wald von der Morgenröthe glühet, unter den Bäumen hergehe und das Laub, wie vom Rocken, in grün und goldnen Fäden abſpinne, indeß die Spindel neben ihr hertanze. Auch vertraute ſie mir Vieles von der heimlichen Kraft der Kräuter und Wurzeln, was nicht wiederholt werden kann, ohne zugleich ihre eigenen Worte zu ha- ben. Dazwiſchen arbeitete ſie mit dem Schnitzmeſſer ſehr fertig an einem niedlichen Geräthe, dergleichen die Zigeuner aus einem gelben Holze zum Verkauf machen. Ich hatte zulezt beinahe kein Ohr mehr für ihre Er- zählungen ob der Aufmerkſamkeit auf die Bewegung der Lippen, auf das Spiel ihrer Miene, und endlich von ſtille glühenden Wünſchen innerlich beſtürmt und aufgeregt, wandte ich mich von ihr ab, ſo daß ich etwas tiefer ſitzend ihr Geſicht im Rücken und ihren nackten Fuß — denn ſo geht ſie gar häufig — dicht vor meinem
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0316"n="308"/>
ten nach einem ermüdenden Strich Mittags in einem<lb/>
Tannengehölze. <hirendition="#g">Marwin</hi> war abweſend und ſonſt<lb/>
überließ ſich faſt Alles dem Schlafe. <hirendition="#g">Loskine</hi>ſuchte<lb/>
ihre Lieblingsſpeiſe, das durſtlöſchende, angenehme Blatt<lb/>
des Sauerklees, der dort in großer Menge wächst. Ich<lb/>
begleitete ſie und wir ſezten uns endlich hinter einem<lb/>
Hügel an einer ſchattigen Stelle auf den von abgefallenen<lb/>
Nadeln ganz überſäeten Moosboden. Ich weiß nicht, wie<lb/>
wir auf allerlei Mährchen und wunderbare Dinge zu<lb/>ſprechen kamen, woran ſie bei weitem reicher war als<lb/>
ich. Unter Anderem wußte ſie von der ſpinnenden Wald-<lb/>
frau zu ſagen, die im Frühen, wenn der herbſtliche<lb/>
Wald von der Morgenröthe glühet, unter den Bäumen<lb/>
hergehe und das Laub, wie vom Rocken, in grün und<lb/>
goldnen Fäden abſpinne, indeß die Spindel neben ihr<lb/>
hertanze. Auch vertraute ſie mir Vieles von der heimlichen<lb/>
Kraft der Kräuter und Wurzeln, was nicht wiederholt<lb/>
werden kann, ohne zugleich ihre eigenen Worte zu ha-<lb/>
ben. Dazwiſchen arbeitete ſie mit dem Schnitzmeſſer<lb/>ſehr fertig an einem niedlichen Geräthe, dergleichen die<lb/>
Zigeuner aus einem gelben Holze zum Verkauf machen.<lb/>
Ich hatte zulezt beinahe kein Ohr mehr für ihre Er-<lb/>
zählungen ob der Aufmerkſamkeit auf die Bewegung<lb/>
der Lippen, auf das Spiel ihrer Miene, und endlich<lb/>
von ſtille glühenden Wünſchen innerlich beſtürmt und<lb/>
aufgeregt, wandte ich mich von ihr ab, ſo daß ich etwas<lb/>
tiefer ſitzend ihr Geſicht im Rücken und ihren nackten<lb/>
Fuß — denn ſo geht ſie gar häufig — dicht vor meinem<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[308/0316]
ten nach einem ermüdenden Strich Mittags in einem
Tannengehölze. Marwin war abweſend und ſonſt
überließ ſich faſt Alles dem Schlafe. Loskine ſuchte
ihre Lieblingsſpeiſe, das durſtlöſchende, angenehme Blatt
des Sauerklees, der dort in großer Menge wächst. Ich
begleitete ſie und wir ſezten uns endlich hinter einem
Hügel an einer ſchattigen Stelle auf den von abgefallenen
Nadeln ganz überſäeten Moosboden. Ich weiß nicht, wie
wir auf allerlei Mährchen und wunderbare Dinge zu
ſprechen kamen, woran ſie bei weitem reicher war als
ich. Unter Anderem wußte ſie von der ſpinnenden Wald-
frau zu ſagen, die im Frühen, wenn der herbſtliche
Wald von der Morgenröthe glühet, unter den Bäumen
hergehe und das Laub, wie vom Rocken, in grün und
goldnen Fäden abſpinne, indeß die Spindel neben ihr
hertanze. Auch vertraute ſie mir Vieles von der heimlichen
Kraft der Kräuter und Wurzeln, was nicht wiederholt
werden kann, ohne zugleich ihre eigenen Worte zu ha-
ben. Dazwiſchen arbeitete ſie mit dem Schnitzmeſſer
ſehr fertig an einem niedlichen Geräthe, dergleichen die
Zigeuner aus einem gelben Holze zum Verkauf machen.
Ich hatte zulezt beinahe kein Ohr mehr für ihre Er-
zählungen ob der Aufmerkſamkeit auf die Bewegung
der Lippen, auf das Spiel ihrer Miene, und endlich
von ſtille glühenden Wünſchen innerlich beſtürmt und
aufgeregt, wandte ich mich von ihr ab, ſo daß ich etwas
tiefer ſitzend ihr Geſicht im Rücken und ihren nackten
Fuß — denn ſo geht ſie gar häufig — dicht vor meinem
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/316>, abgerufen am 30.01.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.