auch nur durch das Interesse an der ungewöhnlichen Mischung dieses Charakters.
Aeußerungen eines feinen Verstandes und einer kindischen Unschuld, trockner Ernst und plötzliche An- wandlung ausgelassener Munterkeit wechseln in einem durchaus ungesuchten und höchst anmuthigen Kontraste mit einander ab und machen das bezauberndste Far- benspiel. Das Unbegreifliche dieser Komposition und dieser Uebergänge ist auch bloß scheinbar; für mich hat das Alles bereits die nothwendige Ordnung einer schönen Harmonie angenommen. Erstaunlich ist zu- weilen die Behendigkeit ihrer äußern Bewegungen und herrlich das Lächeln der Ueberlegenheit, wenn es ihr mitunter gefällt, die Gefahr gleichsam zu necken. Mit Zittern seh ich zu, wie sie einen jähen Abhang hin- unter rennt und so von Baum zu Baum stürzend sich nur einen kurzen Anhalt gibt; oder wenn sie sich auf den Rücken eines am Boden ruhenden Pferdes wirft und es durch Schläge zum plötzlichen Aufstehen zwingt. Unter den Uebrigen bildet sie indessen eine ziemlich isolirte Figur; man läßt sie auch gehen, weil man ihre Art schon kennt, und doch hängen Alle mit einer gewissen Vorliebe an ihr. Besonders scheint der Sohn des Anführers, ein gescheidter männlich schöner Kerl, größere Aufmerksamkeit für sie zu haben, als ich leiden mag, wobei mich zwar eines Theils ihre Kälte freut, auf der andern Seite aber sein heimlicher Verdruß doch wieder herzlich rührt. Mich mag sie gerne um sich dul-
auch nur durch das Intereſſe an der ungewöhnlichen Miſchung dieſes Charakters.
Aeußerungen eines feinen Verſtandes und einer kindiſchen Unſchuld, trockner Ernſt und plötzliche An- wandlung ausgelaſſener Munterkeit wechſeln in einem durchaus ungeſuchten und höchſt anmuthigen Kontraſte mit einander ab und machen das bezauberndſte Far- benſpiel. Das Unbegreifliche dieſer Kompoſition und dieſer Uebergänge iſt auch bloß ſcheinbar; für mich hat das Alles bereits die nothwendige Ordnung einer ſchönen Harmonie angenommen. Erſtaunlich iſt zu- weilen die Behendigkeit ihrer äußern Bewegungen und herrlich das Lächeln der Ueberlegenheit, wenn es ihr mitunter gefällt, die Gefahr gleichſam zu necken. Mit Zittern ſeh ich zu, wie ſie einen jähen Abhang hin- unter rennt und ſo von Baum zu Baum ſtürzend ſich nur einen kurzen Anhalt gibt; oder wenn ſie ſich auf den Rücken eines am Boden ruhenden Pferdes wirft und es durch Schläge zum plötzlichen Aufſtehen zwingt. Unter den Uebrigen bildet ſie indeſſen eine ziemlich iſolirte Figur; man läßt ſie auch gehen, weil man ihre Art ſchon kennt, und doch hängen Alle mit einer gewiſſen Vorliebe an ihr. Beſonders ſcheint der Sohn des Anführers, ein geſcheidter männlich ſchöner Kerl, größere Aufmerkſamkeit für ſie zu haben, als ich leiden mag, wobei mich zwar eines Theils ihre Kälte freut, auf der andern Seite aber ſein heimlicher Verdruß doch wieder herzlich rührt. Mich mag ſie gerne um ſich dul-
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auch nur durch das Intereſſe an der ungewöhnlichen
Miſchung dieſes Charakters.
Aeußerungen eines feinen Verſtandes und einer
kindiſchen Unſchuld, trockner Ernſt und plötzliche An-
wandlung ausgelaſſener Munterkeit wechſeln in einem
durchaus ungeſuchten und höchſt anmuthigen Kontraſte
mit einander ab und machen das bezauberndſte Far-
benſpiel. Das Unbegreifliche dieſer Kompoſition und
dieſer Uebergänge iſt auch bloß ſcheinbar; für mich
hat das Alles bereits die nothwendige Ordnung einer
ſchönen Harmonie angenommen. Erſtaunlich iſt zu-
weilen die Behendigkeit ihrer äußern Bewegungen und
herrlich das Lächeln der Ueberlegenheit, wenn es ihr
mitunter gefällt, die Gefahr gleichſam zu necken. Mit
Zittern ſeh ich zu, wie ſie einen jähen Abhang hin-
unter rennt und ſo von Baum zu Baum ſtürzend ſich
nur einen kurzen Anhalt gibt; oder wenn ſie ſich auf
den Rücken eines am Boden ruhenden Pferdes wirft
und es durch Schläge zum plötzlichen Aufſtehen zwingt.
Unter den Uebrigen bildet ſie indeſſen eine ziemlich
iſolirte Figur; man läßt ſie auch gehen, weil man
ihre Art ſchon kennt, und doch hängen Alle mit einer
gewiſſen Vorliebe an ihr. Beſonders ſcheint der Sohn
des Anführers, ein geſcheidter männlich ſchöner Kerl,
größere Aufmerkſamkeit für ſie zu haben, als ich leiden
mag, wobei mich zwar eines Theils ihre Kälte freut,
auf der andern Seite aber ſein heimlicher Verdruß doch
wieder herzlich rührt. Mich mag ſie gerne um ſich dul-
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/314>, abgerufen am 30.01.2025.
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