gende Handschrift mit Wehmuth, ja mit Grauen, bald wieder auf die Seite geschoben hatte.
"Mein jüngerer Bruder Friedrich," fing er an, "dein seliger Oheim, war ein Genie, wie man zu sagen pflegt, und leider bei aller Herzensgüte ein über- spannter Kopf, welcher schon in der frühesten Jugend nichts wollte und nichts vornahm, was in der Ord- nung gewesen wäre. Er bewies ein außerordentliches Geschick zur Malerkunst und mit der Zeit unterstüzte ihn der Fürst auf das Großmüthigste. Er ließ ihn auf sechs Jahre nach Italien reisen, gab ihm auch nach seiner Zurückkunft ungemeine Zeichen seiner Gnade. Anfänglich nahm er seinen Aufenthalt in der Haupt- stadt, später kaufte er sich das etwa fünf Stunden von Rißthal und drei von hier entfernte Gütchen F., wo er, noch immer unverheirathet, bloß für sein Geschäft lebte. In dieser Zeit hab' ich ihn gar oft gesehen. Es war ein großer schöner Mann und gar munter, wenn es an ihn kam. Er hätte glücklich seyn können, aber eine Reise hat ihn in sein Verderben geführt. Er entschloß sich nämlich im Frühjahr 17** auf den Rath der Aerzte, seiner Erholung wegen, einen Freund in Böhmen zu besuchen, mit dem er zu gleicher Zeit in Rom gewesen war. Ach, er ahnete nicht, welchem Verhängniß er entgegenging!"
So sprach der Pfarrer und nun folgte die Er- zählung einer Geschichte, welche der Leser besser aus dem Tagebuch des Malers selbst erfährt.
gende Handſchrift mit Wehmuth, ja mit Grauen, bald wieder auf die Seite geſchoben hatte.
„Mein jüngerer Bruder Friedrich,“ fing er an, „dein ſeliger Oheim, war ein Genie, wie man zu ſagen pflegt, und leider bei aller Herzensgüte ein über- ſpannter Kopf, welcher ſchon in der früheſten Jugend nichts wollte und nichts vornahm, was in der Ord- nung geweſen wäre. Er bewies ein außerordentliches Geſchick zur Malerkunſt und mit der Zeit unterſtüzte ihn der Fürſt auf das Großmüthigſte. Er ließ ihn auf ſechs Jahre nach Italien reiſen, gab ihm auch nach ſeiner Zurückkunft ungemeine Zeichen ſeiner Gnade. Anfänglich nahm er ſeinen Aufenthalt in der Haupt- ſtadt, ſpäter kaufte er ſich das etwa fünf Stunden von Rißthal und drei von hier entfernte Gütchen F., wo er, noch immer unverheirathet, bloß für ſein Geſchäft lebte. In dieſer Zeit hab’ ich ihn gar oft geſehen. Es war ein großer ſchöner Mann und gar munter, wenn es an ihn kam. Er hätte glücklich ſeyn können, aber eine Reiſe hat ihn in ſein Verderben geführt. Er entſchloß ſich nämlich im Frühjahr 17** auf den Rath der Aerzte, ſeiner Erholung wegen, einen Freund in Böhmen zu beſuchen, mit dem er zu gleicher Zeit in Rom geweſen war. Ach, er ahnete nicht, welchem Verhängniß er entgegenging!“
So ſprach der Pfarrer und nun folgte die Er- zählung einer Geſchichte, welche der Leſer beſſer aus dem Tagebuch des Malers ſelbſt erfährt.
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gende Handſchrift mit Wehmuth, ja mit Grauen, bald
wieder auf die Seite geſchoben hatte.
„Mein jüngerer Bruder Friedrich,“ fing er
an, „dein ſeliger Oheim, war ein Genie, wie man zu
ſagen pflegt, und leider bei aller Herzensgüte ein über-
ſpannter Kopf, welcher ſchon in der früheſten Jugend
nichts wollte und nichts vornahm, was in der Ord-
nung geweſen wäre. Er bewies ein außerordentliches
Geſchick zur Malerkunſt und mit der Zeit unterſtüzte
ihn der Fürſt auf das Großmüthigſte. Er ließ ihn
auf ſechs Jahre nach Italien reiſen, gab ihm auch
nach ſeiner Zurückkunft ungemeine Zeichen ſeiner Gnade.
Anfänglich nahm er ſeinen Aufenthalt in der Haupt-
ſtadt, ſpäter kaufte er ſich das etwa fünf Stunden von
Rißthal und drei von hier entfernte Gütchen F., wo
er, noch immer unverheirathet, bloß für ſein Geſchäft
lebte. In dieſer Zeit hab’ ich ihn gar oft geſehen.
Es war ein großer ſchöner Mann und gar munter,
wenn es an ihn kam. Er hätte glücklich ſeyn können,
aber eine Reiſe hat ihn in ſein Verderben geführt.
Er entſchloß ſich nämlich im Frühjahr 17** auf den
Rath der Aerzte, ſeiner Erholung wegen, einen Freund
in Böhmen zu beſuchen, mit dem er zu gleicher Zeit
in Rom geweſen war. Ach, er ahnete nicht, welchem
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/307>, abgerufen am 30.01.2025.
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