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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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fige Bitte Gelegenheit gegeben haben mußte, er möchte
sie doch einmal in ihre Heimath zu Besuche führen,
und allerdings war der Mensch, wie sich später ergab,
von der eigentlichen Herkunft des Mädchens, so wie
von dem Daseyn einiger Verwandten ihres Vaters
vollkommen unterrichtet; er beabsichtigte, sie nach
Wolfsbühl zu bringen, wo er sich nicht geringen Dank
versprach, aber wenige Stunden von dem Orte traf er
auf die Spur von Zigeunern, welche ohne Zweifel ihm
nachzusetzen kamen. Er ließ das Mädchen im Stiche
und sezte seine Flucht allein fort.

Jungfer Ernestine mahnte bereits zum dritten
Male an das ohnehin verspätete Nachtessen; man
schickte sich also an, und wohl selten mag eine Mahlzeit
einen sonderbarern Anblick dargeboten haben. Sie
ging ziemlich einsylbig von Statten. Der fremde Gast
war natürlich unausgesezt von neugierigen zweifelhaf-
ten Blicken verfolgt, die nur, wenn zuweilen ein Strahl
aus jenen dunkeln Wimpern auf sie traf, pfeilschnell
und schüchtern auf den Teller zurückfuhren.

Elisabeth ersah sich nach Tische den schicklichsten
Zeitpunkt, um aus der Thür und so fort geschwinde
aus dem Haus zu entschlüpfen, ohne auch nachher, als
man sie vermißte, wieder aufgefunden werden zu kön-
nen. Der Vater schien dadurch eher erleichtert als
bekümmert. Sie hatte jedoch, wie man jezt erst bemerkte,
ihr Bündel zurückgelassen; sie mußte also wahrscheinlich
wieder erscheinen, und Theobald tröstete sich mit dieser
Hoffuung.

fige Bitte Gelegenheit gegeben haben mußte, er möchte
ſie doch einmal in ihre Heimath zu Beſuche führen,
und allerdings war der Menſch, wie ſich ſpäter ergab,
von der eigentlichen Herkunft des Mädchens, ſo wie
von dem Daſeyn einiger Verwandten ihres Vaters
vollkommen unterrichtet; er beabſichtigte, ſie nach
Wolfsbühl zu bringen, wo er ſich nicht geringen Dank
verſprach, aber wenige Stunden von dem Orte traf er
auf die Spur von Zigeunern, welche ohne Zweifel ihm
nachzuſetzen kamen. Er ließ das Mädchen im Stiche
und ſezte ſeine Flucht allein fort.

Jungfer Erneſtine mahnte bereits zum dritten
Male an das ohnehin verſpätete Nachteſſen; man
ſchickte ſich alſo an, und wohl ſelten mag eine Mahlzeit
einen ſonderbarern Anblick dargeboten haben. Sie
ging ziemlich einſylbig von Statten. Der fremde Gaſt
war natürlich unausgeſezt von neugierigen zweifelhaf-
ten Blicken verfolgt, die nur, wenn zuweilen ein Strahl
aus jenen dunkeln Wimpern auf ſie traf, pfeilſchnell
und ſchüchtern auf den Teller zurückfuhren.

Eliſabeth erſah ſich nach Tiſche den ſchicklichſten
Zeitpunkt, um aus der Thür und ſo fort geſchwinde
aus dem Haus zu entſchlüpfen, ohne auch nachher, als
man ſie vermißte, wieder aufgefunden werden zu kön-
nen. Der Vater ſchien dadurch eher erleichtert als
bekümmert. Sie hatte jedoch, wie man jezt erſt bemerkte,
ihr Bündel zurückgelaſſen; ſie mußte alſo wahrſcheinlich
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[297/0305] fige Bitte Gelegenheit gegeben haben mußte, er möchte ſie doch einmal in ihre Heimath zu Beſuche führen, und allerdings war der Menſch, wie ſich ſpäter ergab, von der eigentlichen Herkunft des Mädchens, ſo wie von dem Daſeyn einiger Verwandten ihres Vaters vollkommen unterrichtet; er beabſichtigte, ſie nach Wolfsbühl zu bringen, wo er ſich nicht geringen Dank verſprach, aber wenige Stunden von dem Orte traf er auf die Spur von Zigeunern, welche ohne Zweifel ihm nachzuſetzen kamen. Er ließ das Mädchen im Stiche und ſezte ſeine Flucht allein fort. Jungfer Erneſtine mahnte bereits zum dritten Male an das ohnehin verſpätete Nachteſſen; man ſchickte ſich alſo an, und wohl ſelten mag eine Mahlzeit einen ſonderbarern Anblick dargeboten haben. Sie ging ziemlich einſylbig von Statten. Der fremde Gaſt war natürlich unausgeſezt von neugierigen zweifelhaf- ten Blicken verfolgt, die nur, wenn zuweilen ein Strahl aus jenen dunkeln Wimpern auf ſie traf, pfeilſchnell und ſchüchtern auf den Teller zurückfuhren. Eliſabeth erſah ſich nach Tiſche den ſchicklichſten Zeitpunkt, um aus der Thür und ſo fort geſchwinde aus dem Haus zu entſchlüpfen, ohne auch nachher, als man ſie vermißte, wieder aufgefunden werden zu kön- nen. Der Vater ſchien dadurch eher erleichtert als bekümmert. Sie hatte jedoch, wie man jezt erſt bemerkte, ihr Bündel zurückgelaſſen; ſie mußte alſo wahrſcheinlich wieder erſcheinen, und Theobald tröſtete ſich mit dieſer Hoffuung.

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/305>, abgerufen am 19.05.2024.