naiven Trost hinzu: "Seyd nur nicht bang', ihr guten Kinder, daß ich Jemand Uebels zufüge, wenn mein Leid mich übernimmt. Da sorgt nur nicht. Ich gehe dann immer allein bei Seite und singe das Lied, wel- ches Frau Faggatin, die Großmutter, mich gelehrt, da wird mir wieder gut. Du, armer Junge, du sollst auch das Lied noch lernen, du hast gar viel zu leiden; ich habe das wohl bald bemerkt, darum geh ich mit dir, bis du zu Hause bist, doch behalten könnt ihr mich nicht. Auch schlaf ich heute nicht bei euch. Diese Nacht noch zieht Elisabeth weiter, woher sie gekom- men, denn die Heimath ist nicht mehr zu finden. Man hat mir sie verstellt; die Berge, das Haus und den grünen See, mir Alles verstellt! Wie das nur mög- lich ist! Ich muß lachen!"
Der Knecht kam jezt mit der verlangten Aushülfe; nicht mehr zu frühe, denn schon war es dunkel gewor- den. Um so weniger wollte Theobald und selbst Adelheid es geschehen lassen, daß Elisabeth neben dem Gefährt herging. Allein sie war nicht zu überre- den, und so rückte man immerhin rasch genug vorwärts.
Indeß die Geschwister nun unter sehr verschiede- nen Empfindungen, jedoch einverstanden über die näch- sten Maßregeln, sich auf diese Weise dem väterlichen Orte nähern und Theobald endlich der Schwester die ganze wundersame Bedeutung des heutigen Tags ent- deckt, ist man zu Hause schon in großer Erwartung der Beiden, und der Vater machte seine Verstimmung we-
naiven Troſt hinzu: „Seyd nur nicht bang’, ihr guten Kinder, daß ich Jemand Uebels zufüge, wenn mein Leid mich übernimmt. Da ſorgt nur nicht. Ich gehe dann immer allein bei Seite und ſinge das Lied, wel- ches Frau Faggatin, die Großmutter, mich gelehrt, da wird mir wieder gut. Du, armer Junge, du ſollſt auch das Lied noch lernen, du haſt gar viel zu leiden; ich habe das wohl bald bemerkt, darum geh ich mit dir, bis du zu Hauſe biſt, doch behalten könnt ihr mich nicht. Auch ſchlaf ich heute nicht bei euch. Dieſe Nacht noch zieht Eliſabeth weiter, woher ſie gekom- men, denn die Heimath iſt nicht mehr zu finden. Man hat mir ſie verſtellt; die Berge, das Haus und den grünen See, mir Alles verſtellt! Wie das nur mög- lich iſt! Ich muß lachen!“
Der Knecht kam jezt mit der verlangten Aushülfe; nicht mehr zu frühe, denn ſchon war es dunkel gewor- den. Um ſo weniger wollte Theobald und ſelbſt Adelheid es geſchehen laſſen, daß Eliſabeth neben dem Gefährt herging. Allein ſie war nicht zu überre- den, und ſo rückte man immerhin raſch genug vorwärts.
Indeß die Geſchwiſter nun unter ſehr verſchiede- nen Empfindungen, jedoch einverſtanden über die näch- ſten Maßregeln, ſich auf dieſe Weiſe dem väterlichen Orte nähern und Theobald endlich der Schweſter die ganze wunderſame Bedeutung des heutigen Tags ent- deckt, iſt man zu Hauſe ſchon in großer Erwartung der Beiden, und der Vater machte ſeine Verſtimmung we-
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naiven Troſt hinzu: „Seyd nur nicht bang’, ihr guten
Kinder, daß ich Jemand Uebels zufüge, wenn mein
Leid mich übernimmt. Da ſorgt nur nicht. Ich gehe
dann immer allein bei Seite und ſinge das Lied, wel-
ches Frau Faggatin, die Großmutter, mich gelehrt,
da wird mir wieder gut. Du, armer Junge, du ſollſt
auch das Lied noch lernen, du haſt gar viel zu leiden;
ich habe das wohl bald bemerkt, darum geh ich mit dir,
bis du zu Hauſe biſt, doch behalten könnt ihr mich
nicht. Auch ſchlaf ich heute nicht bei euch. Dieſe
Nacht noch zieht Eliſabeth weiter, woher ſie gekom-
men, denn die Heimath iſt nicht mehr zu finden. Man
hat mir ſie verſtellt; die Berge, das Haus und den
grünen See, mir Alles verſtellt! Wie das nur mög-
lich iſt! Ich muß lachen!“
Der Knecht kam jezt mit der verlangten Aushülfe;
nicht mehr zu frühe, denn ſchon war es dunkel gewor-
den. Um ſo weniger wollte Theobald und ſelbſt
Adelheid es geſchehen laſſen, daß Eliſabeth neben
dem Gefährt herging. Allein ſie war nicht zu überre-
den, und ſo rückte man immerhin raſch genug vorwärts.
Indeß die Geſchwiſter nun unter ſehr verſchiede-
nen Empfindungen, jedoch einverſtanden über die näch-
ſten Maßregeln, ſich auf dieſe Weiſe dem väterlichen
Orte nähern und Theobald endlich der Schweſter die
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/300>, abgerufen am 16.02.2025.
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