geeignet, Ehrfurcht, ja selbst Vertrauen einzuflößen, wenn man einem gewissen kummervollen Ausdruck des Gesichts nachging. Bis zu dem Gruße Adelheids hatte die Unbekannte die Annäherung der Beiden nicht bemerkt, oder nicht beachten wollen; jezt aber hielt sie die schwarzen Augen groß und ruhig auf die jun- gen Leute gespannt und erst nach einer Pause erwi- derte sie in wohlklingendem Deutsch: "Guten Abend!" wobei ein Schimmer von Freundlichkeit ihren gelasse- nen Ernst beschlich. Adelheid, hiedurch schnell er- muthigt, war so eben im Begriff, ein Wörtchen wei- ter zu sprechen, als ein erschrockener Blick der Zigeu- nerin auf Theobald sie mitten in der Rede unter- brach. Sie sah, wie er zitterte, erbleichte, wie ihm die Kniee wankten. "Der junge Herr ist unwohl! Lassen Sie ihn niedersitzen!" sagte die Fremde, und war selbst beschäftigt, ihn in eine erträgliche Lage zu bringen und ihr Bündel unter seinen Kopf zu legen. "Gewiß eine Erkältung in den ungesunden Gewölben?" sezte sie fragend gegen das Mädchen hinzu, das sprach- los in zagender Unruhe über dem ohnmächtig Gewor- denen hing und nun in lautes Jammern ausbrach. "Kind! Kind! was machst du? der Unfall hat ja, will ich hoffen, wenig zu bedeuten; wart' ein Weilchen, ich will schon helfen!" tröstete die Fremde, indem sie in ihrer Tasche suchte und ein Fläschchen mit stark- riechender Essenz hervorholte, das sich gar bald recht kräftig erweisen sollte an dem "hübschen guten Jungen,"
geeignet, Ehrfurcht, ja ſelbſt Vertrauen einzuflößen, wenn man einem gewiſſen kummervollen Ausdruck des Geſichts nachging. Bis zu dem Gruße Adelheids hatte die Unbekannte die Annäherung der Beiden nicht bemerkt, oder nicht beachten wollen; jezt aber hielt ſie die ſchwarzen Augen groß und ruhig auf die jun- gen Leute geſpannt und erſt nach einer Pauſe erwi- derte ſie in wohlklingendem Deutſch: „Guten Abend!“ wobei ein Schimmer von Freundlichkeit ihren gelaſſe- nen Ernſt beſchlich. Adelheid, hiedurch ſchnell er- muthigt, war ſo eben im Begriff, ein Wörtchen wei- ter zu ſprechen, als ein erſchrockener Blick der Zigeu- nerin auf Theobald ſie mitten in der Rede unter- brach. Sie ſah, wie er zitterte, erbleichte, wie ihm die Kniee wankten. „Der junge Herr iſt unwohl! Laſſen Sie ihn niederſitzen!“ ſagte die Fremde, und war ſelbſt beſchäftigt, ihn in eine erträgliche Lage zu bringen und ihr Bündel unter ſeinen Kopf zu legen. „Gewiß eine Erkältung in den ungeſunden Gewölben?“ ſezte ſie fragend gegen das Mädchen hinzu, das ſprach- los in zagender Unruhe über dem ohnmächtig Gewor- denen hing und nun in lautes Jammern ausbrach. „Kind! Kind! was machſt du? der Unfall hat ja, will ich hoffen, wenig zu bedeuten; wart’ ein Weilchen, ich will ſchon helfen!“ tröſtete die Fremde, indem ſie in ihrer Taſche ſuchte und ein Fläſchchen mit ſtark- riechender Eſſenz hervorholte, das ſich gar bald recht kräftig erweiſen ſollte an dem „hübſchen guten Jungen,“
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geeignet, Ehrfurcht, ja ſelbſt Vertrauen einzuflößen,
wenn man einem gewiſſen kummervollen Ausdruck des
Geſichts nachging. Bis zu dem Gruße Adelheids
hatte die Unbekannte die Annäherung der Beiden nicht
bemerkt, oder nicht beachten wollen; jezt aber hielt
ſie die ſchwarzen Augen groß und ruhig auf die jun-
gen Leute geſpannt und erſt nach einer Pauſe erwi-
derte ſie in wohlklingendem Deutſch: „Guten Abend!“
wobei ein Schimmer von Freundlichkeit ihren gelaſſe-
nen Ernſt beſchlich. Adelheid, hiedurch ſchnell er-
muthigt, war ſo eben im Begriff, ein Wörtchen wei-
ter zu ſprechen, als ein erſchrockener Blick der Zigeu-
nerin auf Theobald ſie mitten in der Rede unter-
brach. Sie ſah, wie er zitterte, erbleichte, wie ihm
die Kniee wankten. „Der junge Herr iſt unwohl!
Laſſen Sie ihn niederſitzen!“ ſagte die Fremde, und
war ſelbſt beſchäftigt, ihn in eine erträgliche Lage zu
bringen und ihr Bündel unter ſeinen Kopf zu legen.
„Gewiß eine Erkältung in den ungeſunden Gewölben?“
ſezte ſie fragend gegen das Mädchen hinzu, das ſprach-
los in zagender Unruhe über dem ohnmächtig Gewor-
denen hing und nun in lautes Jammern ausbrach.
„Kind! Kind! was machſt du? der Unfall hat ja,
will ich hoffen, wenig zu bedeuten; wart’ ein Weilchen,
ich will ſchon helfen!“ tröſtete die Fremde, indem ſie
in ihrer Taſche ſuchte und ein Fläſchchen mit ſtark-
riechender Eſſenz hervorholte, das ſich gar bald recht
kräftig erweiſen ſollte an dem „hübſchen guten Jungen,“
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/293>, abgerufen am 16.02.2025.
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