Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832. Glasbrenner. Wenn ich Euch rathen darf, laßt Euch nicht zu tief mit den saubern Kameraden ein; Ihr habt sie sonst immer auf'm Hals. Müller. Mir denkt's kaum, daß ich sie Ein Mal sah. Weber. O sie liegen ganze Nachmittage im lieben Son- nenschein auf'm Markt, haben Maulaffen feil, schlagen Fliegen und Bremsen todt und erdenken allerlei Pfiffe, wie sie mit Stehlen und Betrügen ihr täglich Brod gewinnen. Es sind die einzigen Taugenichtse, die wir auf der Insel haben; Schmach genug, daß man sie nur duldet. Wenn's nicht den Anschein hätte, als ob die Götter selbst sie aus irgend einer spaßhaften Grille ordentlich durch ein Wunder an unsern Strand gewor- fen, so sollte man sie lange ersäuft haben. Nehmt nur einmal: Unsere Kolonie besteht schon sechszig Jahre hier, ohne daß außer den Störchen und Wachteln auch nur Ein lebend Wesen aus einem fremden Welttheil sich über's Meer hieher verirrt hätte. Die ganze übrige Menschheit ist, so zu sagen, eine Fabel für unser einen; wenn wir's von unsern Vätern her nicht wüß- ten, wir glaubten kaum, daß es sonst noch Kreaturen gäbe, die uns gleichen. Da muß nun von Ungefähr einem tollen Nordwind einfallen, die paar Tröpfe, den Unrath fremder Völker, an diese Küsten zn schmeißen. Ist's nicht unerhört? Glasbrenner. Wenn ich Euch rathen darf, laßt Euch nicht zu tief mit den ſaubern Kameraden ein; Ihr habt ſie ſonſt immer auf’m Hals. Müller. Mir denkt’s kaum, daß ich ſie Ein Mal ſah. Weber. O ſie liegen ganze Nachmittage im lieben Son- nenſchein auf’m Markt, haben Maulaffen feil, ſchlagen Fliegen und Bremſen todt und erdenken allerlei Pfiffe, wie ſie mit Stehlen und Betrügen ihr täglich Brod gewinnen. Es ſind die einzigen Taugenichtſe, die wir auf der Inſel haben; Schmach genug, daß man ſie nur duldet. Wenn’s nicht den Anſchein hätte, als ob die Götter ſelbſt ſie aus irgend einer ſpaßhaften Grille ordentlich durch ein Wunder an unſern Strand gewor- fen, ſo ſollte man ſie lange erſäuft haben. Nehmt nur einmal: Unſere Kolonie beſteht ſchon ſechszig Jahre hier, ohne daß außer den Störchen und Wachteln auch nur Ein lebend Weſen aus einem fremden Welttheil ſich über’s Meer hieher verirrt hätte. Die ganze übrige Menſchheit iſt, ſo zu ſagen, eine Fabel für unſer einen; wenn wir’s von unſern Vätern her nicht wüß- ten, wir glaubten kaum, daß es ſonſt noch Kreaturen gäbe, die uns gleichen. Da muß nun von Ungefähr einem tollen Nordwind einfallen, die paar Tröpfe, den Unrath fremder Völker, an dieſe Küſten zn ſchmeißen. Iſt’s nicht unerhört? <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0184" n="176"/> <sp who="#glas"> <speaker><hi rendition="#g">Glasbrenner</hi>.</speaker><lb/> <p>Wenn ich Euch rathen darf, laßt Euch nicht zu<lb/> tief mit den ſaubern Kameraden ein; Ihr habt ſie<lb/> ſonſt immer auf’m Hals.</p> </sp><lb/> <sp who="#muell"> <speaker><hi rendition="#g">Müller</hi>.</speaker><lb/> <p>Mir denkt’s kaum, daß ich ſie Ein Mal ſah.</p> </sp><lb/> <sp who="#web"> <speaker><hi rendition="#g">Weber</hi>.</speaker><lb/> <p>O ſie liegen ganze Nachmittage im lieben Son-<lb/> nenſchein auf’m Markt, haben Maulaffen feil, ſchlagen<lb/> Fliegen und Bremſen todt und erdenken allerlei Pfiffe,<lb/> wie ſie mit Stehlen und Betrügen ihr täglich Brod<lb/> gewinnen. Es ſind die einzigen Taugenichtſe, die wir<lb/> auf der Inſel haben; Schmach genug, daß man ſie<lb/> nur duldet. Wenn’s nicht den Anſchein hätte, als ob<lb/> die Götter ſelbſt ſie aus irgend einer ſpaßhaften Grille<lb/> ordentlich durch ein Wunder an unſern Strand gewor-<lb/> fen, ſo ſollte man ſie lange erſäuft haben. Nehmt<lb/> nur einmal: Unſere Kolonie beſteht ſchon ſechszig Jahre<lb/> hier, ohne daß außer den Störchen und Wachteln auch<lb/> nur Ein lebend Weſen aus einem fremden Welttheil<lb/> ſich über’s Meer hieher verirrt hätte. Die ganze<lb/> übrige Menſchheit iſt, ſo zu ſagen, eine Fabel für unſer<lb/> einen; wenn wir’s von unſern Vätern her nicht wüß-<lb/> ten, wir glaubten kaum, daß es ſonſt noch Kreaturen<lb/> gäbe, die uns gleichen. Da muß nun von Ungefähr<lb/> einem tollen Nordwind einfallen, die paar Tröpfe, den<lb/> Unrath fremder Völker, an dieſe Küſten zn ſchmeißen.<lb/> Iſt’s nicht unerhört?</p> </sp><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [176/0184]
Glasbrenner.
Wenn ich Euch rathen darf, laßt Euch nicht zu
tief mit den ſaubern Kameraden ein; Ihr habt ſie
ſonſt immer auf’m Hals.
Müller.
Mir denkt’s kaum, daß ich ſie Ein Mal ſah.
Weber.
O ſie liegen ganze Nachmittage im lieben Son-
nenſchein auf’m Markt, haben Maulaffen feil, ſchlagen
Fliegen und Bremſen todt und erdenken allerlei Pfiffe,
wie ſie mit Stehlen und Betrügen ihr täglich Brod
gewinnen. Es ſind die einzigen Taugenichtſe, die wir
auf der Inſel haben; Schmach genug, daß man ſie
nur duldet. Wenn’s nicht den Anſchein hätte, als ob
die Götter ſelbſt ſie aus irgend einer ſpaßhaften Grille
ordentlich durch ein Wunder an unſern Strand gewor-
fen, ſo ſollte man ſie lange erſäuft haben. Nehmt
nur einmal: Unſere Kolonie beſteht ſchon ſechszig Jahre
hier, ohne daß außer den Störchen und Wachteln auch
nur Ein lebend Weſen aus einem fremden Welttheil
ſich über’s Meer hieher verirrt hätte. Die ganze
übrige Menſchheit iſt, ſo zu ſagen, eine Fabel für unſer
einen; wenn wir’s von unſern Vätern her nicht wüß-
ten, wir glaubten kaum, daß es ſonſt noch Kreaturen
gäbe, die uns gleichen. Da muß nun von Ungefähr
einem tollen Nordwind einfallen, die paar Tröpfe, den
Unrath fremder Völker, an dieſe Küſten zn ſchmeißen.
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Zitationshilfe: | Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/184>, abgerufen am 16.02.2025. |