Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.
Ich kenne diese Worte kaum, ich staune Dem Klange dieser Worte -- Unergründlich Klafft's dahinab -- O wehe, schwindle nicht! Ein Fürst war ich? So sey getrost und glaub' es. Die edle Kraft der Rückerinnerung Ermattete nur in dem tiefen Sand Des langen Weges, den ich hab' durchmessen; Kaum daß manchmal durch selt'ne Wolkenrisse Ein flücht'ges Blitzen mir den alten Schauplatz Versunk'ner Tage wundersam erleuchtet. Dann seh' ich auf dem Throne einen Mann Von meinem Ansehn, doch er ist mir fremd, Ein glänzend Weib bei ihm, es ist mein Weib. Halt an, o mein Gedächtniß, halt ein wenig! Es thut mir wohl, das schöne Bild begleitet Den König durch die Stadt und zu den Schiffen. Ja, ja, so war's; doch jezt wird wieder Nacht. -- Seltsam! durch diese schwanken Luftgestalten Winkt stets der Thurm von einem alten Schlosse, Ganz so, wie jener, der sich wirklich dort Gen Himmel hebt. -- -- Vielleicht ist Alles Trug Und Einbildung und ich bin selber Schein. (Er sinkt im Nachdenken; blickt dann wieder auf.) Horch! auf der Erde feuchtem Bauch gelegen Arbeitet schwer die Nacht der Dämmerung entgegen, Indessen dort, in blauer Luft gezogen, Die Fäden leicht, kaum hörbar fließen, Und hin und wieder mit gestähltem Bogen Die lust'gen Sterne gold'ne Pfeile schießen.
Ich kenne dieſe Worte kaum, ich ſtaune Dem Klange dieſer Worte — Unergründlich Klafft’s dahinab — O wehe, ſchwindle nicht! Ein Fürſt war ich? So ſey getroſt und glaub’ es. Die edle Kraft der Rückerinnerung Ermattete nur in dem tiefen Sand Des langen Weges, den ich hab’ durchmeſſen; Kaum daß manchmal durch ſelt’ne Wolkenriſſe Ein flücht’ges Blitzen mir den alten Schauplatz Verſunk’ner Tage wunderſam erleuchtet. Dann ſeh’ ich auf dem Throne einen Mann Von meinem Anſehn, doch er iſt mir fremd, Ein glänzend Weib bei ihm, es iſt mein Weib. Halt an, o mein Gedächtniß, halt ein wenig! Es thut mir wohl, das ſchöne Bild begleitet Den König durch die Stadt und zu den Schiffen. Ja, ja, ſo war’s; doch jezt wird wieder Nacht. — Seltſam! durch dieſe ſchwanken Luftgeſtalten Winkt ſtets der Thurm von einem alten Schloſſe, Ganz ſo, wie jener, der ſich wirklich dort Gen Himmel hebt. — — Vielleicht iſt Alles Trug Und Einbildung und ich bin ſelber Schein. (Er ſinkt im Nachdenken; blickt dann wieder auf.) Horch! auf der Erde feuchtem Bauch gelegen Arbeitet ſchwer die Nacht der Dämmerung entgegen, Indeſſen dort, in blauer Luft gezogen, Die Fäden leicht, kaum hörbar fließen, Und hin und wieder mit geſtähltem Bogen Die luſt’gen Sterne gold’ne Pfeile ſchießen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <sp who="#koe"> <p><pb facs="#f0173" n="165"/> Ich kenne dieſe Worte kaum, ich ſtaune<lb/> Dem Klange dieſer Worte — Unergründlich<lb/> Klafft’s dahinab — O wehe, ſchwindle nicht!</p><lb/> <p>Ein Fürſt war ich? So ſey getroſt und glaub’ es.<lb/> Die edle Kraft der Rückerinnerung<lb/> Ermattete nur in dem tiefen Sand<lb/> Des langen Weges, den ich hab’ durchmeſſen;<lb/> Kaum daß manchmal durch ſelt’ne Wolkenriſſe<lb/> Ein flücht’ges Blitzen mir den alten Schauplatz<lb/> Verſunk’ner Tage wunderſam erleuchtet.<lb/> Dann ſeh’ ich auf dem Throne einen Mann<lb/> Von meinem Anſehn, doch er iſt mir fremd,<lb/> Ein glänzend Weib bei ihm, es iſt <hi rendition="#g">mein</hi> Weib.<lb/> Halt an, o mein Gedächtniß, halt ein wenig!<lb/> Es thut mir wohl, das ſchöne Bild begleitet<lb/> Den König durch die Stadt und zu den Schiffen.<lb/> Ja, ja, ſo war’s; doch jezt wird wieder Nacht. —<lb/> Seltſam! durch dieſe ſchwanken Luftgeſtalten<lb/> Winkt ſtets der Thurm von einem alten Schloſſe,<lb/> Ganz ſo, wie jener, der ſich wirklich dort<lb/> Gen Himmel hebt. — — Vielleicht iſt Alles Trug<lb/> Und Einbildung und ich bin ſelber Schein.</p><lb/> <stage>(Er ſinkt im Nachdenken; blickt dann wieder auf.)</stage><lb/> <p>Horch! auf der Erde feuchtem Bauch gelegen<lb/> Arbeitet ſchwer die Nacht der Dämmerung entgegen,<lb/> Indeſſen dort, in blauer Luft gezogen,<lb/> Die Fäden leicht, kaum hörbar fließen,<lb/> Und hin und wieder mit geſtähltem Bogen<lb/> Die luſt’gen Sterne gold’ne Pfeile ſchießen.</p> </sp><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [165/0173]
Ich kenne dieſe Worte kaum, ich ſtaune
Dem Klange dieſer Worte — Unergründlich
Klafft’s dahinab — O wehe, ſchwindle nicht!
Ein Fürſt war ich? So ſey getroſt und glaub’ es.
Die edle Kraft der Rückerinnerung
Ermattete nur in dem tiefen Sand
Des langen Weges, den ich hab’ durchmeſſen;
Kaum daß manchmal durch ſelt’ne Wolkenriſſe
Ein flücht’ges Blitzen mir den alten Schauplatz
Verſunk’ner Tage wunderſam erleuchtet.
Dann ſeh’ ich auf dem Throne einen Mann
Von meinem Anſehn, doch er iſt mir fremd,
Ein glänzend Weib bei ihm, es iſt mein Weib.
Halt an, o mein Gedächtniß, halt ein wenig!
Es thut mir wohl, das ſchöne Bild begleitet
Den König durch die Stadt und zu den Schiffen.
Ja, ja, ſo war’s; doch jezt wird wieder Nacht. —
Seltſam! durch dieſe ſchwanken Luftgeſtalten
Winkt ſtets der Thurm von einem alten Schloſſe,
Ganz ſo, wie jener, der ſich wirklich dort
Gen Himmel hebt. — — Vielleicht iſt Alles Trug
Und Einbildung und ich bin ſelber Schein.
(Er ſinkt im Nachdenken; blickt dann wieder auf.)
Horch! auf der Erde feuchtem Bauch gelegen
Arbeitet ſchwer die Nacht der Dämmerung entgegen,
Indeſſen dort, in blauer Luft gezogen,
Die Fäden leicht, kaum hörbar fließen,
Und hin und wieder mit geſtähltem Bogen
Die luſt’gen Sterne gold’ne Pfeile ſchießen.
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Zitationshilfe: | Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/173>, abgerufen am 22.07.2024. |