Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

Liebe liegt? -- So dachte er, so durchlief er noch
Manches, was ihn mächtig emporhob; kräftig gab er
seinem Pferde die Sporen, als gälte es, noch heute
allen seinen Wünschen die Krone aufzusetzen.


In derselben Woche kamen Briefe aus Neuburg
an an Theobald, wie gewöhnlich unter der Aufschrift
an Larkens. Voll Begierde nach dem Inhalte,
welcher ihm, wie er zuverlässig hoffte, jeden Zweifel
über Agnes benehmen sollte, riß er das Couvert auf.
Jedesmal ergriff ihn die eigenste Rührung, wenn er
solche treuherzige Linien ansah, die nach des Mädchens
Meinung der Geliebte lesen sollte, und die unser
Schauspieler doch wiederum nur sich selber zueignen
konnte, da es nur Antworten auf dasjenige waren,
was er zwar ganz im früheren Sinne Noltens ge-
schrieben, aber doch gleichsam durch alle Fasern des
eigenen innigsten Gefühls übertragend, empfunden
hatte. In der That, er kam sich dann immer wie ein
gedoppeltes Wesen vor, und nicht selten kostete es ihn
Mühe, sein Ich von der Theilnahme an diesem zärt-
lichen Verhältniß auszuschließen.

Was Agnesens gegenwärtigen Brief betrifft,
so klangen ihm die Worte Anfangs einigermaßen räth-
selhaft, bis ihm ein größeres Schreiben vom Vater
in die Hände fiel, das er auch zugleich von Blatt zu
Blatt mit immer steigendem Erstaunen hastig durchlas.

Liebe liegt? — So dachte er, ſo durchlief er noch
Manches, was ihn mächtig emporhob; kräftig gab er
ſeinem Pferde die Sporen, als gälte es, noch heute
allen ſeinen Wünſchen die Krone aufzuſetzen.


In derſelben Woche kamen Briefe aus Neuburg
an an Theobald, wie gewöhnlich unter der Aufſchrift
an Larkens. Voll Begierde nach dem Inhalte,
welcher ihm, wie er zuverläſſig hoffte, jeden Zweifel
über Agnes benehmen ſollte, riß er das Couvert auf.
Jedesmal ergriff ihn die eigenſte Rührung, wenn er
ſolche treuherzige Linien anſah, die nach des Mädchens
Meinung der Geliebte leſen ſollte, und die unſer
Schauſpieler doch wiederum nur ſich ſelber zueignen
konnte, da es nur Antworten auf dasjenige waren,
was er zwar ganz im früheren Sinne Noltens ge-
ſchrieben, aber doch gleichſam durch alle Faſern des
eigenen innigſten Gefühls übertragend, empfunden
hatte. In der That, er kam ſich dann immer wie ein
gedoppeltes Weſen vor, und nicht ſelten koſtete es ihn
Mühe, ſein Ich von der Theilnahme an dieſem zärt-
lichen Verhältniß auszuſchließen.

Was Agneſens gegenwärtigen Brief betrifft,
ſo klangen ihm die Worte Anfangs einigermaßen räth-
ſelhaft, bis ihm ein größeres Schreiben vom Vater
in die Hände fiel, das er auch zugleich von Blatt zu
Blatt mit immer ſteigendem Erſtaunen haſtig durchlas.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0142" n="134"/>
Liebe liegt? &#x2014; So dachte er, &#x017F;o durchlief er noch<lb/>
Manches, was ihn mächtig emporhob; kräftig gab er<lb/>
&#x017F;einem Pferde die Sporen, als gälte es, noch heute<lb/>
allen &#x017F;einen Wün&#x017F;chen die Krone aufzu&#x017F;etzen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <p>In der&#x017F;elben Woche kamen Briefe aus Neuburg<lb/>
an an <hi rendition="#g">Theobald</hi>, wie gewöhnlich unter der Auf&#x017F;chrift<lb/>
an <hi rendition="#g">Larkens</hi>. Voll Begierde nach dem Inhalte,<lb/>
welcher ihm, wie er zuverlä&#x017F;&#x017F;ig hoffte, jeden Zweifel<lb/>
über <hi rendition="#g">Agnes</hi> benehmen &#x017F;ollte, riß er das Couvert auf.<lb/>
Jedesmal ergriff ihn die eigen&#x017F;te Rührung, wenn er<lb/>
&#x017F;olche treuherzige Linien an&#x017F;ah, die nach des Mädchens<lb/>
Meinung der <hi rendition="#g">Geliebte</hi> le&#x017F;en &#x017F;ollte, und die un&#x017F;er<lb/>
Schau&#x017F;pieler doch wiederum nur &#x017F;ich &#x017F;elber zueignen<lb/>
konnte, da es nur Antworten auf dasjenige waren,<lb/>
was er zwar ganz im früheren Sinne <hi rendition="#g">Noltens</hi> ge-<lb/>
&#x017F;chrieben, aber doch gleich&#x017F;am durch alle Fa&#x017F;ern des<lb/>
eigenen innig&#x017F;ten Gefühls übertragend, empfunden<lb/>
hatte. In der That, er kam &#x017F;ich dann immer wie ein<lb/>
gedoppeltes We&#x017F;en vor, und nicht &#x017F;elten ko&#x017F;tete es ihn<lb/>
Mühe, &#x017F;ein Ich von der Theilnahme an die&#x017F;em zärt-<lb/>
lichen Verhältniß auszu&#x017F;chließen.</p><lb/>
          <p>Was <hi rendition="#g">Agne&#x017F;ens</hi> gegenwärtigen Brief betrifft,<lb/>
&#x017F;o klangen ihm die Worte Anfangs einigermaßen räth-<lb/>
&#x017F;elhaft, bis ihm ein größeres Schreiben vom Vater<lb/>
in die Hände fiel, das er auch zugleich von Blatt zu<lb/>
Blatt mit immer &#x017F;teigendem Er&#x017F;taunen ha&#x017F;tig durchlas.<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[134/0142] Liebe liegt? — So dachte er, ſo durchlief er noch Manches, was ihn mächtig emporhob; kräftig gab er ſeinem Pferde die Sporen, als gälte es, noch heute allen ſeinen Wünſchen die Krone aufzuſetzen. In derſelben Woche kamen Briefe aus Neuburg an an Theobald, wie gewöhnlich unter der Aufſchrift an Larkens. Voll Begierde nach dem Inhalte, welcher ihm, wie er zuverläſſig hoffte, jeden Zweifel über Agnes benehmen ſollte, riß er das Couvert auf. Jedesmal ergriff ihn die eigenſte Rührung, wenn er ſolche treuherzige Linien anſah, die nach des Mädchens Meinung der Geliebte leſen ſollte, und die unſer Schauſpieler doch wiederum nur ſich ſelber zueignen konnte, da es nur Antworten auf dasjenige waren, was er zwar ganz im früheren Sinne Noltens ge- ſchrieben, aber doch gleichſam durch alle Faſern des eigenen innigſten Gefühls übertragend, empfunden hatte. In der That, er kam ſich dann immer wie ein gedoppeltes Weſen vor, und nicht ſelten koſtete es ihn Mühe, ſein Ich von der Theilnahme an dieſem zärt- lichen Verhältniß auszuſchließen. Was Agneſens gegenwärtigen Brief betrifft, ſo klangen ihm die Worte Anfangs einigermaßen räth- ſelhaft, bis ihm ein größeres Schreiben vom Vater in die Hände fiel, das er auch zugleich von Blatt zu Blatt mit immer ſteigendem Erſtaunen haſtig durchlas.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/142
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/142>, abgerufen am 25.11.2024.