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Mörike, Eduard: Mozart auf der Reise nach Prag. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 263–362. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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dem vollen Ausdruck der Erhabenheit in jeder Geberde -- wem zitterten nicht Herz und Nieren vor Lust und Angst zugleich? Es ist ein Gefühl, ähnlich dem, womit man das prächtige Schauspiel einer unbändigen Naturkraft, den Brand eines herrlichen Schiffes anstaunt. Wir nehmen wider Willen gleichsam Partei für diese blinde Größe und theilen knirschend ihren Schmerz im reißenden Verlauf ihrer Selbstvernichtung.

Der Componist war am Ziele. Eine Zeitlang wagte Niemand, das allgemeine Schweigen zuerst zu brechen.

Geben Sie uns, fing endlich, mit noch beklemmtem Athem, die Gräfin an, geben Sie uns, ich bitte Sie, einen Begriff, wie Ihnen war, da Sie in jener Nacht die Feder weglegten.

Er blickte, wie aus einer stillen Träumerei ermuntert, helle zu ihr auf, besann sich schnell und sagte, halb zu der Dame, halb zu seiner Frau: Nun ja, mir schwankte wohl zuletzt der Kopf. Ich hatte dies verzweifelte Dibattimento, bis zu dem Chor der Geister, in Einer Hitze fort, beim offenen Fenster zu Ende geschrieben und stand nach einer kurzen Rast vom Stuhl auf, im Begriff, nach deinem Cabinet zu gehen, damit wir noch ein bischen plaudern und sich mein Blut ausgleiche. Da machte ein überquerer Gedanke, mich mitten im Zimmer still stehen. (Hier sah er zwei Secunden lang zu Boden, und sein Ton verrieth beim Folgenden eine kaum merkbare Bewegung.) Ich sagte zu mir selbst: wenn du noch diese Nacht wegstürbest, und

dem vollen Ausdruck der Erhabenheit in jeder Geberde — wem zitterten nicht Herz und Nieren vor Lust und Angst zugleich? Es ist ein Gefühl, ähnlich dem, womit man das prächtige Schauspiel einer unbändigen Naturkraft, den Brand eines herrlichen Schiffes anstaunt. Wir nehmen wider Willen gleichsam Partei für diese blinde Größe und theilen knirschend ihren Schmerz im reißenden Verlauf ihrer Selbstvernichtung.

Der Componist war am Ziele. Eine Zeitlang wagte Niemand, das allgemeine Schweigen zuerst zu brechen.

Geben Sie uns, fing endlich, mit noch beklemmtem Athem, die Gräfin an, geben Sie uns, ich bitte Sie, einen Begriff, wie Ihnen war, da Sie in jener Nacht die Feder weglegten.

Er blickte, wie aus einer stillen Träumerei ermuntert, helle zu ihr auf, besann sich schnell und sagte, halb zu der Dame, halb zu seiner Frau: Nun ja, mir schwankte wohl zuletzt der Kopf. Ich hatte dies verzweifelte Dibattimento, bis zu dem Chor der Geister, in Einer Hitze fort, beim offenen Fenster zu Ende geschrieben und stand nach einer kurzen Rast vom Stuhl auf, im Begriff, nach deinem Cabinet zu gehen, damit wir noch ein bischen plaudern und sich mein Blut ausgleiche. Da machte ein überquerer Gedanke, mich mitten im Zimmer still stehen. (Hier sah er zwei Secunden lang zu Boden, und sein Ton verrieth beim Folgenden eine kaum merkbare Bewegung.) Ich sagte zu mir selbst: wenn du noch diese Nacht wegstürbest, und

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[0095] dem vollen Ausdruck der Erhabenheit in jeder Geberde — wem zitterten nicht Herz und Nieren vor Lust und Angst zugleich? Es ist ein Gefühl, ähnlich dem, womit man das prächtige Schauspiel einer unbändigen Naturkraft, den Brand eines herrlichen Schiffes anstaunt. Wir nehmen wider Willen gleichsam Partei für diese blinde Größe und theilen knirschend ihren Schmerz im reißenden Verlauf ihrer Selbstvernichtung. Der Componist war am Ziele. Eine Zeitlang wagte Niemand, das allgemeine Schweigen zuerst zu brechen. Geben Sie uns, fing endlich, mit noch beklemmtem Athem, die Gräfin an, geben Sie uns, ich bitte Sie, einen Begriff, wie Ihnen war, da Sie in jener Nacht die Feder weglegten. Er blickte, wie aus einer stillen Träumerei ermuntert, helle zu ihr auf, besann sich schnell und sagte, halb zu der Dame, halb zu seiner Frau: Nun ja, mir schwankte wohl zuletzt der Kopf. Ich hatte dies verzweifelte Dibattimento, bis zu dem Chor der Geister, in Einer Hitze fort, beim offenen Fenster zu Ende geschrieben und stand nach einer kurzen Rast vom Stuhl auf, im Begriff, nach deinem Cabinet zu gehen, damit wir noch ein bischen plaudern und sich mein Blut ausgleiche. Da machte ein überquerer Gedanke, mich mitten im Zimmer still stehen. (Hier sah er zwei Secunden lang zu Boden, und sein Ton verrieth beim Folgenden eine kaum merkbare Bewegung.) Ich sagte zu mir selbst: wenn du noch diese Nacht wegstürbest, und

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:56:24Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:56:24Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Mozart auf der Reise nach Prag. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 263–362. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_mozart_1910/95>, abgerufen am 03.05.2024.