Mörike, Eduard: Mozart auf der Reise nach Prag. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 263–362. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.gute alte Herr, der mich von Zeit zu Zeit dahin einlädt. Ich wollte längst einmal den Mond und 's Mandl drin mit dir betrachten. Sie haben jetzt ein mächtig großes Fernrohr oben; da soll man auf der ungeheuren Scheibe, hell und deutlich bis zum Greifen, Gebirge, Thäler, Klüfte sehen, und von der Seite, wo die Sonne nicht hinfällt, den Schatten, den die Berge werfen. Schon seit zwei Jahren schlag' ich's an, den Gang zu thun, und komme nicht dazu, elender und schändlicher Weise! Nun, sagte sie, der Mond entläuft uns nicht. Wir holen Manches nach. Nach einer Pause fuhr er fort: Und geht es nicht mit allem so? O pfui, ich darf nicht daran denken, was man verpaßt, verschiebt und hängen läßt! -- von Pflichten gegen Gott und Menschen nicht zu reden -- ich sage von purem Genuß, von den kleinen unschuldigen Freuden, die einem Jeden täglich vor den Füßen liegen. Madame Mozart konnte oder wollte von der Richtung, die sein leicht bewegliches Gefühl hier mehr und mehr nahm, auf keine Weise ablenken, und leider konnte sie ihm nur von ganzem Herzen Recht geben, indem er mit steigendem Eifer fortfuhr: Ward ich denn je nur meiner Kinder ein volles Stündchen froh? Wie halb ist das bei mir, nur immer en passant! Die Buben einmal rittlings auf das Knie gesetzt, mich zwei Minuten mit ihnen durchs Zimmer gejagt, und damit gute alte Herr, der mich von Zeit zu Zeit dahin einlädt. Ich wollte längst einmal den Mond und 's Mandl drin mit dir betrachten. Sie haben jetzt ein mächtig großes Fernrohr oben; da soll man auf der ungeheuren Scheibe, hell und deutlich bis zum Greifen, Gebirge, Thäler, Klüfte sehen, und von der Seite, wo die Sonne nicht hinfällt, den Schatten, den die Berge werfen. Schon seit zwei Jahren schlag' ich's an, den Gang zu thun, und komme nicht dazu, elender und schändlicher Weise! Nun, sagte sie, der Mond entläuft uns nicht. Wir holen Manches nach. Nach einer Pause fuhr er fort: Und geht es nicht mit allem so? O pfui, ich darf nicht daran denken, was man verpaßt, verschiebt und hängen läßt! — von Pflichten gegen Gott und Menschen nicht zu reden — ich sage von purem Genuß, von den kleinen unschuldigen Freuden, die einem Jeden täglich vor den Füßen liegen. Madame Mozart konnte oder wollte von der Richtung, die sein leicht bewegliches Gefühl hier mehr und mehr nahm, auf keine Weise ablenken, und leider konnte sie ihm nur von ganzem Herzen Recht geben, indem er mit steigendem Eifer fortfuhr: Ward ich denn je nur meiner Kinder ein volles Stündchen froh? Wie halb ist das bei mir, nur immer en passant! Die Buben einmal rittlings auf das Knie gesetzt, mich zwei Minuten mit ihnen durchs Zimmer gejagt, und damit <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0014"/> gute alte Herr, der mich von Zeit zu Zeit dahin einlädt. Ich wollte längst einmal den Mond und 's Mandl drin mit dir betrachten. Sie haben jetzt ein mächtig großes Fernrohr oben; da soll man auf der ungeheuren Scheibe, hell und deutlich bis zum Greifen, Gebirge, Thäler, Klüfte sehen, und von der Seite, wo die Sonne nicht hinfällt, den Schatten, den die Berge werfen. Schon seit zwei Jahren schlag' ich's an, den Gang zu thun, und komme nicht dazu, elender und schändlicher Weise!</p><lb/> <p>Nun, sagte sie, der Mond entläuft uns nicht. Wir holen Manches nach.</p><lb/> <p>Nach einer Pause fuhr er fort: Und geht es nicht mit allem so? O pfui, ich darf nicht daran denken, was man verpaßt, verschiebt und hängen läßt! — von Pflichten gegen Gott und Menschen nicht zu reden — ich sage von purem Genuß, von den kleinen unschuldigen Freuden, die einem Jeden täglich vor den Füßen liegen.</p><lb/> <p>Madame Mozart konnte oder wollte von der Richtung, die sein leicht bewegliches Gefühl hier mehr und mehr nahm, auf keine Weise ablenken, und leider konnte sie ihm nur von ganzem Herzen Recht geben, indem er mit steigendem Eifer fortfuhr: Ward ich denn je nur meiner Kinder ein volles Stündchen froh? Wie halb ist das bei mir, nur immer en passant! Die Buben einmal rittlings auf das Knie gesetzt, mich zwei Minuten mit ihnen durchs Zimmer gejagt, und damit<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0014]
gute alte Herr, der mich von Zeit zu Zeit dahin einlädt. Ich wollte längst einmal den Mond und 's Mandl drin mit dir betrachten. Sie haben jetzt ein mächtig großes Fernrohr oben; da soll man auf der ungeheuren Scheibe, hell und deutlich bis zum Greifen, Gebirge, Thäler, Klüfte sehen, und von der Seite, wo die Sonne nicht hinfällt, den Schatten, den die Berge werfen. Schon seit zwei Jahren schlag' ich's an, den Gang zu thun, und komme nicht dazu, elender und schändlicher Weise!
Nun, sagte sie, der Mond entläuft uns nicht. Wir holen Manches nach.
Nach einer Pause fuhr er fort: Und geht es nicht mit allem so? O pfui, ich darf nicht daran denken, was man verpaßt, verschiebt und hängen läßt! — von Pflichten gegen Gott und Menschen nicht zu reden — ich sage von purem Genuß, von den kleinen unschuldigen Freuden, die einem Jeden täglich vor den Füßen liegen.
Madame Mozart konnte oder wollte von der Richtung, die sein leicht bewegliches Gefühl hier mehr und mehr nahm, auf keine Weise ablenken, und leider konnte sie ihm nur von ganzem Herzen Recht geben, indem er mit steigendem Eifer fortfuhr: Ward ich denn je nur meiner Kinder ein volles Stündchen froh? Wie halb ist das bei mir, nur immer en passant! Die Buben einmal rittlings auf das Knie gesetzt, mich zwei Minuten mit ihnen durchs Zimmer gejagt, und damit
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Zitationshilfe: | Mörike, Eduard: Mozart auf der Reise nach Prag. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 263–362. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_mozart_1910/14>, abgerufen am 16.02.2025. |