Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838.Liebesvorzeichen. Ich stand am Morgen jüngst im Garten Vor dem Granatbaum sinnend still; Mir war, als müßt' ich gleich erwarten, Ob er die Knospe sprengen will. Sie aber schien es nicht zu wissen, Wie mächtig ihr die Fülle schwoll, Und daß sie in den Feuerküssen Des goldnen Tages brennen soll. Und dort am Rasen lag Jorinde; Wie schnell bin ich zum Gruß bereit, Indeß sie sich nur erst geschwinde Den Schlummer aus den Augen streut! Dann leuchtet dieser Augen Schwärze Mich an in Lieb' und guter Ruh, Sie hört dem Muthwill meiner Scherze Mit kindischem Verwundern zu. Dazwischen dacht' ich wohl im Stillen:
Du gut und unerfahren Kind! Die Lippen, die von Reife quillen, Wie blöde noch und fromm gesinnt! Liebesvorzeichen. Ich ſtand am Morgen juͤngſt im Garten Vor dem Granatbaum ſinnend ſtill; Mir war, als muͤßt' ich gleich erwarten, Ob er die Knoſpe ſprengen will. Sie aber ſchien es nicht zu wiſſen, Wie maͤchtig ihr die Fuͤlle ſchwoll, Und daß ſie in den Feuerkuͤſſen Des goldnen Tages brennen ſoll. Und dort am Raſen lag Jorinde; Wie ſchnell bin ich zum Gruß bereit, Indeß ſie ſich nur erſt geſchwinde Den Schlummer aus den Augen ſtreut! Dann leuchtet dieſer Augen Schwaͤrze Mich an in Lieb' und guter Ruh, Sie hoͤrt dem Muthwill meiner Scherze Mit kindiſchem Verwundern zu. Dazwiſchen dacht' ich wohl im Stillen:
Du gut und unerfahren Kind! Die Lippen, die von Reife quillen, Wie bloͤde noch und fromm geſinnt! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0056" n="40"/> </div> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">Liebesvorzeichen.</hi><lb/> </head> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l><hi rendition="#in">I</hi>ch ſtand am Morgen juͤngſt im Garten</l><lb/> <l>Vor dem Granatbaum ſinnend ſtill;</l><lb/> <l>Mir war, als muͤßt' ich gleich erwarten,</l><lb/> <l>Ob er die Knoſpe ſprengen will.</l><lb/> </lg> <lg n="2"> <l>Sie aber ſchien es nicht zu wiſſen,</l><lb/> <l>Wie maͤchtig ihr die Fuͤlle ſchwoll,</l><lb/> <l>Und daß ſie in den Feuerkuͤſſen</l><lb/> <l>Des goldnen Tages brennen ſoll.</l><lb/> </lg> <lg n="3"> <l>Und dort am Raſen lag Jorinde;</l><lb/> <l>Wie ſchnell bin ich zum Gruß bereit,</l><lb/> <l>Indeß ſie ſich nur erſt geſchwinde</l><lb/> <l>Den Schlummer aus den Augen ſtreut!</l><lb/> </lg> <lg n="4"> <l>Dann leuchtet dieſer Augen Schwaͤrze</l><lb/> <l>Mich an in Lieb' und guter Ruh,</l><lb/> <l>Sie hoͤrt dem Muthwill meiner Scherze</l><lb/> <l>Mit kindiſchem Verwundern zu.</l><lb/> </lg> <lg n="5"> <l>Dazwiſchen dacht' ich wohl im Stillen:</l><lb/> <l>Du gut und unerfahren Kind!</l><lb/> <l>Die Lippen, die von Reife quillen,</l><lb/> <l>Wie bloͤde noch und fromm geſinnt!</l><lb/> </lg> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [40/0056]
Liebesvorzeichen.
Ich ſtand am Morgen juͤngſt im Garten
Vor dem Granatbaum ſinnend ſtill;
Mir war, als muͤßt' ich gleich erwarten,
Ob er die Knoſpe ſprengen will.
Sie aber ſchien es nicht zu wiſſen,
Wie maͤchtig ihr die Fuͤlle ſchwoll,
Und daß ſie in den Feuerkuͤſſen
Des goldnen Tages brennen ſoll.
Und dort am Raſen lag Jorinde;
Wie ſchnell bin ich zum Gruß bereit,
Indeß ſie ſich nur erſt geſchwinde
Den Schlummer aus den Augen ſtreut!
Dann leuchtet dieſer Augen Schwaͤrze
Mich an in Lieb' und guter Ruh,
Sie hoͤrt dem Muthwill meiner Scherze
Mit kindiſchem Verwundern zu.
Dazwiſchen dacht' ich wohl im Stillen:
Du gut und unerfahren Kind!
Die Lippen, die von Reife quillen,
Wie bloͤde noch und fromm geſinnt!
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Zitationshilfe: | Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/56>, abgerufen am 22.07.2024. |