Modestinus, Theophilus: Freymüthige Doch Bescheidene Unterredungen Von Kirchen- Religions- Politischen- und Natur-Sachen. Frankfurt (Main) u. a., 1737. Nicander. Alleine wie wird einer erhöret/ wenn er lange bittet und bettelt/ und krieget doch nichts. Jch kenne gute ehrliche Leute/ welche viel beten, und haben doch nichts womit sie sich der äussersten Ar- muth erwehren können; sind und bleiben arme elende Schlucker alle ihr Lebenlang. Modestin. Mein werther Freund/ er fällt mit sei- nen Gedancken immer auf das äussere Ansehen der Sachen. Es bestehet ja die wahre Glückseligkeit nicht in äusserlichen Dingen: in Geld/ Gut/ kost- bahren Kleidungen/ Mobilien, grosser Ehre/ nied- lichen Essen und Trincken u. d. gl. sondern in Ruhe/ Friede und Freude des Gemüthes. Es ist ein gros- ser Reichthum wenn einer gottselig ist/ und lässet sich genügen. Es finden sich unter denen Frommen auch Reiche und Arme/ wie unter denen Bösen: wie- wohl es schwehr ist: daß die Reichen dieser Welt in das Reich GOttes eingehen/ nach dem Zeugniß JEsu Christi und der Erfahrung selbst. Denn die Güter dieser Welt verführen und versencken die Menschen leichtlich in mancherley Lüste und Laster; wo nicht öffentlich/ doch im verborgenen. Nicander. So viel ich in meiner Erfahrung wahrnehmen können/ dependiret der Unterscheid de- rer löblichen tugendhafften Aufführungen; und hingegen der bösen lasterhafften Thaten/ haupt- sächlich von dem Unterscheid derer Temperamenten/ angebohrnen Gemüths-Neigungen/ guter oder schlimmer Education. Etliche Menschen haben ein dergestalt böses und unglückliches Naturell/ ange- bohrne Neigung zum Stehlen; andere zu Zorn/ Haß
Nicander. Alleine wie wird einer erhoͤret/ wenn er lange bittet und bettelt/ und krieget doch nichts. Jch kenne gute ehrliche Leute/ welche viel beten, und haben doch nichts womit ſie ſich der aͤuſſerſten Ar- muth erwehren koͤnnen; ſind und bleiben arme elende Schlucker alle ihr Lebenlang. Modeſtin. Mein werther Freund/ er faͤllt mit ſei- nen Gedancken immer auf das aͤuſſere Anſehen der Sachen. Es beſtehet ja die wahre Gluͤckſeligkeit nicht in aͤuſſerlichen Dingen: in Geld/ Gut/ koſt- bahren Kleidungen/ Mobilien, groſſer Ehre/ nied- lichen Eſſen und Trincken u. d. gl. ſondern in Ruhe/ Friede und Freude des Gemuͤthes. Es iſt ein groſ- ſer Reichthum wenn einer gottſelig iſt/ und laͤſſet ſich genuͤgen. Es finden ſich unter denen Frommen auch Reiche und Arme/ wie unter denen Boͤſen: wie- wohl es ſchwehr iſt: daß die Reichen dieſer Welt in das Reich GOttes eingehen/ nach dem Zeugniß JEſu Chriſti und der Erfahrung ſelbſt. Denn die Guͤter dieſer Welt verfuͤhren und verſencken die Menſchen leichtlich in mancherley Luͤſte und Laſter; wo nicht oͤffentlich/ doch im verborgenen. Nicander. So viel ich in meiner Erfahrung wahrnehmen koͤnnen/ dependiret der Unterſcheid de- rer loͤblichen tugendhafften Auffuͤhrungen; und hingegen der boͤſen laſterhafften Thaten/ haupt- ſaͤchlich von dem Unterſcheid derer Temperamenten/ angebohrnen Gemuͤths-Neigungen/ guter oder ſchlimmer Education. Etliche Menſchen haben ein dergeſtalt boͤſes und ungluͤckliches Naturell/ ange- bohrne Neigung zum Stehlen; andere zu Zorn/ Haß
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Nicander. Alleine wie wird einer erhoͤret/ wenn
er lange bittet und bettelt/ und krieget doch nichts.
Jch kenne gute ehrliche Leute/ welche viel beten, und
haben doch nichts womit ſie ſich der aͤuſſerſten Ar-
muth erwehren koͤnnen; ſind und bleiben arme elende
Schlucker alle ihr Lebenlang.
Modeſtin. Mein werther Freund/ er faͤllt mit ſei-
nen Gedancken immer auf das aͤuſſere Anſehen der
Sachen. Es beſtehet ja die wahre Gluͤckſeligkeit
nicht in aͤuſſerlichen Dingen: in Geld/ Gut/ koſt-
bahren Kleidungen/ Mobilien, groſſer Ehre/ nied-
lichen Eſſen und Trincken u. d. gl. ſondern in Ruhe/
Friede und Freude des Gemuͤthes. Es iſt ein groſ-
ſer Reichthum wenn einer gottſelig iſt/ und laͤſſet
ſich genuͤgen. Es finden ſich unter denen Frommen
auch Reiche und Arme/ wie unter denen Boͤſen: wie-
wohl es ſchwehr iſt: daß die Reichen dieſer Welt in
das Reich GOttes eingehen/ nach dem Zeugniß
JEſu Chriſti und der Erfahrung ſelbſt. Denn die
Guͤter dieſer Welt verfuͤhren und verſencken die
Menſchen leichtlich in mancherley Luͤſte und Laſter;
wo nicht oͤffentlich/ doch im verborgenen.
Nicander. So viel ich in meiner Erfahrung
wahrnehmen koͤnnen/ dependiret der Unterſcheid de-
rer loͤblichen tugendhafften Auffuͤhrungen; und
hingegen der boͤſen laſterhafften Thaten/ haupt-
ſaͤchlich von dem Unterſcheid derer Temperamenten/
angebohrnen Gemuͤths-Neigungen/ guter oder
ſchlimmer Education. Etliche Menſchen haben ein
dergeſtalt boͤſes und ungluͤckliches Naturell/ ange-
bohrne Neigung zum Stehlen; andere zu Zorn/
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Zitationshilfe: | Modestinus, Theophilus: Freymüthige Doch Bescheidene Unterredungen Von Kirchen- Religions- Politischen- und Natur-Sachen. Frankfurt (Main) u. a., 1737. , S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/modestinus_unterredungen_1737/84>, abgerufen am 25.06.2024. |