Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Modestinus, Theophilus: Freymüthige Doch Bescheidene Unterredungen Von Kirchen- Religions- Politischen- und Natur-Sachen. Frankfurt (Main) u. a., 1737.

Bild:
<< vorherige Seite


terschiedener Ausdrücke gebrauchet, welche der an-
dere im Grunde nicht verstehet; so bin ich versichert,
daß wo dergleichen zween redliche Männer Gele-
genheit haben würden, sich gegen einander zu erklä-
ren, und einander das anvertrauete Licht leuchten
zu lassen: so würden sie bald einig werden, und das
geringere Licht dem grössern weichen: Da solches
auch die Natur selbsten mit sich bringet. Halte auch
davor, daß das, was man Natur und Gnade nen-
net, nicht contradictoria oder sich widersprechende
Dinge styen; sondern nur ein geringeres und grös-
seres Maas des Lichtes GOttes in der Seelen. Ma-
jus & Minus autem non variat rei Essentiam.
Alamodanus. Es scheinet der Herr Modestin in-
clinire
mit Herr Nicandern zum Naturalismo. Unsere
Herren Theologi sind gar anderer Meynung; und
werden denselben gewiß mit in die Ketzer-Rolle setzen.
Modestin. Der Herr Alamodanus saget gar wohl:
Es schiene, daß ich mit Herrn Nicandern zum Natu-
ralismo inclini
rete: Alleine was so zu seyn scheinet;
das verhält sich deßwegen in der That nicht also.
Denn er selbsten wohl weiß, daß zwischen seyn und
schein ein gar grosser Unterscheid sich befinde. Man-
cher scheinet wohl ein ehrlicher Mann, auch wohl
ein guter Christ zu seyn, der es doch in der That und
Wahrheit nicht ist. Wie es gar deutlich erhellet,
wenn man solche auf die rechte Wagschaale, oder
an den rechten Prüffstein bringet. Was aber die
Herren Theologi von dieser oder jener Partie in ei-
nem blinden Eiffer ohne Göttliches Licht statuiren,
benimmt und giebt der Sache nichts; ist auch ei-
nem


terſchiedener Ausdruͤcke gebrauchet, welche der an-
dere im Grunde nicht verſtehet; ſo bin ich verſichert,
daß wo dergleichen zween redliche Maͤnner Gele-
genheit haben wuͤrden, ſich gegen einander zu erklaͤ-
ren, und einander das anvertrauete Licht leuchten
zu laſſen: ſo wuͤrden ſie bald einig werden, und das
geringere Licht dem groͤſſern weichen: Da ſolches
auch die Natur ſelbſten mit ſich bringet. Halte auch
davor, daß das, was man Natur und Gnade nen-
net, nicht contradictoria oder ſich widerſprechende
Dinge ſtyen; ſondern nur ein geringeres und groͤſ-
ſeres Maas des Lichtes GOttes in der Seelen. Ma-
jus & Minus autem non variat rei Eſſentiam.
Alamodanus. Es ſcheinet der Herr Modeſtin in-
clinire
mit Herr Nicandern zum Naturaliſmo. Unſere
Herren Theologi ſind gar anderer Meynung; und
werden denſelbẽ gewiß mit in die Ketzer-Rolle ſetzen.
Modeſtin. Der Herr Alamodanus ſaget gar wohl:
Es ſchiene, daß ich mit Herrn Nicandern zum Natu-
raliſmo inclini
rete: Alleine was ſo zu ſeyn ſcheinet;
das verhaͤlt ſich deßwegen in der That nicht alſo.
Denn er ſelbſten wohl weiß, daß zwiſchen ſeyn und
ſchein ein gar groſſer Unterſcheid ſich befinde. Man-
cher ſcheinet wohl ein ehrlicher Mann, auch wohl
ein guter Chriſt zu ſeyn, der es doch in der That und
Wahrheit nicht iſt. Wie es gar deutlich erhellet,
wenn man ſolche auf die rechte Wagſchaale, oder
an den rechten Pruͤffſtein bringet. Was aber die
Herren Theologi von dieſer oder jener Partie in ei-
nem blinden Eiffer ohne Goͤttliches Licht ſtatuiren,
benimmt und giebt der Sache nichts; iſt auch ei-
nem
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <sp>
          <p><pb facs="#f0028" n="22"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
ter&#x017F;chiedener Ausdru&#x0364;cke gebrauchet, welche der an-<lb/>
dere im Grunde nicht ver&#x017F;tehet; &#x017F;o bin ich ver&#x017F;ichert,<lb/>
daß wo dergleichen zween <hi rendition="#fr">redliche</hi> Ma&#x0364;nner Gele-<lb/>
genheit haben wu&#x0364;rden, &#x017F;ich gegen einander zu erkla&#x0364;-<lb/>
ren, und einander das anvertrauete Licht leuchten<lb/>
zu la&#x017F;&#x017F;en: &#x017F;o wu&#x0364;rden &#x017F;ie bald einig werden, und das<lb/>
geringere Licht dem gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;ern weichen: Da &#x017F;olches<lb/>
auch die Natur &#x017F;elb&#x017F;ten mit &#x017F;ich bringet. Halte auch<lb/>
davor, daß das, was man Natur und Gnade nen-<lb/>
net, nicht <hi rendition="#aq">contradictoria</hi> oder &#x017F;ich wider&#x017F;prechende<lb/>
Dinge &#x017F;tyen; &#x017F;ondern nur ein geringeres und gro&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;eres Maas des Lichtes GOttes in der Seelen. <hi rendition="#aq">Ma-<lb/>
jus &amp; Minus autem non variat rei E&#x017F;&#x017F;entiam.</hi></p>
        </sp><lb/>
        <sp>
          <speaker> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#i">Alamodanus.</hi> </hi> </speaker>
          <p>Es &#x017F;cheinet der Herr <hi rendition="#aq">Mode&#x017F;tin in-<lb/>
clinire</hi> mit Herr <hi rendition="#aq">Nicandern</hi> zum <hi rendition="#aq">Naturali&#x017F;mo.</hi> Un&#x017F;ere<lb/>
Herren <hi rendition="#aq">Theologi</hi> &#x017F;ind gar anderer Meynung; und<lb/>
werden den&#x017F;elbe&#x0303; gewiß mit in die Ketzer-Rolle &#x017F;etzen.</p>
        </sp><lb/>
        <sp>
          <speaker> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#i">Mode&#x017F;tin.</hi> </hi> </speaker>
          <p>Der Herr <hi rendition="#aq">Alamodanus</hi> &#x017F;aget gar wohl:<lb/>
Es &#x017F;chiene, daß ich mit Herrn <hi rendition="#aq">Nicandern</hi> zum <hi rendition="#aq">Natu-<lb/>
rali&#x017F;mo inclini</hi>rete: Alleine was &#x017F;o zu &#x017F;eyn &#x017F;cheinet;<lb/>
das verha&#x0364;lt &#x017F;ich deßwegen in der That nicht al&#x017F;o.<lb/>
Denn er &#x017F;elb&#x017F;ten wohl weiß, daß zwi&#x017F;chen <hi rendition="#fr">&#x017F;eyn</hi> und<lb/><hi rendition="#fr">&#x017F;chein</hi> ein gar gro&#x017F;&#x017F;er Unter&#x017F;cheid &#x017F;ich befinde. Man-<lb/>
cher &#x017F;cheinet wohl ein ehrlicher Mann, auch wohl<lb/>
ein guter Chri&#x017F;t zu &#x017F;eyn, der es doch in der That und<lb/>
Wahrheit nicht i&#x017F;t. Wie es gar deutlich erhellet,<lb/>
wenn man &#x017F;olche auf die rechte Wag&#x017F;chaale, oder<lb/>
an den rechten Pru&#x0364;ff&#x017F;tein bringet. Was aber die<lb/>
Herren <hi rendition="#aq">Theologi</hi> von die&#x017F;er oder jener Partie in ei-<lb/>
nem blinden Eiffer ohne Go&#x0364;ttliches Licht <hi rendition="#aq">&#x017F;tatui</hi>ren,<lb/>
benimmt und giebt der Sache nichts; i&#x017F;t auch ei-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nem</fw><lb/></p>
        </sp>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[22/0028] terſchiedener Ausdruͤcke gebrauchet, welche der an- dere im Grunde nicht verſtehet; ſo bin ich verſichert, daß wo dergleichen zween redliche Maͤnner Gele- genheit haben wuͤrden, ſich gegen einander zu erklaͤ- ren, und einander das anvertrauete Licht leuchten zu laſſen: ſo wuͤrden ſie bald einig werden, und das geringere Licht dem groͤſſern weichen: Da ſolches auch die Natur ſelbſten mit ſich bringet. Halte auch davor, daß das, was man Natur und Gnade nen- net, nicht contradictoria oder ſich widerſprechende Dinge ſtyen; ſondern nur ein geringeres und groͤſ- ſeres Maas des Lichtes GOttes in der Seelen. Ma- jus & Minus autem non variat rei Eſſentiam. Alamodanus. Es ſcheinet der Herr Modeſtin in- clinire mit Herr Nicandern zum Naturaliſmo. Unſere Herren Theologi ſind gar anderer Meynung; und werden denſelbẽ gewiß mit in die Ketzer-Rolle ſetzen. Modeſtin. Der Herr Alamodanus ſaget gar wohl: Es ſchiene, daß ich mit Herrn Nicandern zum Natu- raliſmo inclinirete: Alleine was ſo zu ſeyn ſcheinet; das verhaͤlt ſich deßwegen in der That nicht alſo. Denn er ſelbſten wohl weiß, daß zwiſchen ſeyn und ſchein ein gar groſſer Unterſcheid ſich befinde. Man- cher ſcheinet wohl ein ehrlicher Mann, auch wohl ein guter Chriſt zu ſeyn, der es doch in der That und Wahrheit nicht iſt. Wie es gar deutlich erhellet, wenn man ſolche auf die rechte Wagſchaale, oder an den rechten Pruͤffſtein bringet. Was aber die Herren Theologi von dieſer oder jener Partie in ei- nem blinden Eiffer ohne Goͤttliches Licht ſtatuiren, benimmt und giebt der Sache nichts; iſt auch ei- nem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/modestinus_unterredungen_1737
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/modestinus_unterredungen_1737/28
Zitationshilfe: Modestinus, Theophilus: Freymüthige Doch Bescheidene Unterredungen Von Kirchen- Religions- Politischen- und Natur-Sachen. Frankfurt (Main) u. a., 1737. , S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/modestinus_unterredungen_1737/28>, abgerufen am 24.04.2024.