Modestinus, Theophilus: Freymüthige Doch Bescheidene Unterredungen Von Kirchen- Religions- Politischen- und Natur-Sachen. Frankfurt (Main) u. a., 1737. Nicander. Das will ich gern zugeben; ich will auch alle Erscheinungen der Geister, und die Histo- rien die man von dergleichen erzehlet, nicht über- haupt gäntzlich der Lügen beschuldigen: ob solche gleich meistens menschliche Erfindungen, und zum grösten Theil Schelmereyen seyn mögen. Sed quid tum? Modestin. Nun so es mancherley unsichtbahre Kräfften giebt, welche man Geister nennet; so ist es ja nicht unwahrscheinlich, daß auch unsere See- le (welche ja was gantz anders ist als der Leib, dar- innen sie wohnet, und mit dem sie in diesem Leben so genau verbunden ist) auch ohne diesen Leib bestehen könne. Und eben daraus, daß der weiseste Schöp- fer aller Dinge, (welcher nichts vergeblich geord- net) feinen Seelen einen solchen Eindruck und Ver- langen nach einem ewig bleibenden Gute gegeben, schliesse ich billig, daß es beynahe eine so gut als ma- thematische Wahrheit sey: daß die Seelen ein ewi- ges Leben zu gemessen haben; und daß hierinnen zwischen Menschen und Thieren ein Himmel-wei- ter Unterschied seye. Uber diß ists der unendlichen Gütigkeit, Heiligkeit und allergerechtsamsten We- sen GOttes gemäß, daß da öffters die frömmste, redligste und tugendhaffteste Leute in dieser Zeit, das meiste Ungemach, Wiederwärtigkeit, Verfolgung und mancherley Trübsal ausstehen; hingegen es denen grösten Spitzbuben öffters gar glücklich ge- het: nach dieser Zeit, die Frommen dagegen eine Erquickung und Belohnung; die Gottlosen aber Straffe zu gewarten haben werden. Nic.
Nicander. Das will ich gern zugeben; ich will auch alle Erſcheinungen der Geiſter, und die Hiſto- rien die man von dergleichen erzehlet, nicht uͤber- haupt gaͤntzlich der Luͤgen beſchuldigen: ob ſolche gleich meiſtens menſchliche Erfindungen, und zum groͤſten Theil Schelmereyen ſeyn moͤgen. Sed quid tum? Modeſtin. Nun ſo es mancherley unſichtbahre Kraͤfften giebt, welche man Geiſter nennet; ſo iſt es ja nicht unwahrſcheinlich, daß auch unſere See- le (welche ja was gantz anders iſt als der Leib, dar- innen ſie wohnet, und mit dem ſie in dieſem Leben ſo genau verbunden iſt) auch ohne dieſen Leib beſtehen koͤnne. Und eben daraus, daß der weiſeſte Schoͤp- fer aller Dinge, (welcher nichts vergeblich geord- net) feinen Seelen einen ſolchen Eindruck und Ver- langen nach einem ewig bleibenden Gute gegeben, ſchlieſſe ich billig, daß es beynahe eine ſo gut als ma- thematiſche Wahrheit ſey: daß die Seelen ein ewi- ges Leben zu gemeſſen haben; und daß hierinnen zwiſchen Menſchen und Thieren ein Himmel-wei- ter Unterſchied ſeye. Uber diß iſts der unendlichen Guͤtigkeit, Heiligkeit und allergerechtſamſten We- ſen GOttes gemaͤß, daß da oͤffters die froͤmmſte, redligſte und tugendhaffteſte Leute in dieſer Zeit, das meiſte Ungemach, Wiederwaͤrtigkeit, Verfolgung und mancherley Truͤbſal ausſtehen; hingegen es denen groͤſten Spitzbuben oͤffters gar gluͤcklich ge- het: nach dieſer Zeit, die Frommen dagegen eine Erquickung und Belohnung; die Gottloſen aber Straffe zu gewarten haben werden. Nic.
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Nicander. Das will ich gern zugeben; ich will
auch alle Erſcheinungen der Geiſter, und die Hiſto-
rien die man von dergleichen erzehlet, nicht uͤber-
haupt gaͤntzlich der Luͤgen beſchuldigen: ob ſolche
gleich meiſtens menſchliche Erfindungen, und zum
groͤſten Theil Schelmereyen ſeyn moͤgen. Sed quid
tum?
Modeſtin. Nun ſo es mancherley unſichtbahre
Kraͤfften giebt, welche man Geiſter nennet; ſo iſt
es ja nicht unwahrſcheinlich, daß auch unſere See-
le (welche ja was gantz anders iſt als der Leib, dar-
innen ſie wohnet, und mit dem ſie in dieſem Leben ſo
genau verbunden iſt) auch ohne dieſen Leib beſtehen
koͤnne. Und eben daraus, daß der weiſeſte Schoͤp-
fer aller Dinge, (welcher nichts vergeblich geord-
net) feinen Seelen einen ſolchen Eindruck und Ver-
langen nach einem ewig bleibenden Gute gegeben,
ſchlieſſe ich billig, daß es beynahe eine ſo gut als ma-
thematiſche Wahrheit ſey: daß die Seelen ein ewi-
ges Leben zu gemeſſen haben; und daß hierinnen
zwiſchen Menſchen und Thieren ein Himmel-wei-
ter Unterſchied ſeye. Uber diß iſts der unendlichen
Guͤtigkeit, Heiligkeit und allergerechtſamſten We-
ſen GOttes gemaͤß, daß da oͤffters die froͤmmſte,
redligſte und tugendhaffteſte Leute in dieſer Zeit, das
meiſte Ungemach, Wiederwaͤrtigkeit, Verfolgung
und mancherley Truͤbſal ausſtehen; hingegen es
denen groͤſten Spitzbuben oͤffters gar gluͤcklich ge-
het: nach dieſer Zeit, die Frommen dagegen eine
Erquickung und Belohnung; die Gottloſen aber
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Zitationshilfe: | Modestinus, Theophilus: Freymüthige Doch Bescheidene Unterredungen Von Kirchen- Religions- Politischen- und Natur-Sachen. Frankfurt (Main) u. a., 1737. , S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/modestinus_unterredungen_1737/20>, abgerufen am 16.07.2024. |