Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763.

Bild:
<< vorherige Seite

Das verlohrne Paradies.
310Als der Weinstock bereits, mit purpurnen Trauben belastet,
Fortwuchs, und die schwellende Gurk' am Boden dahin kroch.
Wie ein Lanzenwald stand das schlanke hornichte Schilf [Spaltenumbruch] x) auf,
Und der niedrige Strauch, und der Busch mit verwickelten Haaren.
Endlich traten, als wie im Tanz, die prächtigen Bäume
315Majestätisch hervor, und streckten die laubichten Aeste

Weit in die Luft; sie waren zum Theil mit Früchten beladen,
Oder sie stießen auch Blüthen heraus. Mit waldichten Hainen
Wurden die Hügel bekrönt, und mit Gebüschen die Thäler,
Und der Rand des murmelnden Quells, und die Ufer der Flüsse.
320So daß itzo die Erde dem Himmel gleich schien, wo Götter

Hätten wohnen, und mit Vergnügen in heiligen Schatten
Wandeln können, obgleich noch nicht Gott über die Erde
Regnen lassen y), und niemand noch war, der die Fluren gebauet.
Doch ein thauender Nebel stieg auf von der Erde, der tränkte
325Alles Land, die Pflanzen des Feldes, und alle die Kräuter,

Welche der Schöpfer gemacht, eh in der Erden ihr Samen
Noch vorhanden gewesen, und von dem grünenden Stengel

Sich
x) Das hornichte Schilf stand unter
den andern niedrigen Gewächsen der Er-
de, wie ein Wald von Lanzen, oder wie
eine Kriegesschaar mit aufgerichteten
Spießen. Virgil Aen. III, 22. braucht
gleichfalls corneus von etwas, das wie
Horn aussieht.
Forte fuit juxta tumulus, quo cornea
summo
Virgulta etc.
Hume.
y) Milton war bemüht, alles, was
Moses von der Schöpfung geschrieben,
in sein Gedicht einzuweben, dieß ist nicht
[Spaltenumbruch] aus dem ersten, sondern dem zweyten Ca-
pitel des ersten Buchs Mose v. 4. 5. 6.
genommen. Zu der Zeit, da Gott der
Herr Erde und Himmel machte.
Und allerley Bäume auf dem Felde,
die zuvor nie gewesen waren, auf
Erden, und allerley Kraut auf dem
Felde, das zuvor nie gewachsen war.
Denn Gott der Herr hatte noch nicht
regnen lassen auf Erden, und war
kein Mensch, der das Land bäuete,
aber ein Nebel gieng auf von der
Erde, und feuchtete alles Land.

Das verlohrne Paradies.
310Als der Weinſtock bereits, mit purpurnen Trauben belaſtet,
Fortwuchs, und die ſchwellende Gurk’ am Boden dahin kroch.
Wie ein Lanzenwald ſtand das ſchlanke hornichte Schilf [Spaltenumbruch] x) auf,
Und der niedrige Strauch, und der Buſch mit verwickelten Haaren.
Endlich traten, als wie im Tanz, die praͤchtigen Baͤume
315Majeſtaͤtiſch hervor, und ſtreckten die laubichten Aeſte

Weit in die Luft; ſie waren zum Theil mit Fruͤchten beladen,
Oder ſie ſtießen auch Bluͤthen heraus. Mit waldichten Hainen
Wurden die Huͤgel bekroͤnt, und mit Gebuͤſchen die Thaͤler,
Und der Rand des murmelnden Quells, und die Ufer der Fluͤſſe.
320So daß itzo die Erde dem Himmel gleich ſchien, wo Goͤtter

Haͤtten wohnen, und mit Vergnuͤgen in heiligen Schatten
Wandeln koͤnnen, obgleich noch nicht Gott uͤber die Erde
Regnen laſſen y), und niemand noch war, der die Fluren gebauet.
Doch ein thauender Nebel ſtieg auf von der Erde, der traͤnkte
325Alles Land, die Pflanzen des Feldes, und alle die Kraͤuter,

Welche der Schoͤpfer gemacht, eh in der Erden ihr Samen
Noch vorhanden geweſen, und von dem gruͤnenden Stengel

Sich
x) Das hornichte Schilf ſtand unter
den andern niedrigen Gewaͤchſen der Er-
de, wie ein Wald von Lanzen, oder wie
eine Kriegesſchaar mit aufgerichteten
Spießen. Virgil Aen. III, 22. braucht
gleichfalls corneus von etwas, das wie
Horn ausſieht.
Forte fuit juxta tumulus, quo cornea
ſummo
Virgulta etc.
Hume.
y) Milton war bemuͤht, alles, was
Moſes von der Schoͤpfung geſchrieben,
in ſein Gedicht einzuweben, dieß iſt nicht
[Spaltenumbruch] aus dem erſten, ſondern dem zweyten Ca-
pitel des erſten Buchs Moſe v. 4. 5. 6.
genommen. Zu der Zeit, da Gott der
Herr Erde und Himmel machte.
Und allerley Bäume auf dem Felde,
die zuvor nie geweſen waren, auf
Erden, und allerley Kraut auf dem
Felde, das zuvor nie gewachſen war.
Denn Gott der Herr hatte noch nicht
regnen laſſen auf Erden, und war
kein Menſch, der das Land baͤuete,
aber ein Nebel gieng auf von der
Erde, und feuchtete alles Land.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <lg n="14">
            <l><pb facs="#f0034" n="18"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das verlohrne Paradies.</hi></fw><lb/><note place="left">310</note>Als der Wein&#x017F;tock bereits, mit purpurnen Trauben bela&#x017F;tet,</l><lb/>
            <l>Fortwuchs, und die &#x017F;chwellende Gurk&#x2019; am Boden dahin kroch.</l><lb/>
            <l>Wie ein Lanzenwald &#x017F;tand das &#x017F;chlanke hornichte Schilf <cb/>
<note place="foot" n="x)">Das hornichte Schilf &#x017F;tand unter<lb/>
den andern niedrigen Gewa&#x0364;ch&#x017F;en der Er-<lb/>
de, wie ein Wald von Lanzen, oder wie<lb/>
eine Krieges&#x017F;chaar mit aufgerichteten<lb/>
Spießen. Virgil Aen. <hi rendition="#aq">III,</hi> 22. braucht<lb/>
gleichfalls <hi rendition="#aq">corneus</hi> von etwas, das wie<lb/>
Horn aus&#x017F;ieht.<lb/><hi rendition="#aq">Forte fuit juxta tumulus, quo <hi rendition="#i">cornea</hi><lb/><hi rendition="#et">&#x017F;ummo</hi><lb/>
Virgulta etc.</hi> <hi rendition="#fr">Hume.</hi></note> auf,</l><lb/>
            <l>Und der niedrige Strauch, und der Bu&#x017F;ch mit verwickelten Haaren.</l><lb/>
            <l>Endlich traten, als wie im Tanz, die pra&#x0364;chtigen Ba&#x0364;ume<lb/><note place="left">315</note>Maje&#x017F;ta&#x0364;ti&#x017F;ch hervor, und &#x017F;treckten die laubichten Ae&#x017F;te</l><lb/>
            <l>Weit in die Luft; &#x017F;ie waren zum Theil mit Fru&#x0364;chten beladen,</l><lb/>
            <l>Oder &#x017F;ie &#x017F;tießen auch Blu&#x0364;then heraus. Mit waldichten Hainen</l><lb/>
            <l>Wurden die Hu&#x0364;gel bekro&#x0364;nt, und mit Gebu&#x0364;&#x017F;chen die Tha&#x0364;ler,</l><lb/>
            <l>Und der Rand des murmelnden Quells, und die Ufer der Flu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e.<lb/><note place="left">320</note>So daß itzo die Erde dem Himmel gleich &#x017F;chien, wo Go&#x0364;tter</l><lb/>
            <l>Ha&#x0364;tten wohnen, und mit Vergnu&#x0364;gen in heiligen Schatten</l><lb/>
            <l>Wandeln ko&#x0364;nnen, obgleich noch nicht Gott u&#x0364;ber die Erde</l><lb/>
            <l>Regnen la&#x017F;&#x017F;en <note place="foot" n="y)">Milton war bemu&#x0364;ht, alles, was<lb/>
Mo&#x017F;es von der Scho&#x0364;pfung ge&#x017F;chrieben,<lb/>
in &#x017F;ein Gedicht einzuweben, dieß i&#x017F;t nicht<lb/><cb/>
aus dem er&#x017F;ten, &#x017F;ondern dem zweyten Ca-<lb/>
pitel des er&#x017F;ten Buchs Mo&#x017F;e v. 4. 5. 6.<lb/>
genommen. <hi rendition="#fr">Zu der Zeit, da Gott der<lb/>
Herr Erde und Himmel machte.<lb/>
Und allerley Bäume auf dem Felde,<lb/>
die zuvor nie gewe&#x017F;en waren, auf<lb/>
Erden, und allerley Kraut auf dem<lb/>
Felde, das zuvor nie gewach&#x017F;en war.<lb/>
Denn Gott der Herr hatte noch nicht<lb/>
regnen la&#x017F;&#x017F;en auf Erden, und war<lb/>
kein Men&#x017F;ch, der das Land ba&#x0364;uete,<lb/>
aber ein Nebel gieng auf von der<lb/>
Erde, und feuchtete alles Land.</hi></note>, und niemand noch war, der die Fluren gebauet.</l><lb/>
            <l>Doch ein thauender Nebel &#x017F;tieg auf von der Erde, der tra&#x0364;nkte<lb/><note place="left">325</note>Alles Land, die Pflanzen des Feldes, und alle die Kra&#x0364;uter,</l><lb/>
            <l>Welche der Scho&#x0364;pfer gemacht, eh in der Erden ihr Samen</l><lb/>
            <l>Noch vorhanden gewe&#x017F;en, und von dem gru&#x0364;nenden <hi rendition="#fr">Stengel</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Sich</fw><lb/></l>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[18/0034] Das verlohrne Paradies. Als der Weinſtock bereits, mit purpurnen Trauben belaſtet, Fortwuchs, und die ſchwellende Gurk’ am Boden dahin kroch. Wie ein Lanzenwald ſtand das ſchlanke hornichte Schilf x) auf, Und der niedrige Strauch, und der Buſch mit verwickelten Haaren. Endlich traten, als wie im Tanz, die praͤchtigen Baͤume Majeſtaͤtiſch hervor, und ſtreckten die laubichten Aeſte Weit in die Luft; ſie waren zum Theil mit Fruͤchten beladen, Oder ſie ſtießen auch Bluͤthen heraus. Mit waldichten Hainen Wurden die Huͤgel bekroͤnt, und mit Gebuͤſchen die Thaͤler, Und der Rand des murmelnden Quells, und die Ufer der Fluͤſſe. So daß itzo die Erde dem Himmel gleich ſchien, wo Goͤtter Haͤtten wohnen, und mit Vergnuͤgen in heiligen Schatten Wandeln koͤnnen, obgleich noch nicht Gott uͤber die Erde Regnen laſſen y), und niemand noch war, der die Fluren gebauet. Doch ein thauender Nebel ſtieg auf von der Erde, der traͤnkte Alles Land, die Pflanzen des Feldes, und alle die Kraͤuter, Welche der Schoͤpfer gemacht, eh in der Erden ihr Samen Noch vorhanden geweſen, und von dem gruͤnenden Stengel Sich x) Das hornichte Schilf ſtand unter den andern niedrigen Gewaͤchſen der Er- de, wie ein Wald von Lanzen, oder wie eine Kriegesſchaar mit aufgerichteten Spießen. Virgil Aen. III, 22. braucht gleichfalls corneus von etwas, das wie Horn ausſieht. Forte fuit juxta tumulus, quo cornea ſummo Virgulta etc. Hume. y) Milton war bemuͤht, alles, was Moſes von der Schoͤpfung geſchrieben, in ſein Gedicht einzuweben, dieß iſt nicht aus dem erſten, ſondern dem zweyten Ca- pitel des erſten Buchs Moſe v. 4. 5. 6. genommen. Zu der Zeit, da Gott der Herr Erde und Himmel machte. Und allerley Bäume auf dem Felde, die zuvor nie geweſen waren, auf Erden, und allerley Kraut auf dem Felde, das zuvor nie gewachſen war. Denn Gott der Herr hatte noch nicht regnen laſſen auf Erden, und war kein Menſch, der das Land baͤuete, aber ein Nebel gieng auf von der Erde, und feuchtete alles Land.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763/34
Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763/34>, abgerufen am 24.11.2024.