Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760.Das verlohrne Paradies. 465Alles war eine erste Materie; mancherley FormenNahm sie an, nach mancherley Stufen von Wesen und Leben Jn den Dingen, die leben. Doch mehr gereinigt, mehr geistig, Und viel reiner ward alles, was näher am Throne des Schöpfers Höher hinauf sich bestrebte zum ersten Ursprunge; jedes 470Jn der ihm eignen bestimmten Sphäre der Wirksamkeit, bis sich Endlich der Körper zum Geist hinaufarbeitet, nach Grenzen Abgemessen zu jeglicher Art. So entsprosset der Wurzel, Leichter, der grüne Stiel; von ihm, mehr luftreich, die Blätter Bis die helle vollkommne Blume balsamische Geister 475Von sich athmet. Die Blumen und Früchte, die Nahrung des Menschen Werden feiner gemacht nach verschiednen Graden, und steigen Höher, und werden verwandelt zu Lebensgeistern, zu thierschen, Und intellektualischen Geistern, und geben Empfindung, Leben, Verstand, und Einbildungskraft; woher denn die Seele 480Jhre Vernunft empfängt, (und die Vernunft ist ihr Wesen) Entweder anschauend, oder auch schließend; die erst' ist meistens Unser, und euer die letzte; nur bloß in Graden verschieden, Sonst von einerley Art. Verwundre dich also nicht länger, Daß auch ich nicht verwerfe, was Gott als Gut euch bestimmte, 485Sondern es so wie ihr in mein Wesen verwandle. Vielleicht kömmt Einmal die Zeit, da der Mensch mit den Engeln speist, und die Nahrung Nicht zu leicht für sich findet; vielleicht daß die Länge der Zeiten Eure Körper verbessert, und sie, ganz Geist, sich beflügelt Jn die Lüft' erheben, ätherisch wie wir, und bald hier sich Auf-
Das verlohrne Paradies. 465Alles war eine erſte Materie; mancherley FormenNahm ſie an, nach mancherley Stufen von Weſen und Leben Jn den Dingen, die leben. Doch mehr gereinigt, mehr geiſtig, Und viel reiner ward alles, was naͤher am Throne des Schoͤpfers Hoͤher hinauf ſich beſtrebte zum erſten Urſprunge; jedes 470Jn der ihm eignen beſtimmten Sphaͤre der Wirkſamkeit, bis ſich Endlich der Koͤrper zum Geiſt hinaufarbeitet, nach Grenzen Abgemeſſen zu jeglicher Art. So entſproſſet der Wurzel, Leichter, der gruͤne Stiel; von ihm, mehr luftreich, die Blaͤtter Bis die helle vollkommne Blume balſamiſche Geiſter 475Von ſich athmet. Die Blumen und Fruͤchte, die Nahrung des Menſchen Werden feiner gemacht nach verſchiednen Graden, und ſteigen Hoͤher, und werden verwandelt zu Lebensgeiſtern, zu thierſchen, Und intellektualiſchen Geiſtern, und geben Empfindung, Leben, Verſtand, und Einbildungskraft; woher denn die Seele 480Jhre Vernunft empfaͤngt, (und die Vernunft iſt ihr Weſen) Entweder anſchauend, oder auch ſchließend; die erſt’ iſt meiſtens Unſer, und euer die letzte; nur bloß in Graden verſchieden, Sonſt von einerley Art. Verwundre dich alſo nicht laͤnger, Daß auch ich nicht verwerfe, was Gott als Gut euch beſtimmte, 485Sondern es ſo wie ihr in mein Weſen verwandle. Vielleicht koͤmmt Einmal die Zeit, da der Menſch mit den Engeln ſpeiſt, und die Nahrung Nicht zu leicht fuͤr ſich findet; vielleicht daß die Laͤnge der Zeiten Eure Koͤrper verbeſſert, und ſie, ganz Geiſt, ſich befluͤgelt Jn die Luͤft’ erheben, aͤtheriſch wie wir, und bald hier ſich Auf-
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Das verlohrne Paradies.
Alles war eine erſte Materie; mancherley Formen
Nahm ſie an, nach mancherley Stufen von Weſen und Leben
Jn den Dingen, die leben. Doch mehr gereinigt, mehr geiſtig,
Und viel reiner ward alles, was naͤher am Throne des Schoͤpfers
Hoͤher hinauf ſich beſtrebte zum erſten Urſprunge; jedes
Jn der ihm eignen beſtimmten Sphaͤre der Wirkſamkeit, bis ſich
Endlich der Koͤrper zum Geiſt hinaufarbeitet, nach Grenzen
Abgemeſſen zu jeglicher Art. So entſproſſet der Wurzel,
Leichter, der gruͤne Stiel; von ihm, mehr luftreich, die Blaͤtter
Bis die helle vollkommne Blume balſamiſche Geiſter
Von ſich athmet. Die Blumen und Fruͤchte, die Nahrung des Menſchen
Werden feiner gemacht nach verſchiednen Graden, und ſteigen
Hoͤher, und werden verwandelt zu Lebensgeiſtern, zu thierſchen,
Und intellektualiſchen Geiſtern, und geben Empfindung,
Leben, Verſtand, und Einbildungskraft; woher denn die Seele
Jhre Vernunft empfaͤngt, (und die Vernunft iſt ihr Weſen)
Entweder anſchauend, oder auch ſchließend; die erſt’ iſt meiſtens
Unſer, und euer die letzte; nur bloß in Graden verſchieden,
Sonſt von einerley Art. Verwundre dich alſo nicht laͤnger,
Daß auch ich nicht verwerfe, was Gott als Gut euch beſtimmte,
Sondern es ſo wie ihr in mein Weſen verwandle. Vielleicht koͤmmt
Einmal die Zeit, da der Menſch mit den Engeln ſpeiſt, und die Nahrung
Nicht zu leicht fuͤr ſich findet; vielleicht daß die Laͤnge der Zeiten
Eure Koͤrper verbeſſert, und ſie, ganz Geiſt, ſich befluͤgelt
Jn die Luͤft’ erheben, aͤtheriſch wie wir, und bald hier ſich
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