Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760.Das verlohrne Paradies. 55Stand daneben Einer, gestaltet, und recht so beflügelt,Wie die Bewohner des Himmels, die oft uns erscheinen; es tropften Seine thauigten Locken Ambrosia [Spaltenumbruch] d); ebenfalls sah er Diesen Baum an, und sprach: Du schöne Pflanze, mit Früchten Ganz überladen, würdigt dich niemand, dich deiner Bürde 60Zu entledgen, und deine vortrefflichen Früchte zu kosten, Weder Gott, noch Mensch? Jst Erkänntniß so sehr denn verachtet? Oder verbietet es Neid, oder sonst was, von dir zu essen? Es verbiet es, wer will; doch mir soll niemand das Gute Länger noch vorenthalten, so du von selber mir anbeutst. 65Und weswegen wärst du denn hier gepflanzet? -- Jndem er Dieses gesprochen, zögert er nicht; mit verwegenen Händen Pflückt' er davon, und aß. Ein kalter Schauder ergriff mich Bey so frechen Worten, mit einer eben so frechen That bekräftigt. Doch er, als wie von Freuden berauschet, 70Sprach: O göttliche Frucht! zwar an sich selber so süß schon, Aber süßer noch, also gepflückt. Verboten hier, scheinst du Bloß für Götter bestimmt zu seyn; doch wärst du, aus Menschen Götter zu machen, geschickt. Und warum nicht Götter aus Menschen, Da das Gute nur mehr überfließt, je mehr es sich mittheilt, 75Und der Schöpfer dadurch nicht verringert, nur mehr noch geehrt wird. Komm denn, glückseelges Geschöpf, du schöne englische Eva, Koste d) So sagt Virgil von der Venus
Aen. l. 403. Ambrosiaeque comae diuinum ver- tice odorem [Spaltenumbruch] Spirauere -- Und ein Göttergeruch haucht von den ambrosischen Locken. Hume. Das verlohrne Paradies. 55Stand daneben Einer, geſtaltet, und recht ſo befluͤgelt,Wie die Bewohner des Himmels, die oft uns erſcheinen; es tropften Seine thauigten Locken Ambroſia [Spaltenumbruch] d); ebenfalls ſah er Dieſen Baum an, und ſprach: Du ſchoͤne Pflanze, mit Fruͤchten Ganz uͤberladen, wuͤrdigt dich niemand, dich deiner Buͤrde 60Zu entledgen, und deine vortrefflichen Fruͤchte zu koſten, Weder Gott, noch Menſch? Jſt Erkaͤnntniß ſo ſehr denn verachtet? Oder verbietet es Neid, oder ſonſt was, von dir zu eſſen? Es verbiet es, wer will; doch mir ſoll niemand das Gute Laͤnger noch vorenthalten, ſo du von ſelber mir anbeutſt. 65Und weswegen waͤrſt du denn hier gepflanzet? — Jndem er Dieſes geſprochen, zoͤgert er nicht; mit verwegenen Haͤnden Pfluͤckt’ er davon, und aß. Ein kalter Schauder ergriff mich Bey ſo frechen Worten, mit einer eben ſo frechen That bekraͤftigt. Doch er, als wie von Freuden berauſchet, 70Sprach: O goͤttliche Frucht! zwar an ſich ſelber ſo ſuͤß ſchon, Aber ſuͤßer noch, alſo gepfluͤckt. Verboten hier, ſcheinſt du Bloß fuͤr Goͤtter beſtimmt zu ſeyn; doch waͤrſt du, aus Menſchen Goͤtter zu machen, geſchickt. Und warum nicht Goͤtter aus Menſchen, Da das Gute nur mehr uͤberfließt, je mehr es ſich mittheilt, 75Und der Schoͤpfer dadurch nicht verringert, nur mehr noch geehrt wird. Komm denn, gluͤckſeelges Geſchoͤpf, du ſchoͤne engliſche Eva, Koſte d) So ſagt Virgil von der Venus
Aen. l. 403. Ambroſiaeque comae diuinum ver- tice odorem [Spaltenumbruch] Spirauere — Und ein Goͤttergeruch haucht von den ambroſiſchen Locken. Hume. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <lg n="3"> <pb facs="#f0208" n="186"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Das verlohrne Paradies.</hi> </fw><lb/> <l><note place="left">55</note>Stand daneben Einer, geſtaltet, und recht ſo befluͤgelt,</l><lb/> <l>Wie die Bewohner des Himmels, die oft uns erſcheinen; es tropften</l><lb/> <l>Seine thauigten Locken Ambroſia <cb/> <note place="foot" n="d)">So ſagt Virgil von der Venus<lb/><hi rendition="#aq">Aen. l. 403.<lb/> Ambroſiaeque comae diuinum ver-<lb/><hi rendition="#et">tice odorem</hi><lb/><cb/> Spirauere —</hi><lb/> Und ein Goͤttergeruch haucht von<lb/><hi rendition="#et">den ambroſiſchen Locken.<lb/><hi rendition="#fr">Hume.</hi></hi></note>; ebenfalls ſah er</l><lb/> <l>Dieſen Baum an, und ſprach: Du ſchoͤne Pflanze, mit Fruͤchten</l><lb/> <l>Ganz uͤberladen, wuͤrdigt dich niemand, dich deiner Buͤrde</l><lb/> <l><note place="left">60</note>Zu entledgen, und deine vortrefflichen Fruͤchte zu koſten,</l><lb/> <l>Weder Gott, noch Menſch? Jſt Erkaͤnntniß ſo ſehr denn verachtet?</l><lb/> <l>Oder verbietet es Neid, oder ſonſt was, von dir zu eſſen?</l><lb/> <l>Es verbiet es, wer will; doch mir ſoll niemand das Gute</l><lb/> <l>Laͤnger noch vorenthalten, ſo du von ſelber mir anbeutſt.</l><lb/> <l><note place="left">65</note>Und weswegen waͤrſt du denn hier gepflanzet? — Jndem er</l><lb/> <l>Dieſes geſprochen, zoͤgert er nicht; mit verwegenen Haͤnden</l><lb/> <l>Pfluͤckt’ er davon, und aß. Ein kalter Schauder ergriff mich</l><lb/> <l>Bey ſo frechen Worten, mit einer eben ſo frechen</l><lb/> <l>That bekraͤftigt. Doch er, als wie von Freuden berauſchet,</l><lb/> <l><note place="left">70</note>Sprach: O goͤttliche Frucht! zwar an ſich ſelber ſo ſuͤß ſchon,</l><lb/> <l>Aber ſuͤßer noch, alſo gepfluͤckt. Verboten hier, ſcheinſt du</l><lb/> <l>Bloß fuͤr Goͤtter beſtimmt zu ſeyn; doch waͤrſt du, aus Menſchen</l><lb/> <l>Goͤtter zu machen, geſchickt. Und warum nicht Goͤtter aus Menſchen,</l><lb/> <l>Da das Gute nur mehr uͤberfließt, je mehr es ſich mittheilt,</l><lb/> <l><note place="left">75</note>Und der Schoͤpfer dadurch nicht verringert, nur mehr noch geehrt wird.</l><lb/> <l>Komm denn, gluͤckſeelges Geſchoͤpf, du ſchoͤne engliſche <hi rendition="#fr">Eva,</hi></l><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Koſte</fw><lb/> </lg> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [186/0208]
Das verlohrne Paradies.
Stand daneben Einer, geſtaltet, und recht ſo befluͤgelt,
Wie die Bewohner des Himmels, die oft uns erſcheinen; es tropften
Seine thauigten Locken Ambroſia
d); ebenfalls ſah er
Dieſen Baum an, und ſprach: Du ſchoͤne Pflanze, mit Fruͤchten
Ganz uͤberladen, wuͤrdigt dich niemand, dich deiner Buͤrde
Zu entledgen, und deine vortrefflichen Fruͤchte zu koſten,
Weder Gott, noch Menſch? Jſt Erkaͤnntniß ſo ſehr denn verachtet?
Oder verbietet es Neid, oder ſonſt was, von dir zu eſſen?
Es verbiet es, wer will; doch mir ſoll niemand das Gute
Laͤnger noch vorenthalten, ſo du von ſelber mir anbeutſt.
Und weswegen waͤrſt du denn hier gepflanzet? — Jndem er
Dieſes geſprochen, zoͤgert er nicht; mit verwegenen Haͤnden
Pfluͤckt’ er davon, und aß. Ein kalter Schauder ergriff mich
Bey ſo frechen Worten, mit einer eben ſo frechen
That bekraͤftigt. Doch er, als wie von Freuden berauſchet,
Sprach: O goͤttliche Frucht! zwar an ſich ſelber ſo ſuͤß ſchon,
Aber ſuͤßer noch, alſo gepfluͤckt. Verboten hier, ſcheinſt du
Bloß fuͤr Goͤtter beſtimmt zu ſeyn; doch waͤrſt du, aus Menſchen
Goͤtter zu machen, geſchickt. Und warum nicht Goͤtter aus Menſchen,
Da das Gute nur mehr uͤberfließt, je mehr es ſich mittheilt,
Und der Schoͤpfer dadurch nicht verringert, nur mehr noch geehrt wird.
Komm denn, gluͤckſeelges Geſchoͤpf, du ſchoͤne engliſche Eva,
Koſte
d) So ſagt Virgil von der Venus
Aen. l. 403.
Ambroſiaeque comae diuinum ver-
tice odorem
Spirauere —
Und ein Goͤttergeruch haucht von
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Hume.
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