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Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760.

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Erster Gesang.
20Gegenwärtig im Anfang, da du die mächtigen Flügel
Ueber den weiten Abgrund, gleich einer brütenden Taube [Spaltenumbruch] i),
Ausgespreitet, und fruchtbar ihn machtest; -- erleuchte was finster
Jn mir ist, durch dein Licht, und alles was niedrig ist in mir,
Das erhebe, das stärke; damit ich die ewige Vorsicht,
25Nach dem erhabenen Jnnhalt des großen Gesanges, vertheidge,
Und die Wege Gottes den Menschen rechtfertigen möge k).

Sage zuerst, denn der Himmel hält deinem Blick nichts verborgen,
Noch der Hölle Tiefen l); entdecke zuerst mir die Ursach,
Die im glücklichen Zustand, (so hoch vom Himmel beseligt!)
30Unsere Stammältern trieb, von ihres Schöpfers Befehlen
Abzuweichen, und seinem Willen entgegen zu handeln,
Welcher nur Eins verbot, und sonst sie Herren der Welt ließ?
Sage,
i) Eine Anspielung auf 1 B. Mos. I, 2.
Der Geist Gottes schwebete auf
dem Wasser.
Das Wort schweben
in der Uebersetzung, heißt eigentlich
nach der Grundsprache brüten, wie ein
Vogel über seinen Eyern. Er nimmt
lieber die Taube, als einen andern Vo-
gel, weil die Herabkunft des heiligen Gei-
stes mit einer Taube verglichen wird:
Luc. III. 22. Da Milton die Schrift
in der Grundsprache las, so sind seine
Ausdrücke und Bilder öfter aus ihr
entlehnt, als aus der Uebersetzung. N.
k) Dieses geschieht durch das ganze
Gedicht, besonders in den Reden zwi-
schen Gott dem Vater und Sohn. N.
l) Der Poet schreibt der Muse eine
Art von Allwissenheit zu, und das mit
Recht, weil sie dadurch fähig gemacht
[Spaltenumbruch] wird, von Dingen zu reden, die sie an-
ders nicht wissen konnte. So sagt Ho-
mer Iliad. II, 485.
[fremdsprachliches Material - 1 Zeile fehlt] Denn ihr seyd Göttinnen, seyd zuge-
gen, und wisset alles.
Und Virgil Aen. VII, 645.
Et meministis enim, Divae, et me-
morare potestis.

Denn ihr erinnert es euch, Göttin-
nen, und könnt es erzählen.
Da Miltons Muse der heilige Geist ist,
so mußte sie nothwendig allwissend seyn.
Er erwähnt hier sehr geschickt des Him-
mels
und der Hölle, da der Schauplatz
von einem so großen Theile des Gedichts,
bald im Himmel und bald in der Hölle
ist. N.
A 3

Erſter Geſang.
20Gegenwaͤrtig im Anfang, da du die maͤchtigen Fluͤgel
Ueber den weiten Abgrund, gleich einer bruͤtenden Taube [Spaltenumbruch] i),
Ausgeſpreitet, und fruchtbar ihn machteſt; — erleuchte was finſter
Jn mir iſt, durch dein Licht, und alles was niedrig iſt in mir,
Das erhebe, das ſtaͤrke; damit ich die ewige Vorſicht,
25Nach dem erhabenen Jnnhalt des großen Geſanges, vertheidge,
Und die Wege Gottes den Menſchen rechtfertigen moͤge k).

Sage zuerſt, denn der Himmel haͤlt deinem Blick nichts verborgen,
Noch der Hoͤlle Tiefen l); entdecke zuerſt mir die Urſach,
Die im gluͤcklichen Zuſtand, (ſo hoch vom Himmel beſeligt!)
30Unſere Stammaͤltern trieb, von ihres Schoͤpfers Befehlen
Abzuweichen, und ſeinem Willen entgegen zu handeln,
Welcher nur Eins verbot, und ſonſt ſie Herren der Welt ließ?
Sage,
i) Eine Anſpielung auf 1 B. Moſ. I, 2.
Der Geiſt Gottes ſchwebete auf
dem Waſſer.
Das Wort ſchweben
in der Ueberſetzung, heißt eigentlich
nach der Grundſprache brüten, wie ein
Vogel uͤber ſeinen Eyern. Er nimmt
lieber die Taube, als einen andern Vo-
gel, weil die Herabkunft des heiligen Gei-
ſtes mit einer Taube verglichen wird:
Luc. III. 22. Da Milton die Schrift
in der Grundſprache las, ſo ſind ſeine
Ausdruͤcke und Bilder oͤfter aus ihr
entlehnt, als aus der Ueberſetzung. N.
k) Dieſes geſchieht durch das ganze
Gedicht, beſonders in den Reden zwi-
ſchen Gott dem Vater und Sohn. N.
l) Der Poet ſchreibt der Muſe eine
Art von Allwiſſenheit zu, und das mit
Recht, weil ſie dadurch faͤhig gemacht
[Spaltenumbruch] wird, von Dingen zu reden, die ſie an-
ders nicht wiſſen konnte. So ſagt Ho-
mer Iliad. II, 485.
[fremdsprachliches Material – 1 Zeile fehlt] Denn ihr ſeyd Goͤttinnen, ſeyd zuge-
gen, und wiſſet alles.
Und Virgil Aen. VII, 645.
Et meminiſtis enim, Divae, et me-
morare poteſtis.

Denn ihr erinnert es euch, Goͤttin-
nen, und koͤnnt es erzaͤhlen.
Da Miltons Muſe der heilige Geiſt iſt,
ſo mußte ſie nothwendig allwiſſend ſeyn.
Er erwaͤhnt hier ſehr geſchickt des Him-
mels
und der Hölle, da der Schauplatz
von einem ſo großen Theile des Gedichts,
bald im Himmel und bald in der Hoͤlle
iſt. N.
A 3
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[5/0019] Erſter Geſang. Gegenwaͤrtig im Anfang, da du die maͤchtigen Fluͤgel Ueber den weiten Abgrund, gleich einer bruͤtenden Taube i), Ausgeſpreitet, und fruchtbar ihn machteſt; — erleuchte was finſter Jn mir iſt, durch dein Licht, und alles was niedrig iſt in mir, Das erhebe, das ſtaͤrke; damit ich die ewige Vorſicht, Nach dem erhabenen Jnnhalt des großen Geſanges, vertheidge, Und die Wege Gottes den Menſchen rechtfertigen moͤge k). Sage zuerſt, denn der Himmel haͤlt deinem Blick nichts verborgen, Noch der Hoͤlle Tiefen l); entdecke zuerſt mir die Urſach, Die im gluͤcklichen Zuſtand, (ſo hoch vom Himmel beſeligt!) Unſere Stammaͤltern trieb, von ihres Schoͤpfers Befehlen Abzuweichen, und ſeinem Willen entgegen zu handeln, Welcher nur Eins verbot, und ſonſt ſie Herren der Welt ließ? Sage, i) Eine Anſpielung auf 1 B. Moſ. I, 2. Der Geiſt Gottes ſchwebete auf dem Waſſer. Das Wort ſchweben in der Ueberſetzung, heißt eigentlich nach der Grundſprache brüten, wie ein Vogel uͤber ſeinen Eyern. Er nimmt lieber die Taube, als einen andern Vo- gel, weil die Herabkunft des heiligen Gei- ſtes mit einer Taube verglichen wird: Luc. III. 22. Da Milton die Schrift in der Grundſprache las, ſo ſind ſeine Ausdruͤcke und Bilder oͤfter aus ihr entlehnt, als aus der Ueberſetzung. N. k) Dieſes geſchieht durch das ganze Gedicht, beſonders in den Reden zwi- ſchen Gott dem Vater und Sohn. N. l) Der Poet ſchreibt der Muſe eine Art von Allwiſſenheit zu, und das mit Recht, weil ſie dadurch faͤhig gemacht wird, von Dingen zu reden, die ſie an- ders nicht wiſſen konnte. So ſagt Ho- mer Iliad. II, 485. _ Denn ihr ſeyd Goͤttinnen, ſeyd zuge- gen, und wiſſet alles. Und Virgil Aen. VII, 645. Et meminiſtis enim, Divae, et me- morare poteſtis. Denn ihr erinnert es euch, Goͤttin- nen, und koͤnnt es erzaͤhlen. Da Miltons Muſe der heilige Geiſt iſt, ſo mußte ſie nothwendig allwiſſend ſeyn. Er erwaͤhnt hier ſehr geſchickt des Him- mels und der Hölle, da der Schauplatz von einem ſo großen Theile des Gedichts, bald im Himmel und bald in der Hoͤlle iſt. N. A 3

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Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760/19>, abgerufen am 24.11.2024.