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Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760.

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Dritter Gesang.
Unaussprechliche Liebe finden? und welcher von euch will
Sterblich werden, das Todesverbrechen des Menschen zu büßen?
205Wer will von den Gerechten den Ungerechten erretten?
Wohnt in allen Himmeln solch eine zärtliche Liebe?

Also fragt er; jedoch stumm stunden die Schaaren des Himmels;
Tiefes Stillschweigen herrschte, und kein Beschützer, kein Mittler,
Für den Menschen, erschien; noch weniger jemand, ders wagte,
210Auf sein eigenes Haupt das Todesverbrechen zu nehmen,
Oder das Lösegeld, welches gesetzt ward. -- Auf ewig wär' itzo
Das Geschlechte der Menschen verlohren gegangen; verurtheilt
Durch das strengeste Recht zur Höll', und dem Tode; wofern nicht
Gottes Sohn, in welchem die Fülle der göttlichen Liebe
215Wohnte, mit diesen Worten die theure Vermittlung erneuet:
Vater, es ist dein huldreiches Wort ergangen, der Mensch soll
Gnade finden; und sollte die Gnade die Mittel nicht finden?
Sie, von deinen beflügelten Boten die schnellste, die alle
Deine Geschöpfe besucht; zu allen kömmt, ungerufen,
220Ungebeten, und ungesucht? Welch Glück für den Menschen,
Daß sie so kömmt. Er kann selbst ihre Hülfe nicht suchen,
Da er in Sünden verlohren, und todt ist; Er kann für sich selber
Keine Bürgschaft stellen; kann für sich selber kein Opfer
Finden, so tief verschuldet, so gänzlich verlohren! -- So sieh dann
225Mich! Nimm mich für ihn an! Jch biete Leben für Leben!
Nur auf mich ergieße dein Zorn sich; und sieh mich als Mensch an!
Jhn
O 3

Dritter Geſang.
Unausſprechliche Liebe finden? und welcher von euch will
Sterblich werden, das Todesverbrechen des Menſchen zu buͤßen?
205Wer will von den Gerechten den Ungerechten erretten?
Wohnt in allen Himmeln ſolch eine zaͤrtliche Liebe?

Alſo fragt er; jedoch ſtumm ſtunden die Schaaren des Himmels;
Tiefes Stillſchweigen herrſchte, und kein Beſchuͤtzer, kein Mittler,
Fuͤr den Menſchen, erſchien; noch weniger jemand, ders wagte,
210Auf ſein eigenes Haupt das Todesverbrechen zu nehmen,
Oder das Loͤſegeld, welches geſetzt ward. — Auf ewig waͤr’ itzo
Das Geſchlechte der Menſchen verlohren gegangen; verurtheilt
Durch das ſtrengeſte Recht zur Hoͤll’, und dem Tode; wofern nicht
Gottes Sohn, in welchem die Fuͤlle der goͤttlichen Liebe
215Wohnte, mit dieſen Worten die theure Vermittlung erneuet:
Vater, es iſt dein huldreiches Wort ergangen, der Menſch ſoll
Gnade finden; und ſollte die Gnade die Mittel nicht finden?
Sie, von deinen befluͤgelten Boten die ſchnellſte, die alle
Deine Geſchoͤpfe beſucht; zu allen koͤmmt, ungerufen,
220Ungebeten, und ungeſucht? Welch Gluͤck fuͤr den Menſchen,
Daß ſie ſo koͤmmt. Er kann ſelbſt ihre Huͤlfe nicht ſuchen,
Da er in Suͤnden verlohren, und todt iſt; Er kann fuͤr ſich ſelber
Keine Buͤrgſchaft ſtellen; kann fuͤr ſich ſelber kein Opfer
Finden, ſo tief verſchuldet, ſo gaͤnzlich verlohren! — So ſieh dann
225Mich! Nimm mich fuͤr ihn an! Jch biete Leben fuͤr Leben!
Nur auf mich ergieße dein Zorn ſich; und ſieh mich als Menſch an!
Jhn
O 3
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[109/0127] Dritter Geſang. Unausſprechliche Liebe finden? und welcher von euch will Sterblich werden, das Todesverbrechen des Menſchen zu buͤßen? Wer will von den Gerechten den Ungerechten erretten? Wohnt in allen Himmeln ſolch eine zaͤrtliche Liebe? Alſo fragt er; jedoch ſtumm ſtunden die Schaaren des Himmels; Tiefes Stillſchweigen herrſchte, und kein Beſchuͤtzer, kein Mittler, Fuͤr den Menſchen, erſchien; noch weniger jemand, ders wagte, Auf ſein eigenes Haupt das Todesverbrechen zu nehmen, Oder das Loͤſegeld, welches geſetzt ward. — Auf ewig waͤr’ itzo Das Geſchlechte der Menſchen verlohren gegangen; verurtheilt Durch das ſtrengeſte Recht zur Hoͤll’, und dem Tode; wofern nicht Gottes Sohn, in welchem die Fuͤlle der goͤttlichen Liebe Wohnte, mit dieſen Worten die theure Vermittlung erneuet: Vater, es iſt dein huldreiches Wort ergangen, der Menſch ſoll Gnade finden; und ſollte die Gnade die Mittel nicht finden? Sie, von deinen befluͤgelten Boten die ſchnellſte, die alle Deine Geſchoͤpfe beſucht; zu allen koͤmmt, ungerufen, Ungebeten, und ungeſucht? Welch Gluͤck fuͤr den Menſchen, Daß ſie ſo koͤmmt. Er kann ſelbſt ihre Huͤlfe nicht ſuchen, Da er in Suͤnden verlohren, und todt iſt; Er kann fuͤr ſich ſelber Keine Buͤrgſchaft ſtellen; kann fuͤr ſich ſelber kein Opfer Finden, ſo tief verſchuldet, ſo gaͤnzlich verlohren! — So ſieh dann Mich! Nimm mich fuͤr ihn an! Jch biete Leben fuͤr Leben! Nur auf mich ergieße dein Zorn ſich; und ſieh mich als Menſch an! Jhn O 3

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Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760/127>, abgerufen am 22.11.2024.