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Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760.

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Dritter Gesang.
Oder durch etwas, so ich unhintertreiblich vorhersah.
120Sie sind selber von allem die Urheber, was sie erkennen,
Was sie erwählen; so schuf ich sie frey; frey müssen sie bleiben,
Bis sie selber sich fesseln. Sonst müßt ich ihr Wesen verändern,
Und den erhabnen, ewgen, unwidertreiblichen Rathschluß
Wiederrufen, der frey sie erklärte; sie selber beschließen
125Jhren Fall. Es fielen die ersten durch eigenen Antrieb,
Und verführten sich selber, verderbten sich selber. Der Mensch fällt
Durch die ersten betrogen. Der Mensch soll dieserhalb Gnade
Finden, die andern nicht. So wird mein Ruhm in dem Himmel,
Und auf Erden, an Gnade sowohl, als Gerechtigkeit, leuchten;
130Aber zuerst und zuletzt soll die Gnad' am hellesten scheinen.

Als der Allmächtge so sprach, erfüllten ambrosische Düfte [Spaltenumbruch] k)
Alle Himmel. Empfindung von unaussprechlichen Freuden
Goß sich von neuem ins Herz der erwählten seeligen Geister.
Ueber alle Vergleichung verherrlicht erschien der Sohn Gottes;
135Jn ihm stralte sein ganzer Vater, der wesentlich in ihm l)
Aus-
k) Homer und seine Nachfolger,
wenn sie die Gottheit redend einfüh-
ren, mahlen uns eine schreckliche furcht-
bare Scene. Die Himmel, die Mee-
re und die Erde zittern etc.
Dies
war den natürlichen Begriffen, die sie
von der Gottheit hatten, gemäß genug.
Dies würde sich aber nicht so gut zu
der sanften, gnädigen und wohlthäti-
gen Jdee geschickt haben, die wir nach
der christlichen Religion von der Gott-
[Spaltenumbruch] heit haben; deshalb läßt unser Dich-
ter mit vieler Einsicht die Worte des
Allmächtigen Wohlgeruch und Ver-
gnügen ausbreiten. Jm Ariosto fin-
det man eine Stelle in demselben Ge-
schmack, C. 29. St. 30. Thyer.
l) Nach Hebr. I. 3. Wo der Sohn
Gottes genennet wird: der Glanz
seiner Herrlichkeit,
und das Eben-
bild seines Wesens etc. Hume.
O

Dritter Geſang.
Oder durch etwas, ſo ich unhintertreiblich vorherſah.
120Sie ſind ſelber von allem die Urheber, was ſie erkennen,
Was ſie erwaͤhlen; ſo ſchuf ich ſie frey; frey muͤſſen ſie bleiben,
Bis ſie ſelber ſich feſſeln. Sonſt muͤßt ich ihr Weſen veraͤndern,
Und den erhabnen, ewgen, unwidertreiblichen Rathſchluß
Wiederrufen, der frey ſie erklaͤrte; ſie ſelber beſchließen
125Jhren Fall. Es fielen die erſten durch eigenen Antrieb,
Und verfuͤhrten ſich ſelber, verderbten ſich ſelber. Der Menſch faͤllt
Durch die erſten betrogen. Der Menſch ſoll dieſerhalb Gnade
Finden, die andern nicht. So wird mein Ruhm in dem Himmel,
Und auf Erden, an Gnade ſowohl, als Gerechtigkeit, leuchten;
130Aber zuerſt und zuletzt ſoll die Gnad’ am helleſten ſcheinen.

Als der Allmaͤchtge ſo ſprach, erfuͤllten ambroſiſche Duͤfte [Spaltenumbruch] k)
Alle Himmel. Empfindung von unausſprechlichen Freuden
Goß ſich von neuem ins Herz der erwaͤhlten ſeeligen Geiſter.
Ueber alle Vergleichung verherrlicht erſchien der Sohn Gottes;
135Jn ihm ſtralte ſein ganzer Vater, der weſentlich in ihm l)
Aus-
k) Homer und ſeine Nachfolger,
wenn ſie die Gottheit redend einfuͤh-
ren, mahlen uns eine ſchreckliche furcht-
bare Scene. Die Himmel, die Mee-
re und die Erde zittern ꝛc.
Dies
war den natuͤrlichen Begriffen, die ſie
von der Gottheit hatten, gemaͤß genug.
Dies wuͤrde ſich aber nicht ſo gut zu
der ſanften, gnaͤdigen und wohlthaͤti-
gen Jdee geſchickt haben, die wir nach
der chriſtlichen Religion von der Gott-
[Spaltenumbruch] heit haben; deshalb laͤßt unſer Dich-
ter mit vieler Einſicht die Worte des
Allmaͤchtigen Wohlgeruch und Ver-
gnuͤgen ausbreiten. Jm Arioſto fin-
det man eine Stelle in demſelben Ge-
ſchmack, C. 29. St. 30. Thyer.
l) Nach Hebr. I. 3. Wo der Sohn
Gottes genennet wird: der Glanz
ſeiner Herrlichkeit,
und das Eben-
bild ſeines Weſens ꝛc. Hume.
O
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[105/0123] Dritter Geſang. Oder durch etwas, ſo ich unhintertreiblich vorherſah. Sie ſind ſelber von allem die Urheber, was ſie erkennen, Was ſie erwaͤhlen; ſo ſchuf ich ſie frey; frey muͤſſen ſie bleiben, Bis ſie ſelber ſich feſſeln. Sonſt muͤßt ich ihr Weſen veraͤndern, Und den erhabnen, ewgen, unwidertreiblichen Rathſchluß Wiederrufen, der frey ſie erklaͤrte; ſie ſelber beſchließen Jhren Fall. Es fielen die erſten durch eigenen Antrieb, Und verfuͤhrten ſich ſelber, verderbten ſich ſelber. Der Menſch faͤllt Durch die erſten betrogen. Der Menſch ſoll dieſerhalb Gnade Finden, die andern nicht. So wird mein Ruhm in dem Himmel, Und auf Erden, an Gnade ſowohl, als Gerechtigkeit, leuchten; Aber zuerſt und zuletzt ſoll die Gnad’ am helleſten ſcheinen. Als der Allmaͤchtge ſo ſprach, erfuͤllten ambroſiſche Duͤfte k) Alle Himmel. Empfindung von unausſprechlichen Freuden Goß ſich von neuem ins Herz der erwaͤhlten ſeeligen Geiſter. Ueber alle Vergleichung verherrlicht erſchien der Sohn Gottes; Jn ihm ſtralte ſein ganzer Vater, der weſentlich in ihm l) Aus- k) Homer und ſeine Nachfolger, wenn ſie die Gottheit redend einfuͤh- ren, mahlen uns eine ſchreckliche furcht- bare Scene. Die Himmel, die Mee- re und die Erde zittern ꝛc. Dies war den natuͤrlichen Begriffen, die ſie von der Gottheit hatten, gemaͤß genug. Dies wuͤrde ſich aber nicht ſo gut zu der ſanften, gnaͤdigen und wohlthaͤti- gen Jdee geſchickt haben, die wir nach der chriſtlichen Religion von der Gott- heit haben; deshalb laͤßt unſer Dich- ter mit vieler Einſicht die Worte des Allmaͤchtigen Wohlgeruch und Ver- gnuͤgen ausbreiten. Jm Arioſto fin- det man eine Stelle in demſelben Ge- ſchmack, C. 29. St. 30. Thyer. l) Nach Hebr. I. 3. Wo der Sohn Gottes genennet wird: der Glanz ſeiner Herrlichkeit, und das Eben- bild ſeines Weſens ꝛc. Hume. O

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Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760/123>, abgerufen am 22.11.2024.