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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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wenn er seinen Sohn Gott, das heist, nach den
angenommnen irrigen Begriffen, dem Kloster schenk-
te; aber er konnte sich doch auch des, nur zu rich-
tigen Gedankens nicht entschlagen, daß sein Sohn
nicht fürs Kloster gebohren, und daß sein jetziger
Entschluß nur eine Art von Betäubung sey, die
eben so bald wieder vorüber gehen könne.

Doch wenn der Aberglaube mit der Vernunft
ringt, so siegt dieser mehrentheils, weil er immer
sehr furchtsam und ängstlich macht. Der gleiche
Traum von seiner Frau, den Siegwart mit sei-
nem Sohn gehabt hatte, und den er für ein gött-
liches Werk hielt; das schon lang anhaltende Zureden
seines Freundes Anton; das Dringen der Mönche,
dem er nicht ausweichen konnte, und die eigne Neigung
seines Sohnes, dessen freyer Wahl er alles über-
ließ, beruhigten ihn wieder von der andern Seite,
und befestigten ihn in dem Entschlusse, seinen Sohn
der Welt absagen zu lassen. Er wird einst unter
Antons Anführung ein frommer Mann werden,
und mehr kann ich ihm nicht wünschen.

Auch der Gedanke gab seinem Entschluß noch
einiges Gewicht, daß er dann mehr für das Wohl
seiner beyden andern Söhne und für die Versor-
gung seiner beyden Töchter thun könne, weil er auf



wenn er ſeinen Sohn Gott, das heiſt, nach den
angenommnen irrigen Begriffen, dem Kloſter ſchenk-
te; aber er konnte ſich doch auch des, nur zu rich-
tigen Gedankens nicht entſchlagen, daß ſein Sohn
nicht fuͤrs Kloſter gebohren, und daß ſein jetziger
Entſchluß nur eine Art von Betaͤubung ſey, die
eben ſo bald wieder voruͤber gehen koͤnne.

Doch wenn der Aberglaube mit der Vernunft
ringt, ſo ſiegt dieſer mehrentheils, weil er immer
ſehr furchtſam und aͤngſtlich macht. Der gleiche
Traum von ſeiner Frau, den Siegwart mit ſei-
nem Sohn gehabt hatte, und den er fuͤr ein goͤtt-
liches Werk hielt; das ſchon lang anhaltende Zureden
ſeines Freundes Anton; das Dringen der Moͤnche,
dem er nicht ausweichen konnte, und die eigne Neigung
ſeines Sohnes, deſſen freyer Wahl er alles uͤber-
ließ, beruhigten ihn wieder von der andern Seite,
und befeſtigten ihn in dem Entſchluſſe, ſeinen Sohn
der Welt abſagen zu laſſen. Er wird einſt unter
Antons Anfuͤhrung ein frommer Mann werden,
und mehr kann ich ihm nicht wuͤnſchen.

Auch der Gedanke gab ſeinem Entſchluß noch
einiges Gewicht, daß er dann mehr fuͤr das Wohl
ſeiner beyden andern Soͤhne und fuͤr die Verſor-
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[42/0046] wenn er ſeinen Sohn Gott, das heiſt, nach den angenommnen irrigen Begriffen, dem Kloſter ſchenk- te; aber er konnte ſich doch auch des, nur zu rich- tigen Gedankens nicht entſchlagen, daß ſein Sohn nicht fuͤrs Kloſter gebohren, und daß ſein jetziger Entſchluß nur eine Art von Betaͤubung ſey, die eben ſo bald wieder voruͤber gehen koͤnne. Doch wenn der Aberglaube mit der Vernunft ringt, ſo ſiegt dieſer mehrentheils, weil er immer ſehr furchtſam und aͤngſtlich macht. Der gleiche Traum von ſeiner Frau, den Siegwart mit ſei- nem Sohn gehabt hatte, und den er fuͤr ein goͤtt- liches Werk hielt; das ſchon lang anhaltende Zureden ſeines Freundes Anton; das Dringen der Moͤnche, dem er nicht ausweichen konnte, und die eigne Neigung ſeines Sohnes, deſſen freyer Wahl er alles uͤber- ließ, beruhigten ihn wieder von der andern Seite, und befeſtigten ihn in dem Entſchluſſe, ſeinen Sohn der Welt abſagen zu laſſen. Er wird einſt unter Antons Anfuͤhrung ein frommer Mann werden, und mehr kann ich ihm nicht wuͤnſchen. Auch der Gedanke gab ſeinem Entſchluß noch einiges Gewicht, daß er dann mehr fuͤr das Wohl ſeiner beyden andern Soͤhne und fuͤr die Verſor- gung ſeiner beyden Toͤchter thun koͤnne, weil er auf

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/46>, abgerufen am 24.04.2024.