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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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schiedenes, das Sie mir dann gelegentlich beant-
worten. Aber ich weis freylich nicht, ob Sie es
der Mühe wehrt halten, ein neugieriges Land-
mädchen zu belehren? Am Ende machte sie ihm
eine Empfehlung von ihrem Vater, und lud ihn
in seinem und in ihrem Namen sehr höflich ein,
sie auf die künftigen Ferien mit ihrem Bruder zu
besuchen. Kronhelm war über diesen Brief ganz
entzückt; Sein Herz schlug ihm, als er ihn las,
und es stiegen Gefühle in ihm auf, die er sich sel-
ber nicht erklären konnte. Unserm Siegwart
hatte sie folgendes geschrieben:

Bester Bruder!

Gottlob, daß ich den Messias zu lesen an-
gefangen habe; und ärgern muß ich mich, daß es
nicht schon weit eher geschehen ist! Das ist ein
heiliges göttliches Buch, und Klopstok, der's ge-
macht hat, muß noch göttlicher und heiliger
seyn. Nun will ich, gern alle Bücher weggeben,
die Bibel ausgenommen, wenn ich nur den Mes-
sias
habe. Du kannsts nicht glauben, Bruder,
was für einen Schatz der Andacht, der Empfin-
dung, des Grossen und Göttlichen dieses Buch
in sich enthält; und es ist noch lang nicht zur



ſchiedenes, das Sie mir dann gelegentlich beant-
worten. Aber ich weis freylich nicht, ob Sie es
der Muͤhe wehrt halten, ein neugieriges Land-
maͤdchen zu belehren? Am Ende machte ſie ihm
eine Empfehlung von ihrem Vater, und lud ihn
in ſeinem und in ihrem Namen ſehr hoͤflich ein,
ſie auf die kuͤnftigen Ferien mit ihrem Bruder zu
beſuchen. Kronhelm war uͤber dieſen Brief ganz
entzuͤckt; Sein Herz ſchlug ihm, als er ihn las,
und es ſtiegen Gefuͤhle in ihm auf, die er ſich ſel-
ber nicht erklaͤren konnte. Unſerm Siegwart
hatte ſie folgendes geſchrieben:

Beſter Bruder!

Gottlob, daß ich den Meſſias zu leſen an-
gefangen habe; und aͤrgern muß ich mich, daß es
nicht ſchon weit eher geſchehen iſt! Das iſt ein
heiliges goͤttliches Buch, und Klopſtok, der’s ge-
macht hat, muß noch goͤttlicher und heiliger
ſeyn. Nun will ich, gern alle Buͤcher weggeben,
die Bibel ausgenommen, wenn ich nur den Meſ-
ſias
habe. Du kannſts nicht glauben, Bruder,
was fuͤr einen Schatz der Andacht, der Empfin-
dung, des Groſſen und Goͤttlichen dieſes Buch
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[323/0327] ſchiedenes, das Sie mir dann gelegentlich beant- worten. Aber ich weis freylich nicht, ob Sie es der Muͤhe wehrt halten, ein neugieriges Land- maͤdchen zu belehren? Am Ende machte ſie ihm eine Empfehlung von ihrem Vater, und lud ihn in ſeinem und in ihrem Namen ſehr hoͤflich ein, ſie auf die kuͤnftigen Ferien mit ihrem Bruder zu beſuchen. Kronhelm war uͤber dieſen Brief ganz entzuͤckt; Sein Herz ſchlug ihm, als er ihn las, und es ſtiegen Gefuͤhle in ihm auf, die er ſich ſel- ber nicht erklaͤren konnte. Unſerm Siegwart hatte ſie folgendes geſchrieben: Beſter Bruder! Gottlob, daß ich den Meſſias zu leſen an- gefangen habe; und aͤrgern muß ich mich, daß es nicht ſchon weit eher geſchehen iſt! Das iſt ein heiliges goͤttliches Buch, und Klopſtok, der’s ge- macht hat, muß noch goͤttlicher und heiliger ſeyn. Nun will ich, gern alle Buͤcher weggeben, die Bibel ausgenommen, wenn ich nur den Meſ- ſias habe. Du kannſts nicht glauben, Bruder, was fuͤr einen Schatz der Andacht, der Empfin- dung, des Groſſen und Goͤttlichen dieſes Buch in ſich enthaͤlt; und es iſt noch lang nicht zur

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/327>, abgerufen am 22.11.2024.