Wenn dirs recht ist, Siegwart, so gehen wir zu seinem Grabe; der Kirchhof liegt an der Seite dort.
Sie stunden auf, und giengen schweigend, beym Gesang der Nachtigall, ans Grab. -- Hier ists, sagte Anton, ich hab ihm einen Rosenstrauch drauf gepflanzt; übers Jahr soll er Rosen tra- gen. Hier nebenan werd ich einst liegen.
Ja, lieber Freund, so müssen wir sterben, wenn wir glücklich sterben wollen; aber auch so leben! -- Er kam erst auf den rechten Weg, als er ins Kloster gieng. Vorher hat er wenig an Gott gedacht. Er sagte hundertmal: dem Kloster hab ich alles zu verdanken. Jch denk immer, Sieg- wart, du schenktest Gott auch einen Sohn. Wie wärs, wenn dein Xaver zu uns gienge? Nicht wahr, lieber Xaver, Er gienge wol gern ins Klo- ster, und sagte der Welt ab, um hier in Fried und Ruhe Gott zu dienen?
Der junge Siegwart, dessen Seele voll von den Bildern dieses Abends, und der reizenden Be- schreibung war, die Anton von dem Klosterleben gemacht hatte, wuste nicht, wie ihm zu Muthe war; sein Herz schlug, und er sagte willig Ja, weil der Wunsch schon mehrmals diesen Abend in
Wenn dirs recht iſt, Siegwart, ſo gehen wir zu ſeinem Grabe; der Kirchhof liegt an der Seite dort.
Sie ſtunden auf, und giengen ſchweigend, beym Geſang der Nachtigall, ans Grab. — Hier iſts, ſagte Anton, ich hab ihm einen Roſenſtrauch drauf gepflanzt; uͤbers Jahr ſoll er Roſen tra- gen. Hier nebenan werd ich einſt liegen.
Ja, lieber Freund, ſo muͤſſen wir ſterben, wenn wir gluͤcklich ſterben wollen; aber auch ſo leben! — Er kam erſt auf den rechten Weg, als er ins Kloſter gieng. Vorher hat er wenig an Gott gedacht. Er ſagte hundertmal: dem Kloſter hab ich alles zu verdanken. Jch denk immer, Sieg- wart, du ſchenkteſt Gott auch einen Sohn. Wie waͤrs, wenn dein Xaver zu uns gienge? Nicht wahr, lieber Xaver, Er gienge wol gern ins Klo- ſter, und ſagte der Welt ab, um hier in Fried und Ruhe Gott zu dienen?
Der junge Siegwart, deſſen Seele voll von den Bildern dieſes Abends, und der reizenden Be- ſchreibung war, die Anton von dem Kloſterleben gemacht hatte, wuſte nicht, wie ihm zu Muthe war; ſein Herz ſchlug, und er ſagte willig Ja, weil der Wunſch ſchon mehrmals dieſen Abend in
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0029"n="25"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Wenn dirs recht iſt, Siegwart, ſo gehen<lb/>
wir zu ſeinem Grabe; der Kirchhof liegt an der<lb/>
Seite dort.</p><lb/><p>Sie ſtunden auf, und giengen ſchweigend,<lb/>
beym Geſang der Nachtigall, ans Grab. — Hier<lb/>
iſts, ſagte <hirendition="#fr">Anton,</hi> ich hab ihm einen Roſenſtrauch<lb/>
drauf gepflanzt; uͤbers Jahr ſoll er Roſen tra-<lb/>
gen. Hier nebenan werd ich einſt liegen.</p><lb/><p>Ja, lieber Freund, ſo muͤſſen wir ſterben,<lb/>
wenn wir gluͤcklich ſterben wollen; aber auch ſo<lb/>
leben! — Er kam erſt auf den rechten Weg, als<lb/>
er ins Kloſter gieng. Vorher hat er wenig an<lb/>
Gott gedacht. Er ſagte hundertmal: dem Kloſter<lb/>
hab ich alles zu verdanken. Jch denk immer, Sieg-<lb/>
wart, du ſchenkteſt Gott auch einen Sohn. Wie<lb/>
waͤrs, wenn dein <hirendition="#fr">Xaver</hi> zu uns gienge? Nicht<lb/>
wahr, lieber <hirendition="#fr">Xaver,</hi> Er gienge wol gern ins Klo-<lb/>ſter, und ſagte der Welt ab, um hier in Fried<lb/>
und Ruhe Gott zu dienen?</p><lb/><p>Der junge Siegwart, deſſen Seele voll von<lb/>
den Bildern dieſes Abends, und der reizenden Be-<lb/>ſchreibung war, die <hirendition="#fr">Anton</hi> von dem Kloſterleben<lb/>
gemacht hatte, wuſte nicht, wie ihm zu Muthe<lb/>
war; ſein Herz ſchlug, und er ſagte willig Ja,<lb/>
weil der Wunſch ſchon mehrmals dieſen Abend in<lb/></p></div></body></text></TEI>
[25/0029]
Wenn dirs recht iſt, Siegwart, ſo gehen
wir zu ſeinem Grabe; der Kirchhof liegt an der
Seite dort.
Sie ſtunden auf, und giengen ſchweigend,
beym Geſang der Nachtigall, ans Grab. — Hier
iſts, ſagte Anton, ich hab ihm einen Roſenſtrauch
drauf gepflanzt; uͤbers Jahr ſoll er Roſen tra-
gen. Hier nebenan werd ich einſt liegen.
Ja, lieber Freund, ſo muͤſſen wir ſterben,
wenn wir gluͤcklich ſterben wollen; aber auch ſo
leben! — Er kam erſt auf den rechten Weg, als
er ins Kloſter gieng. Vorher hat er wenig an
Gott gedacht. Er ſagte hundertmal: dem Kloſter
hab ich alles zu verdanken. Jch denk immer, Sieg-
wart, du ſchenkteſt Gott auch einen Sohn. Wie
waͤrs, wenn dein Xaver zu uns gienge? Nicht
wahr, lieber Xaver, Er gienge wol gern ins Klo-
ſter, und ſagte der Welt ab, um hier in Fried
und Ruhe Gott zu dienen?
Der junge Siegwart, deſſen Seele voll von
den Bildern dieſes Abends, und der reizenden Be-
ſchreibung war, die Anton von dem Kloſterleben
gemacht hatte, wuſte nicht, wie ihm zu Muthe
war; ſein Herz ſchlug, und er ſagte willig Ja,
weil der Wunſch ſchon mehrmals dieſen Abend in
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/29>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.