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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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Wenn dirs recht ist, Siegwart, so gehen
wir zu seinem Grabe; der Kirchhof liegt an der
Seite dort.

Sie stunden auf, und giengen schweigend,
beym Gesang der Nachtigall, ans Grab. -- Hier
ists, sagte Anton, ich hab ihm einen Rosenstrauch
drauf gepflanzt; übers Jahr soll er Rosen tra-
gen. Hier nebenan werd ich einst liegen.

Ja, lieber Freund, so müssen wir sterben,
wenn wir glücklich sterben wollen; aber auch so
leben! -- Er kam erst auf den rechten Weg, als
er ins Kloster gieng. Vorher hat er wenig an
Gott gedacht. Er sagte hundertmal: dem Kloster
hab ich alles zu verdanken. Jch denk immer, Sieg-
wart, du schenktest Gott auch einen Sohn. Wie
wärs, wenn dein Xaver zu uns gienge? Nicht
wahr, lieber Xaver, Er gienge wol gern ins Klo-
ster, und sagte der Welt ab, um hier in Fried
und Ruhe Gott zu dienen?

Der junge Siegwart, dessen Seele voll von
den Bildern dieses Abends, und der reizenden Be-
schreibung war, die Anton von dem Klosterleben
gemacht hatte, wuste nicht, wie ihm zu Muthe
war; sein Herz schlug, und er sagte willig Ja,
weil der Wunsch schon mehrmals diesen Abend in



Wenn dirs recht iſt, Siegwart, ſo gehen
wir zu ſeinem Grabe; der Kirchhof liegt an der
Seite dort.

Sie ſtunden auf, und giengen ſchweigend,
beym Geſang der Nachtigall, ans Grab. — Hier
iſts, ſagte Anton, ich hab ihm einen Roſenſtrauch
drauf gepflanzt; uͤbers Jahr ſoll er Roſen tra-
gen. Hier nebenan werd ich einſt liegen.

Ja, lieber Freund, ſo muͤſſen wir ſterben,
wenn wir gluͤcklich ſterben wollen; aber auch ſo
leben! — Er kam erſt auf den rechten Weg, als
er ins Kloſter gieng. Vorher hat er wenig an
Gott gedacht. Er ſagte hundertmal: dem Kloſter
hab ich alles zu verdanken. Jch denk immer, Sieg-
wart, du ſchenkteſt Gott auch einen Sohn. Wie
waͤrs, wenn dein Xaver zu uns gienge? Nicht
wahr, lieber Xaver, Er gienge wol gern ins Klo-
ſter, und ſagte der Welt ab, um hier in Fried
und Ruhe Gott zu dienen?

Der junge Siegwart, deſſen Seele voll von
den Bildern dieſes Abends, und der reizenden Be-
ſchreibung war, die Anton von dem Kloſterleben
gemacht hatte, wuſte nicht, wie ihm zu Muthe
war; ſein Herz ſchlug, und er ſagte willig Ja,
weil der Wunſch ſchon mehrmals dieſen Abend in

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[25/0029] Wenn dirs recht iſt, Siegwart, ſo gehen wir zu ſeinem Grabe; der Kirchhof liegt an der Seite dort. Sie ſtunden auf, und giengen ſchweigend, beym Geſang der Nachtigall, ans Grab. — Hier iſts, ſagte Anton, ich hab ihm einen Roſenſtrauch drauf gepflanzt; uͤbers Jahr ſoll er Roſen tra- gen. Hier nebenan werd ich einſt liegen. Ja, lieber Freund, ſo muͤſſen wir ſterben, wenn wir gluͤcklich ſterben wollen; aber auch ſo leben! — Er kam erſt auf den rechten Weg, als er ins Kloſter gieng. Vorher hat er wenig an Gott gedacht. Er ſagte hundertmal: dem Kloſter hab ich alles zu verdanken. Jch denk immer, Sieg- wart, du ſchenkteſt Gott auch einen Sohn. Wie waͤrs, wenn dein Xaver zu uns gienge? Nicht wahr, lieber Xaver, Er gienge wol gern ins Klo- ſter, und ſagte der Welt ab, um hier in Fried und Ruhe Gott zu dienen? Der junge Siegwart, deſſen Seele voll von den Bildern dieſes Abends, und der reizenden Be- ſchreibung war, die Anton von dem Kloſterleben gemacht hatte, wuſte nicht, wie ihm zu Muthe war; ſein Herz ſchlug, und er ſagte willig Ja, weil der Wunſch ſchon mehrmals dieſen Abend in

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/29>, abgerufen am 29.03.2024.